Im Dezember begann die CSV die Regierung mit der Impfpflicht vor sich herzutreiben. Nun bringt „Omikron“ alles durcheinander

Wien huet en Impfplang?

d'Lëtzebuerger Land du 14.01.2022

„Wir machen es uns nicht einfach, im Gegenteil“, betont LSAP-Fraktionspräsident Yves Cruchten. Am Dienstag habe die Fraktion das Thema Impfpflicht diskutiert, am Mittwoch die Parteileitung. Gesundheitsministerin Paulette Lenert war auch dabei. Doch statt einen Beschluss zu fassen, fielen der LSAP-Spitze in der zwei Stunden langen Sitzung neue Fragen ein. Weshalb sie sich am Wochenende erneut trifft. „Recht schnell“, so Cruchten, „waren wir uns aber einig, dass eine Impfpflicht heute, bei Omikron, nicht helfen würde“. Sie sei eher etwas für künftige Varianten.

Dass die LSAP sich darin schon einig ist, ist einerseits bemerkenswert, andererseits nicht. Bemerkenswert, weil erst am späten Mittwochabend allen Abgeordneten ein „Synthesebericht“ mit Fragen der Regierung zur für nächsten Mittwoch angekündigten Konsultationsdebatte im Parlament vorlag, aber noch ohne die Position der fünfköpfigen Expertengruppe zur „sanitären Notwendigkeit“ einer Impfpflicht. Nicht bemerkenswert ist es wiederum, weil ziemlich klar ist, dass bis zum Inkrafttreten einer Impfpflicht noch Wochen vergehen dürften. Käme es dann massenhaft zu Erstimpfungen, würden bei diesen Personen weitere vier Wochen bis zur zweiten Impfung verstreichen und anschließend noch eine bis zwei Wochen, ehe die Wirkung sich voll entfaltet. Gesamtgesellschaftlich würde eine Impfpflicht sich vielleicht erst im April bemerkbar machen. Bis dahin könnten viele Menschen sich mit der Omikron-Variante infiziert haben, die ansteckender ist als Delta. Oder bringt auch die erste Impfung schon ein wenig Schutz, und eine Impfpflicht so schnell wie möglich wäre wichtig?

Als Delta noch vorherrschte, war alles klarer. Die Covid-Neuinfektionen hatten zugenommen, die Hospitalisierungen auch, doch längst nicht so stark wie 2020. Die Impfrate wuchs kaum noch. Mitte Dezember wurde das Covid-Gesetz verschärft, mit 3G am Arbeitsplatz, was ab dem morgigen Samstag gilt, und 2G für den „Freizeitbereich“. Wenige Wochen zuvor gab es in der Hauptstadt die ersten aggressiven Antivaxx-Kundgebungen. Das Polizeiaufgebot wurde um Beamte und einen Wasserwerfer aus Belgien ergänzt. Unter diesen Umständen konnte eine Impfpflicht nicht nur sanitär, sondern auch gesellschaftspolitisch als sehr angebracht erscheinen: Statt indirekt Druck auszuüben mit 3G und 2G, wären die Regeln dann für alle dieselben. In der Bevölkerung gewann die Impfpflicht an Zustimmung. Vielleicht, damit Ruhe einzöge, vielleicht, damit die Seuche verschwände. Weil sowohl DP-Premier Xavier Bettel als auch die LSAP-Gesundheitsministerin davon lange nichts wissen wollten, die populäre Paulette Lenert eine Impfpflicht noch im Dezember das „letzte Mittel“ nannte, erkannte die CSV die Gelegenheit zu zeigen, dass die Regierung mal wieder keinen Plan habe, und warb für die Impfpflicht. Als ihre Fraktion am 24. Dezember, als das Covid-Gesetz weiter verschärft wurde, im Parlament per Motion die Diskussion und Vorbereitung einer Impfpflicht für alle ab 18 verlangte, hätte ein Nein dazu die Mehrheit das Gesicht gekostet. Xavier Bettel sah das offenbar kommen: Am 22. Dezember auf einem Covid-Briefing, als die Gesundheitsministerin sich noch wand, erklärte er kurz entschlossen, „ich möchte eine Entscheidung bis Mitte Januar“.

Mitte Januar ist jetzt. Doch Omikron hat alles durcheinander gebracht. Die Inzidenz ist sehr hoch, die Hospitalisierungen sind noch stabil. In den Alten- und Pflegeheimen, vor einem Jahr Epizentren von Sterbefällen, sei die Lage „beruhigend“, gaben Familienministerin Corinne Cahen (DP) und der Epidemiologe Joël Mossong vom Gesundheitsamt am Mittwoch im parlamentarischen Familienausschuss an: Die Inzidenz in den Heimen liege unter dem nationalen Schnitt. Es gebe keine einzige schwere Covid-Erkrankung und nur „sehr wenig“ symptomatische. Im Fokus der Regierung steht nun zu vermeiden, dass unnötig lange Isolierungen Covid-Positiver das Funktionieren wichtiger Bereiche gefährden. Die Weltgesundheitsorganisation erklärte vergangene Woche amtlich, Covid-Erkrankungen nach einer Omikron-Infektion verliefen allgemein leichter als nach einer mit Delta. Was soll dann eine Impfpflicht mit einem Vakzin, das vor schweren Krankheitsverläufen schützt, aber schon unter Delta nur für einige Monate die Übertragung des Virus bremsen konnte, während Omikron noch ansteckender ist?

Die CSV stellt sich solche Fragen natürlich, will aber aus taktischen Gründen von der Regierung wissen, was davon zu halten ist, und sich dann äußern. „Die Expertengruppe hätte schon im Herbst einberufen werden können“, klagt Ko-Fraktionspräsidentin Martine Hansen, sicher nicht zu Unrecht. Die Spitzen der Koalitionsparteien sind gezwungen, deutlicher zu sagen, was sie wollen. Die DP mache ihre Entscheidung abhängig vom Sanitär-Befund der Experten, erklärt Fraktionschef Gilles Baum: „Falls er zu dem Schluss kommt, dass wir eine Impfpflicht brauchen, dann sind wir für eine für alle Erwachsenen.“ Doch Baum unterstreicht: „falls“. Und dass diese Frage sich „nächsten Herbst konkreter stellen“ könnte.

Auch die Grünen, die vergangene Woche prinzipiel Ja zu einer Impfpflicht für alle Erwachsenen gesagt haben, wollen noch wissen, wann sie sanitär nötig wäre. „Für diesen Winter käme sie wohl zu spät“, vermutet Ko-Parteipräsident Meris Sehovic. „Wir führen die Diskussion vor allem, um für den Winter 2022/2023 vorbereitet zu sein. Nicht jetzt darüber zu reden, wäre ein Fehler.“ Wie die Grünen die Sache sehen, wäre eine Impfpflicht gemessen an den bisher verhängten Covid-Einschränkungen ein „kleiner Eingriff“ in Grundfreiheiten.

Nachdem Radio 100,7 gestern gemeldet hatte, dass ein Bericht mit 28 Fragen an die Abgeordneten gegangen sei, machte das Staatsministerium ihn kurz darauf öffentlich. Der Sanitär-Befund der Experten hingegen ist, Land-Informationen zufolge, erst für den heutigen Freitag angekündigt. Das ist keinen Tag zu früh, wenn die Kammerdebatte nächsten Mittwoch stattfinden soll. Denn aus dem Bericht der Regierung lässt die „sanitäre Notwendigkeit“ sich nicht ablesen. Doch der Premier wünscht sich Anregungen zum Beispiel zu der Frage, ob die Impfpflicht für alle Erwachsenen, oder schon für ältere Minderjährige, oder erst für Ältere ab 50 oder 60 gelten sollte. Ein juristisch interessanter Punkt ist der, dass den Abgeordneten aufgetragen wird zu bedenken, dass wegen der noch immer nur begrenzten Marktzulassung der Covid-Vakzine der Staat für Impfschäden haftbar würde, falls Impfpflicht gälte.

Dass Zeitdruck herrscht und die epidemiologischen Expertisen spät vorliegen werden, dürfte es vor allem Piratenpartei und Linken erschweren, zu einer Position zu gelangen: Beide Parteien konsultieren ihre Basis – die Piraten in einer Art Urabstimmung, déi Lénk in einer Befragung, nach der die Nationale Koordination der Partei eine Entscheidung trifft. Für déi Lénk ist die Angelegenheit delikat, weil ihre Abgeordnete Nathalie Oberweis sich bisher gegen eine Impfpflicht ausgesprochen hat, zuletzt am Dienstag gegenüber lessentiel.lu. Dem Land sagte sie, sie sei „offen“ für die Diskussion in der Nationalen Koordination, der sie selber angehört, aber auch „gespannt“, ob es den Parteikolleg/innen gegebenenfalls gelingen werde, sie von der Notwendigkeit einer Impfpflicht zu überzeugen. Falls nicht, könnte Oberweis und vielleicht auch ihre Kollegin Myriam Cecchetti sich in der Lage wiederfinden, mit der ADR zu stimmen. Die hat den klarsten Plan: „Ja zur Impfung, Nein zur Impfpflicht.“

Während die Aussicht, über die Impfpflicht zu stimmen wie die ADR, Lénk-intern für Spannungen sorgt, fordert die Debatte die LSAP als Partei Paulette Lenerts heraus. Die LSAP muss besonders glaubhaft machen, jenen Ansatz zu einem Impfplang zu haben, den die CSV in Wirklichkeit nicht hat. Inklusive einer plausiblen Position, welche Regeln für die 200 000 Grenzpendler/innen gelten sollen. Denn selbst in Deutschland, wo die neue Regierung eine Impfpflicht angekündigt hat, will Kanzler Olaf Scholz nun, ähnlich wie Xavier Bettel, vom Parlament Vorschläge haben. „Die frontaliers sind ein Riesenknackpunkt“, meint Yves Cruchten. Die Kollegen von den Grünen haben dazu noch keine Position. Die CSV auch nicht; sie wartet auf Vorschläge der Regierung.

Peter Feist
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