LEITARTIKEL

Wer nach Trier fährt

d'Lëtzebuerger Land vom 29.09.2023

Zu den besonders fahrlässigen Thesen im Wahlkampf gehört: „Wir haben doch schon Zweiklassen-Medizin! Wer sich das leisten kann, geht nach Trier und kriegt als Privatpatient einen IRM-Termin für in ein paar Tagen. Das kostet halt 500 Euro.“

Nicht, dass das falsch wäre. Aber dann kann der nächste Satz eigentlich nur lauten: „Deshalb sind wir dafür, die Zweiklassen-Medizin bei uns offiziell einzuführen, damit niemand mehr nach Trier muss.“ Natürlich sagt das niemand, denn Wahlen würden sich damit nicht gewinnen lassen. Doch ebenfalls nicht gesagt wird, dass „wer sich das leisten kann“, in Trier von einem Angebot der deutschen Privatmedizin profitiert. Deutsche Privatpatienten können das auch. 90 Prozent der deutschen Bevölkerung aber sind einer gesetzlichen Krankenkasse angeschlossen und bekommen ebenfalls keinen IRM-Termin „den aneren Dag“. Ende 2018 stellte die Stiftung Warentest in einer großen deutschlandweiten Erhebung fest, dass Privatversicherte innerhalb von „ein paar Tagen“ bei einem Facharzt drankommen, gesetzlich Versicherte im Schnitt vier bis sechs Wochen warten müssen, je nach Region, Spezialdisziplin des Arztes und Schwere ihres Problems. Mit IRM-Terminen sei das besonders kompliziert. Der wichtigste Grund für die Unterschiede: An Privatpatienten gibt es mehr zu verdienen (Der Spiegel, 15.11.2018).

Die aktuell gültigen Tarife für deutsche Kassen- und für Privatpatienten zeigen das: Mit Ausnahme einer IRM der weiblichen Brust, für die ungefähr das Doppelte genommen werden darf, können für eine Kassen-IRM 131,28 Euro in Rechnung gestellt werden. Für Privatpatienten können es zwischen 273,60 Euro für IRM von Gelenken und 501,60 Euro für IRM von Kopf- und Bauchbereich sein. Diese „Grundgebühren“ dürfen noch um das bis zu 2,3-Fache erhöht werden.

Wären Luxemburger Politiker/innen wie die Liberale Carole Hartmann oder Claude Wiseler von der CSV konsequent, dann müssten sie, nachdem das Klagelied von „sozialistischer Planwirtschaft“ zu Ende gesungen ist, angeben, wie sie dafür sorgen wollen, dass das Gesundheitssystem hierzulande mit der deutschen Privatmedizin konkurrieren kann. Ein wichtiger erster Schritt wäre sicherlich, der „Privatinitiative“ von Ärzt/innen mehr Raum zu geben als bisher und die Freiheit, auch schwere und teure Technik in einer Praxis aufzustellen; das haben Hartmann und Wiseler richtig erkannt. Doch sie scheinen zu glauben, dass sich sonst nichts ändern müsste und die Krankekeess einfach alles bezahlt. Aber das geht nicht. Das würde die CNS gegen die Wand fahren.

Nicht nur würde für sie alles einfach „teurer“. Kassen- und Privatbehandlungen haben verschiedene Geschäftsmodelle. IRM-Apparate in Luxemburger Spitälern sind mittlerweile bis 22 Uhr und auch an Wochenenden für ambulante Patienten im Einsatz. Sie so auszulasten, ist sinnvoll. Die Nachfrage nach IRM ist groß, und wäre eine öffentlich finanzierte teure Infrastruktur nicht gut ausgelastet, wäre das Geldverschwendung. Ein niedergelassener Radiologe in Trier dagegen kann Termine in schon ein paar Tagen anbieten, weil seine Apparate nicht maximal ausgelastet sein müssen. Dank Privatpatienten, denen er das Vielfache des Tarifs einer Kassenbehandlung in Rechnung stellen kann.

Würde man so ein Angebot in Luxemburg kopieren und alles von der CNS bezahlen lassen wollen, wäre die vermutlich schon vor Ende der nächsten Legislaturperiode bankrott. Die Alternative wäre die offizielle Einführung von Zweiklassen-Medizin und Privattarifen, aber das sagt niemand. Die dritte Option wäre, den Leuten zu erklären, dass im Luxemburger System irgendwo Schluss sein muss, aber das ist im Wahlkampf für die meisten Parteien nicht sexy. Unter diesen Umständen setzt sich, wer behauptet, „wir haben doch schon Zweiklassen-Medizin…“ dem Verdacht aus, aktiv auf eine Pleite der CNS hinarbeiten zu wollen.

Peter Feist
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