Die Gespräche zwischen Regierung, Gewerkschaften und Lehrern sind gescheitert. Verliererin ist die Gesellschaft, die ein Schulwesen hat, das kaum noch zu reformieren ist

In der Sackgasse

d'Lëtzebuerger Land vom 19.12.2014

Mit steinerner Miene trat Schulminister Claude Meisch (DP) am Donnerstagmittag vor die Presse. Da lagen vier Stunden Verhandlungsmarathon mit den Gewerkschaften und Vertretern des Koordinationsbüros der Lehrerkomitees von Classique und Technique hinter ihm. Dann spricht er: „Ich stelle fest, dass spätestens seit heute Morgen die Gewerkschaften der Sekundarstufen komplett demissioniert haben gegenüber den Lehrerkomitees. Das sind die, die entschieden haben, die ihre Position durchgesetzt haben, dass es keine Diskussion über eventuelle Vorschläge geben kann.“

Es seien vom Minister keine Alternativvorschläge gekommen, wehrt sich Daniel Reding von der Apess gegen die Vorwürfe. Es sei den zur Intersyndicale zusammengeschlossenen Gewerkschaften nichts anderes übrig geblieben, als das Trefffen zu beenden und die Schlichtungsprozedur einzuleiten. „Wir drücken die Opposition von Lehrerkollegen von 28 Lyzeen aus. Da gibt es großes Missfallen an der Schulpolitik, die Minister Meisch durchboxen will. Das mussten wir dem Minister heute mitteilen. Der Minister hat keine Zugeständnisse gemacht, mit so einer Blockade drückt er die ganze Lehrerschaft in die Konfrontation“, schimpft Jacques Maas, Sprecher der Lehrerkomitees.

Es hagelt Schuldzuweisungen von allen Seiten, dabei haben alle zu dem Schlamassel beigetragen. Dass Kürzungen auf die Lehrer zukommen würden, wussten die Gewerkschaften früh. Im April, als Schulminister Claude Meisch gemeinsam mit Innenminister Dan Kersch (LSAP) die Gewerkschaften ein erstes Mal einlud, um über das weitere Vorgehen in puncto Reform des öffentlichen Dienstes zu reden, machte der Liberale klar, dass er von Seiten der Lehrer Sparanstrengungen erwartete. Den Vorschlag, den Meisch damals machte: die so genannte Alters-Décharge um fünf Jahre nach hinten zu verschieben. Die Gewerkschaften wollten davon nichts wissen und leakten den Vorschlag empört an die Presse. Insofern stimmt es nicht, wenn sie jetzt behaupten, sie seien von den Sparvorschlägen des Premierministers in der Erklärung zur Lage der Nation komplett überrascht worden. Xavier Bettel (DP) kündigte damals an: „...am Enseignement sécondaire ginn an Zukunft nëmmen nach déi Stonnen ausbezuelt, déi och reell prestéiert ginn“. Am selben Morgen hatte Meisch am Telefon der Féduse gegenüber die Sparpläne skizziert und angeboten, über die Modalitäten zu reden. Damit war schon vor dem Treffen klar, um was es ging: Die Regierung wollte den Coefficient réducteur auf den Abschlussklassen einführen. Weil während der Examenszeit reguläre Unterrichtsstunden ausfallen, solle die Tâche der Lehrer in den Abschlussklassen erhöht werden. Rund 3,5 bis vier Millionen Euro spare der Staat so ein, das entspräche 74 Posten von Lehrbeauftragten, so der Plan.

Doch der Minister – und die Lehrergewerkschaften Apess, Féduse und SEW – hatten die Rechnung ohne die Lehrerkomitees oder, besser gesagt, ohne einige gut organisierte Lehrer, gemacht. Es sind Lehrer um Sprecher Jacques Maas, der bereits bei den Protesten der Délégation nationale des enseignants des lycées (DNL) gegen die Sekundarschulreform vor anderthalb Jahren eine tragende Rolle gespielt hatte. Sie wollten von Sparmaßnahmen nichts wissen und riefen zum Widerstand auf. Das ist auch der Grund, warum der SEW sich früh gegen das „Spardiktat“ stemmte: Maas ist SEW-Mitglied und bestimmt dessen inhaltliche Linie maßgeblich mit. Zunächst war für die Gewerkschaften nicht absehbar, wie viele Lehrer sich am Protest beteiligen würden. Zumal die letzte Aktion, der Streikaufruf gegen den lange verhandelten Kompromiss bei der Sekundarschulreform im Frühjahr 2013, in einem Eklat endete und mangels Beteiligung abgeblasen werden musste. Die DNL, Vorläuferin des Koordinationsbüros der Lehrerkomitees, verschwand damals von der Bildfläche. Heute erleben ihre Protagonisten eine Art Auferstehung, das zeichnete sich schon auf der Generalversammlung am Montag den 17. November ab: Der Idee, die Examensjurys zu bestreiken, ursprünglich von sieben Komitees vorgebracht, schlossen sich am selben Tag noch 17 weitere Komitees an. Die Gewerkschaften hielten sich mit allzu deutlichen Sympathiebekundungen zurück. Doch von den Protestlern abgrenzen wollten sie sich auch nicht, schließlich profitierten sie davon, konnten sie doch so gestärkt vor den Minister treten. Vom Gesprächsverlauf Ende November, das von Meisch kurzfristig am Tag zuvor einberufen wurde, gibt es widerstreitende Versionen. Laut Minister und seinen Beamten habe sich nach der Zusicherung, die Kompensa-tionsmaßnahmen „substanziell“ nachzubessern, das Gesprächsklima deutlich verbessert. Am Ende soll sich Daniel Reding von der Apess prinzipiell zu einer Einigung bekannt haben. Die Féduse erbat sich eine kurze Bedenkzeit. Als man circa 20 Minuten später wieder zusammenkam, soll die größte Gewerkschaft dem Kompromiss zugestimmt haben, unter der Voraussetzung aber, dass die 50 Euro Stundenlohn als Kompensation fürs Korrigieren von Examensarbeiten auch für Zweitkorrekturen gelten, zweitens sollten die Examens-Fragebögen künftig nicht mehr durch Lehrer, sondern pro Gebäude formuliert und drittens sollte bei den Korrekturen gespart werden. Daraufhin soll Meisch gefragt haben: Dann haben wir also eine Einigung?, und Féduse-Präsdient Camille Weyrich soll dies im Gegenzug bekräftigt haben, mit dem Vorbehalt, sich mit der Basis beraten zu müssen. Genau dieses Ergebnis streiten die Gewerkschaften inzwischen kategorisch ab. Daniel Reding war gegenüber RTL formell: Eine Einigung mit der Apess habe es nie gegeben. Camille Weyrich klingt ein wenig nuancierter. Eine Vereinbarung könne es nur dann geben, wenn die Basis zustimme, betonte er gegenüber dem Land. Die unterschiedlichen Überlieferungen erklärt der Gewerkschafter mit dem „großen Druck“, der während der Gespräche geherrscht habe: Weil der Minister so sehr auf ein Ergebnis gedrängt habe, sei der falsche Eindruck entstanden, es handele sich um Verhandlungsgespräche: „Wir haben immer gesagt, Fragen zur Tâche und zu den Gehältern sind im Rahmen der Gespräche zum Beamtenstatut zu diskutieren.“

Unabhängig davon, welche Seite die Wahrheit sagt – das Ergebnis vom Donnerstag ist für alle eine Blamage. Für die Gewerkschaften, weil sie kaum mehr als glaubwürdiger verlässlicher Verhandlungspartner gelten können. Sie haben völlig unterschätzt, wie stark der Protest an der Basis respektive der Lehrerkomitees werden würde – und sind nun Getriebene. Nachforschungen an Schulen ergeben, dass die Listen auch von Lehrern unterschrieben wurden, die mit der Radikalität mancher Komiteevertreter nichts anfangen können. Sie setzten ihren Namen darunter, weil von vornherein beschwichtigend gesagt wurde, die Boykottandrohung habe lediglich Symbolcharakter. Das scheint plötzlich nicht mehr so sicher. Man werde die Vertreter der Lehrerkomitees befragen, so Jacques Maas nach dem geplatzten Treffen ausweichend. Einen möglichen Streik der Examenslehrer wollte Maas nicht kommentieren. Die Sorge, die viele Schüler und Eltern nun umtreiben dürfte: Werden die Lehrer ihre Drohung wahrmachen? Minister Meisch betonte seinerseits, er werde Verantwortung nehmen, soll heißen, er wird die Lehrer nicht von ihrer Aufgabe, die Examen weiter zu betreuen, befreien. Wo so schnell 1 300 Ersatzlehrer hernehmen?

Andere wollten ohnehin nie so weit gehen. Denn nicht jeder Lehrer wehrt sich so vehement wie das Koordinationsbüro dagegen, dass bei seiner Zunft gespart werden soll. In den sozialen Netzwerken finden sich auch besonnene Stimmen, die eine Kürzung des Koeffizienten der Einführung eines Coefficient réducteur auf den Abschlussklassen vorgezogen hätten. Doch der Stachel von 2007, als die Tâche der Sekundarschullehrer erweitert wurde, sitzt insbesondere bei älteren Lehrern tief. Anderen dient er als Beweis, wie sehr der Staat es auf die Lehrer abgesehen habe. Verschwiegen wird dabei, dass mit der Gehälterreform eine für Krisenzeiten nicht unbedeutende Gehaltserhöhung in Kraft treten würde: von mehr als zwei Prozent plus Prämie. Besonders stieß vielen Lehrern die Bemerkung des Premiers auf: Dass sie nicht genügend arbeiteten, wollte keiner auf sich sitzen lassen. Am Ende kamen 1 500 Unterschriften zusammen, nicht alle davon waren von Sekundarschullehrern der Abschlussklassen. Die anderen waren von Lehrern, die keine Abschlussklassen unterrichten, sich aber mit den Kollegen solidarisch erklärten.

Die 85 Prozent Zustimmung sind ein beachtlicher Erfolg für die Lehrerkomitees – nicht aber für die Gewerkschaften, die dem Aufruf von Anfang skeptisch gegenüber standen, nicht zuletzt weil sie weitere Imageschäden fürchteten. Um nach außen nicht völlig ihr Gesicht zu verlieren, musste eine neue Interpretation der Ereignisse her: die, dass man das Angebot erst habe prüfen müssen, um dann festzustellen, dass damit zu starke Einschnitte in die Arbeitsbedingungen verbunden seien. Auf die wankelmütige Haltung angesprochen, bringt Camille Weyrich die Pegida-Bewegung, die patriotischen Europäer gegen eine Islamisierung des Abendlandes, die in Deutschland zu Tausenden gegen Muslime und Flüchtlinge demonstrieren, ins Gespräch: „Auch dort ist spontan eine Bewegung entstanden, die die Politik nicht ignorieren kann.“ Der Vergleich mit Pegida ist noch aus einem anderen Grund nicht ganz falsch: Wie bei Pegida in Deutschland läuft die Protestbewegung der Lehrer Gefahr, einer Polarisierung und Radikalisierung Vorschub zu leisten, die gefährlich für das ganze Land werden kann. Schon jetzt ist der Flurschaden enorm. Mehr noch als durch die Aussage des Premiers ist das Ansehen der Lehrer durch ihre anhaltende Drohung, die Examen zu bestreiken, in der Öffentlichkeit ramponiert. Viele Menschen verstehen nicht, wieso Examensschüler Leidtragende eines politischen Konflikts sein sollen. Auch deshalb versuchte sogar die Apess, sonst selbst wenig zimperlich mit markigen Ankündigungen, zunächst eine Restdistanz zu wahren und betonte, sie habe zu keinem Zeitpunkt zum Streik aufgerufen. Diese Distanz scheinen die Gewerkschaften am Donnerstag endgültig aufgegeben zu haben.

Wer die Kommentare auf Facebook und in den Zeitungsforen liest, stellt fest: Es gibt auf Lehrerseite etliche Stimmen, die keinerlei Kompromissbereitschaft zeigen. Was aber bedeutet diese rigide Blockadehaltung für die dringend benötigten Reformen im Sekundarschulunterricht? Was droht, wäre katastrophal für Lehrer, Schüler, Eltern und die Gesellschaft als Ganzes: ein völliger Reformstau im Bildungswesen. Dabei haben die Protestler Argumente: Dass die Regierung ausgerechnet bei den Abschlussklassen sparen will, ist schon aus Gerechtigkeitsgründen zu hinterfragen. Meisch hat aber selbst stets betont, lieber über die Alters-Décharge reden zu wollen. Es waren die Gewerkschaften, die nicht über eine Reform der Alters-Décharge, die alle Lehrer getroffen hätte, reden wollten. Der Minister hätte auch das System der Koeffizienten prinzipiell in Frage stellen können: Warum sollte der Betreuungsaufwand einer Examensklasse höher sein, als der einer Berufsschulklasse oder einer 7e in einer Schule der Zweiten Chance? So gesehen, gehen die höheren Koeffizienten der Oberstufen-Lehrer zurück auf ein anachronistisches elitäres Denken, das eines 21. Jahrhunderts nicht würdig ist. So weit wollte Meisch aber nicht gehen.

Mittlerweile sind die Fronten derart verhärtet, dass an eine sachliche Debatte nicht mehr zu denken ist (wenn sie es jemals war), zumal weitere Ankündigungen des Ministers mehr als ungeschickt waren: der neue Stundenplan in der Grundschule, mit dem Meisch die Unterrichtsstunde von 45 auf 55 Minuten verlängern und Lehrer verpflichten will, Schüler länger zu betreuen. Es war Meisch, der das mit vielen Emotionen mühsam geschnürte Paket der Reform im öffentlichen Dienst plötzlich wieder in Frage stellte, weil er bei den so genannten Postes de résponsabilité ebenfalls Einsparpotenzial ausmachte. So sieht keine durchdachte Bildungspolitik aus: Pädagogische Gründe, die vielleicht für verschiedene Maßnahmen sprechen könnten, treten völlig in der Hintergrund. Dazu kommt das mangelnde Fingerspitzengefühl eines Ministers und seiner Berater, die selbst nicht aus der Schule kommen und offenbar die Sensibilitäten im Sektor unterschätzt haben: Ihnen hätte klar sein müssen, dass nach dem als Niederlage empfundenen Verhandlungsabschluss zur Tâche der Sekundarschullehrer von 2007, nach dem Streit über die Sekundarschulreform und den allergischen Reaktionen auf die Kürzungen bei den Entschädigungszahlungen für die Teilnahme an Kommissionen die Gewerkschaften extrem empfindlich auf weitere Einschnitte reagieren würden und daher besonderes diplomatisches Geschick nötig sein würde – oder aber eine resolute Haltung, die bis zum Ende konsequent durchgezogen wird. Jetzt bleibt nur der Gang zum Schlichter. Die Lehrer und die Gewerkschaften gewinnen Zeit. Zeit, die, so steht zu befürchten, kaum dazu genutzt werden wird, die verfahrene Lage aufzulösen. Ein Happy End wie bei den Verhandlungen mit den großen Gewerkschaften über den Zukunftspak scheint in weiter Ferne: Dort haben CGFP, OGBL und LCGB einen Kompromiss in letzter Minute unterstützt.

Ines Kurschat
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