Luxemburg will die UN-Behindertenrechtskonvention ratifizieren. Bei den Betroffenen kommt so recht keine Begeisterung auf

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d'Lëtzebuerger Land vom 07.10.2010

Die Erwartungen sind groß. Die Konvention „ist so wichtig, weil sie ein Mittel darstellt, Menschen mit Behinderungen gleichberechtigten Zugang zu allen Grundrechten abzusichern“. So steht es hoffnungsvoll auf der Homepage von Info-Handicap. Der Behinderten-Dachverband verfolgt die Entwicklung um die für Ende des Jahres geplante Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention in Luxemburg genau.

Unterschrieben hat Luxemburg die von der Vereinten Nationen in Zusammenarbeit mit Behindertenorganisationen aus aller Welt entwickelte Grundrechtecharta schon vor drei Jahren. Aber erst im Koalitionsabkommen der amtierenden CSV-LSAP-Regierung steht Schwarz auf Weiß das Versprechen, sie auch in nationales Gesetz umzuschreiben.

Ein Fortschritt für die Sache der Behinderten, der nicht hoch genug bewertet werden kann. Die Konvention sichert ihnen zu, ihre Bürgerrechte, wie das auf Bildung, auf ein Leben in Sicherheit und ohne Gewalt, auf politische Beteiligung und vieles mehr ungehindert ausüben zu können. Etliche der Rechte bestehen schon: Den Zugang zu öffentlichen Gebäuden regelt das Barrierefreiheitsgesetz, mit dem Gesetz von 2003 zum „Travailleur handicapé“ wurden ein Arbeitsstatut geschaffen und Einstellungsquoten für den Privatsektor festgelegt. Schließlich verbietet das Antidiskriminierungsgesetz Benachteiligung aufgrund einer Behinderung und mit der Verfassungsreform von 2007 ist die gesellschaftliche Integration von Behinderten ohnehin oberstes Gebot.

Trotzdem bemängeln Betroffene seit Jahren, dass die gesetzlichen Bestimmungen oft nicht das Papier wert seien, auf dem sie stehen: Auch wenn es für Rollstuhlfahrer heute dank abgeflachter Bürgersteige einfacher ist, die Innenstadt zu durchqueren, wer als Blinder über den Bahnhof gehen will oder als Gehörlose eine der vielen Konferenzen der Hauptstadt besuchen will, wird merken, dass noch viel zu tun ist in punkto Barrierefreiheit. Noch schwieriger wird es, wenn es um den Zugang zu höheren Ausbildungen geht oder zu einem angemessen bezahlten Job.

Mit der Konvention, so hofft Patrick Hurst von Info-Handicap, soll Bewegung in die Sache kommen. Die Gutachten der Berufskammern zum Ende Mai vorgelegten Gesetzentwurf sowie das Exposé des motifs selbst klingen zunächst viel versprechend. Da ist vom Paradigmenwechsel die Rede, von neuen Sichtweisen: Mit der Konvention soll Schluss sein mit jener paternalistischen Herangehensweise, die die luxemburgische Behindertenpolitik in der Vergangenheit so oft geprägt hat. Der Staatsrat findet in seinem Gutachten deutliche Worte. „La convention est censée rompre avec l’approche tradi-tionnelle, conçue primairement sous un angle de vue médical, voire de charité et de dépendance.“

Zunächst sah es ganz so aus, als sollten schon zu den Vorbereitungen zur Ratifizierung die guten Vorsätze in Taten münden. Nach einem internen Screening mit anderen Ministerien über Auswirkungen der Konvention auf bestehendes Recht und politische Zuständigkeiten, lud das für Behindertenfragen verantwortliche Familienministerium im Februar Behinderte zu einer Arbeitsgruppe ein. Ziel sollte sein, gemeinsam eine landesweite Informationskampagne über die Grundrechtecharta auf die Beine zu stellen, die alle erreichen sollte: körperlich, geistig und seelisch behinderte Menschen, Interessierte, die allgemeine Öffentlichkeit.

Doch wenige Monate, nachdem die ersten Radiospots geschaltet waren, ist die Anfangseuphorie der Ernüchterung gewichen. In den Spots erklären bezahlte Schauspieler in kurzen Sätzen, warum die UN-Konvention so wichtig sei, und auch eine deutsche Fassung einer leicht lesbaren Informationsbroschüre wurde erstellt. Die konsultierten Betroffenen hätten aber lieber „echte Menschen“ gehört, die gibt es hierzulande schließlich auch. Die drei konnten sich gegen das Ministerium jedoch nicht durchsetzen. Auch an der Ausarbeitung des Informationsmaterials fühlten sich die Ehrenamtlichen nicht genügend beteiligt. Sitzungsberichte seien nicht rechtzeitig weitergegeben worden, eine Kontrolle der Änderungen sei deshalb kaum möglich gewesen, die Papierversion für den Sehbehinderten in der Arbeitsgruppe nicht hilfreich, so die Kritik. Barrierefreiheit sieht anders aus. Die Bitte um ein Gespräch, um die Kommunikationshemmnisse zu beseitigen, wurde von den Verantwortlichen zunächst abgewiesen.

Nun scheint auch der Gesetzentwurf wenig geeignet, das durch jahrelanges Ignoriertwerden angeschlagene Vertrauen vieler Behinderten wiederherzustellen. Das Projet de loi spricht zwar von einem „projet ambitieux“ und einer gesellschaftlichen Bringschuld gegenüber dem behinderten Mitbürger, zugleich schweigt sich der Gesetzgeber aber darüber aus, wie der Staat die Durchsetzung der Konvention absichern wollen. Die Unterrichtsministerin hatte bei einem Rundtischgespräch im Vorfeld der Grundschulreform gemeint, die Ratifizierung würde am bestehenden Bildungsangebot wenig ändern, will heißen: die Éducation différenciée bleibt bestehen. Aber die Konvention gilt auch für geistig Behinderte, ergo, so schlussfolgern Völkerrechtler wie die Anwaltskanzlei Latham and Watkins oder der deutsche Anwalt Eibe Riebel, stünde auch ihnen ein Recht auf Aufnahme in die Regelschule zu und nur in Ausnahmefällen wären Sonderschulen vorzuziehen. Die bisher praktizierten Classes de cohabitation, Behinderte und Nicht-Behinderte unter einem gemeinsam Schuldach, wären nach dieser Lesart zu wenig. Immerhin: Der Gesetzentwurf thematisiert Bestrebungen, den Sekundarunterricht so zu gestalten, dass Behinderte mit Nicht-Behinderten künftig zusammen lernen können, einen Fahrplan sucht man indes vergeblich. Eine aktualisierte Analyse über die Lage der Behinderten – die letzte stammt von 1997 – fehlt ebenso. Dann wäre sicher aufgefallen, wie schlecht es um höhere Bildungschancen von Behinderten in Luxemburg steht.

„Pour méritoires qu’apparaissent les objectifs fixés par la convention à approuver, l’exposé des motifs reste laconique, voire évasif quant au programme de mise en oeuvre des en­gagements internationaux que le ­Luxembourg s’apprête à prendre“, schalt denn auch der Staatsrat den vorliegenden Text. Und weiter: „Si la ratification des actes sous examen ne doit pas se limiter à un relevé de bonnes intentions sans lendemain pratique, il faudra sans délai procéder à un inventaire des mesures législatives, administratives et budgétaires requises“, schreibt er und fordert ein Aktionsprogramm mit konkretem Zeitplan.

Ins selbe Horn stößt die Handelskammer, die sich darüber wundert, dass der Gesetzgeber nicht die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen hat, sich über die Verpflichtungen der Betriebe zu äußern. Die Barrierefreiheit in privaten Unternehmen und bei Dienstleistungen ist gesetzlich nicht näher geregelt. Man werde sich der Themen „eines nach dem an­deren“ annehmen, versprichtPierre Biver, Behindertenbeauftragter im Familienministerium, im Gespräch mit dem Land.

Über noch einen anderen Artikel verliert der Entwurf erstaunlich wenig Worte: Artikel 33 der UN-Konvention regelt die Umsetzung und Überwachung des Völkerrechts. Die Rolle der Anlaufstelle, die über die Durchführung der Maßnahmen wachen soll, werde das Ministerium übernehmen, sagt Pierre Biver. Im Exposé des motifs wird darüber hinaus die Menschenrechtskommission als Organ für das Monitoring genannt, ein Vorschlag, der im Sektor auf Zustimmung stößt: „So wird deutlich, dass unsere Grundrechte im Grunde Menschenrechte sind“, lobt Patrick Hurst. Doch die Menschenrechtskommission berät lediglich über Gesetzesvorschläge und kann Gutachten zur Lage der Menschenrechte abgeben, ein Klagerecht, das es ihr erlauben würde, bei Verstößen die Gerichte anzurufen, hat sie nicht. Das gilt übrigens auch für den Conseil pour l’égalité du traitement, der über das Diskriminierungsverbot wachen soll. Seit Mai berät nun eine Arbeitsgruppe innerhalb der Menschenrechtskommission über die UN-Konvention; die Frage der Kontrolle ist ein Kernanliegen auch für sie. Es sei gut möglich, dass man im Gutachten auf das fehlende Klagerecht zurückkommen werde, heißt es aus ihren Reihen.

Ebenso kniffelig wie die Frage nach einer wirksamen Kontrolle ist die Beteiligung der Zivilgesellschaft an den damit verbundenen geplanten Maßnahmen – und insbesondere der Betroffenen. Pierre Biver vom Familienministerium verweist auf den Conseil supérieur des personnes handicapées, der ebenfalls ein dreiseitiges Gutachten zum Gesetzentwurf verfasst hat. Aber dessen Mitglieder werden von der Familienministerin eingesetzt, Behinderte werfen dem Gremium überdies vor, nicht effizient genug zu funktionieren.

Der bei Info-Handicap angesiedelte Conseil national des personnes handicapées ist als Dachverband von Organisationen für und von Behinderten erster Ansprechpartner, wenn es um inhaltliche Fragen rund um das Thema Behinderung geht, aber die Mitglieder vertreten teils sehr unterschiedliche, gar konträre Interessen. Während Träger sich etwa für mehr staatlich finanzierte Arbeitsplätze für Behinderte einsetzen, liegt für die Betroffenen die Priorität eher darauf, selbstbestimmt und voll integriert zu leben.

Der Interessenkonflikt schwelte auch bei den Beratungen zur UN-Konvention, als eine Arbeitsgruppe von Info-Handicap, die die UN-Konvention vorbereiten sollte, um ein Mandat bat, selbst eine kritische Würdigung des Entwurfs vornehmen zu können. Der Verwaltungsrat blockte das Ansinnen ab, Info-Handicap-Chef Silvio Sagramola betont zwar, die internen Beratungen seien nicht abgeschlossen, aber das Problem der fehlenden Eigenvertretung behinderter Menschen sieht auch er.

Das Familienministerium hat derweil eine neue Initiative gestartet und will nun ein Steuerungskomitee gründen, das über einen weiteren Aktionsplan beraten soll. Zum Sommer, so hofft Biver, eine „erste Zwischenbilanz“ geben zu können. Behinderte jedoch fürchten, einmal mehr als „Alibi“ missbraucht und allenfalls beratend tätig werden zu können, ohne echtes Mitspracherecht. Bisher war es oft so, dass die Betroffenen neben dem Ministerium und den Trägerorganisationen in der Minderheit waren. So stellen sich die Betroffenen die Einlösung ihrer Forderung „Nicht über uns, ohne uns“ aber nicht vor. Offenbar des zähen Kämpfens müde geworden, denken nun einige über die Gründung eines eigenen Rates nach, der ausschließlich die Interessen der Behinderten vertreten würde. Sollte der kommen, wäre das ein Novum in der Luxemburger Geschichte. Immerhin das hätte die geplante Ratifizierung der UN-Konvention dann schon bewirkt.

Ines Kurschat
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