Was der Psychotherapeutenverband an Honorartarifen fordert, ist nicht unverständlich. Dass die CNS damit ein Problem hat, auch nicht

Dieser Streit ums Geld

d'Lëtzebuerger Land vom 16.09.2022

„Rausgeworfen“ habe CNS-Präsident Christian Oberlé am Dienstag voriger Woche die Verhandlungsdelegation des Psychotherapeutenverbands Fapsylux, erinnert sich dessen Präsidentin Catherine Richard. Das war in der Mittagsstunde des 6. September. Gegen 13.30 Uhr gab CNS öffentlich bekannt, sie werde ihren Verwaltungsrat auffordern zu entscheiden, ob er die Verhandlungen mit der Fapsylux als gescheitert ansieht. Was der CA diesen Mittwoch so sah: Die Honorarforderungen der Gegenseite lägen „bis zu 70 Prozent über den zurzeit praktizierten Beträgen“. Die CNS werde deshalb eine Schlichtung beantragen.

70 Prozent über dem zurzeit Üblichen klingt nach viel. Wegen „bis zu“ dürfte es aber ungefähr stimmen. Im Moment nähmen die Therapeut/innen zwischen 100 und 170 Euro pro Sitzung, sagt Catherine Richard, meist 120 bis 130 Euro. „Ich kenne nur einen Kollegen, der 170 Euro verlangt.“ Woraus schon klar wird, dass es sich um Marktpreise handelt – eine Kassen-Psychotherapie gibt es ja noch nicht. Für die will die Fapsylux 175 Euro pro Sitzung. Die CNS bietet 120 Euro. Oberlé hatte vorige Woche gesagt, „ein wenig Spielraum nach oben“ sähe er noch. Richard kann sich „nicht vorstellen, dass wir wesentlich nach unten gehen“ würden. Was daraus folgt, wird nun eine dreimonatige Schlichtung klären.

Ob 175 Euro pro Psychotherapie-Sitzung viel sind oder nicht, ist schwer zu sagen. Die Fapsylux hat den Therapeut/innen im Land bereits vor einem halben Jahr empfohlen, ab sofort und generell 175 Euro zu berechnen. Das sei, schrieb sie ihnen am 4. März, angemessen für eine Vollzeitaktivität von 1 000 bis 1 100 Sitzungen im Jahr. Es berücksichtige außerdem die Kosten für den Praxisbetrieb der Freiberufler von schätzungsweise 30 000 Euro jährlich. Das Bruttoeinkommen nach Praxiskosten schließlich orientiere sich an dem angestellter Psycholog/innen beim Staat, in Spitälern und im Sozial- und Pflegesektor nach mindestens zehn Dienstjahren. Die Fapsylux meinte noch, „in keinem anderen mit der CNS konventionierten Beruf“ würden zwei Master-Abschlüsse verlangt. Dem Land sagt Catherine Richard: „Unsere Ausbildung dauert insgesamt acht Jahre. Das ist länger als die zum Zahnarzt.“

Solche Vergleiche können der CNS kaum gefallen. Sie zielen mitten hinein in den fragilen Verdienst-Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Berufen, die bei ihr unter Vertrag stehen. Das Besondere am Luxemburger Gesundheitssystem besteht darin, dass es bei fast ausschließlich öffentlicher Finanzierung umfangreiche freiberufliche Aktivitäten erlaubt. Weil den Freiberuflern Angebote am Markt zu machen, nur sehr eingeschränkt erlaubt ist, funktioniert das Geldverdienen vor allem über die CNS-Tarife. Weil die Kasse sämtliche Dienstleister unter Vertrag hat, handelt sie mit ihren Interessenverbänden alle zwei Jahre aus, wieviel es in den nächsten 24 Monaten zu verdienen geben soll. Daraus ergibt sich eine so genannte lettre-clé in Euro. Dass die diversen Berufsverbände ein Auge darauf haben, welche lettres-clé den anderen zugestanden werden, versteht sich. Die CNS wiederum passt auf, dass niemand sich benachteiligt vorkommt. Dass es über lettres-clé Krach gibt, ist gar nicht so selten. Dass dann sogar geschlichtet werden muss, kommt ebenfalls vor, wird nur nicht an die große Glocke gehängt. Dass die Fapsylux einen Tarif verlangt, der der CNS zu hoch vorkommt, ist nicht ohne Logik angesichts dieses Verhandlungssystems alle zwei Jahre: Der Therapeutenverband könnte davon ausgehen, dass es bei Neuverhandlungen in den nächsten Jahren nicht mehr viel hinzu zu gewinnen gibt. Da kann es schlau sein, mit seinen Forderungen gleich hoch anzusetzen.

Als Vertreterin für einen neuen Beruf, der erst 2015 mit dem Psychotherapeutengesetz geschaffen wurde, mischt die Fapsylux das bestehende System mit den acquis der Berufe, die es schon länger gibt, allerdings gehörig auf. Die 175 Euro für eine Sitzung von 50 bis 60 Minuten, sowie einen „indirekten“ Aufwand von 30 Minuten für Vor- und Nachbereitung, bringen den Therapeutenverband in die Nähe der Tarife für Ärzt/innen. 175 Euro pro Sitzung und 1 100 Sitzungen im Jahr ergäben 192 500 Euro an Honorareinnahmen. In dieser Größenordnung lagen 2020 (die jüngsten Zahlen der Generalinspektion der Sozialversicherung), die der am schlechtesten verdienenden Arztdisziplinen, darunter ausgerechnet Psychiater, Kinderpsychiater und Neuropsychiater. Deren Tarif für eine Leistung, die Psychotherapie enthalten kann, wurde erst vor ein paar Monaten aufgebessert; beim aktuellen Indexstand auf 206  Euro. Zuvor waren es rund 180 Euro. Dass die CNS wenig Lust haben dürfte, mit dem Ärzteverband AMMD und der Psychiatrischen Gesellschaft alle zwei Jahre zu streiten, ob Psychotherapeuten gegenüber Psychiatern überbezahlt sind, dürfte eine wesentliche Antwort auf die Frage sein, weshalb sie die Fapsylux-Forderung für zu hoch erklärt. Und weshalb LSAP-Sozialminister Claude Haagen ihr vergangene Woche im Radio 100,7 beisprang: „Wir sind doch hier nicht bei Wer wird Millionär!“

Zusätzlich delikat macht den Umgang mit der Therapeutentarif-Forderung, dass nicht alle der zurzeit 525 zugelassenen Psychotherapeut/innen auf dieselbe Weise arbeiten. 108 sind Ärzt/innen – 99 Psychiater mit Zusatztitel Psychotherapeut sowie neun Generalistinnen, Anästhesisten oder Neurologen. Von den Verbleibenden sind laut Fapsylux etwa die Hälfte Freiberufler, an die 200 also. Doch wenn die anderen beim Staat, in Kliniken oder in Sozial- und Pflegeeinrichtungen angestellt sind, könnten bei Neuverhandlungen der Gehälterabkommen und Kollektivverträge dieser Sektoren zusätzliche Forderungen laut werden, wenn die CNS der Fapsylux nachgibt. Etwa, wenn diese heute sagt, weil der Beruf emotional anstrengend sei und viel Konzentration verlange, könne Therapeut nicht mehr als fünf Sitzungen pro Tag bei guter Qualität leisten. Doch selbst im Krankenhaus-Kollektivvertrag, in dem viel Wert auf Work-Life-Balance gelegt wird und der eines der politisch wichtigsten Tarifabkommen des OGBL darstellt, gilt kein Limit für die Zahl der Therapien pro Tag. Und in manchen Kliniken sind nicht wenige Psychotherapeut/innen tätig.

Dem Vernehmen nach noch nicht beschäftigt haben Fapsylux und CNS sich mit der Frage, was Psychotherapeut/innen außerhalb des Vertrags mit der CNS anbieten könnten. Sie ist deshalb nicht unwichtig, weil laut Sozialversicherungsbuch die CNS nur die Kosten für die Behandlung von troubles mentaux („psychischen Störungen mit Krankheitswert“) trägt. Dass Therapeut/innen auch dann tätig werden, wenn das Leiden eines Patienten noch nicht einem trouble mental entspricht, ist ohne Weiteres vorstellbar. Damit aber würde ihr Beruf der erste mit der Kasse konventionierte, dessen Praktiker/innen ab und zu rein am Markt agieren dürfen. Das ist auch politisch interessant: Die AMMD wünscht sich das für die Ärzt/innen schon lange.

Sodass über die Psychotherapie von der Kasse selbst dann noch zu reden sein wird, wenn zu den Tarifen ein Schlichter einen Konsens hergestellt hat. Die Fapsylux stört, dass die CNS nur für Psychotherapien von über 18- und bis 70-Jährige aufkommen will. Für Ältere sollen das Pflegeleistungen sein, für Jüngere das dem Jugendministerium unterstehende Office nationale de l’enfance (ONE) zuständig werden. Die Fapsylux verdächtigt die CNS, mit diesen Plänen die Freiberufler ins Salariat treiben zu wollen: Beim ONE liegt der Tarif für eine Stunde Psychotherapie zurzeit bei 133,50 Euro, für angestellte Therapeut/innen erhält deren Betrieb knapp 187 Euro überwiesen.

Damit hat vielleicht zu tun, dass der CNS-Präsident vor zwei Wochen gegenüber dem Land erklärt hat, er möchte die Psychotherapie-Diskussion um mit dem Staat konventionierte ASBL „erweitern“. Sowohl aus dem vom Land kontaktierten Jugend- als auch aus dem Familienministerium hieß es dazu, es gebe keine Gespräche hierüber. Doch wenn die Kassenpsychotherapie eine Tages bestehe, könne es nötig werden, die bestehenden Konventionen und Angebote und ihre Finanzierung zu überdenken. Was natürlich eine politische Frage wäre.

Peter Feist
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