In scheinbar keinem anderen Filmsetting lässt sich das Verhältnis des Menschen zu Tier und Natur so organisch und so tiefgreifend zugleich verbinden, wie auf Island. Und zwar unabhängig von den filmischen Disziplinen: Ob die ätherischen Rocker von Sigur Rós im Konzertfilm Heima, die Protagonistin aus Woman at War mit ihren ökoterroristischen Tendenzen oder die isolierten, zerstrittenen Brüder und Schafszüchter aus Rams – sie alle und die Filme, die sie begleiten, erzählen davon, was es heißt, Mensch auf und in der Erde zu sein. Und von Björk soll an dieser Stelle nicht mal die Rede sein, außer dass sie nach über 20 Jahren für Robert Eggers’ The Northman wieder vor einer Filmkamera zu sehen sein wird. Dazu später mehr.
Das Paar im Zentrum von Lamb (Dýrið), dem Regiedebüt von Valdimar Jóhannsson, lebt genau wie die beiden Protagonisten aus Rams sehr isoliert, wenn auch um Lichtjahre idyllischer, in seinen eigenen vier Wänden und kümmert sich liebevoll um die Schafherde auf dem eigenen kleinen Hof. Überhaupt wird in diesem Film mehr gemäht und geblökt, als dass Worte ausgetauscht werden. María und Ingvar sind ein eingespieltes Paar, das sich gar nicht mit unnötigen Wortkaskaden aufzuhalten braucht. Mit Blicken, routinierten Bewegungen und den Schafen leben die beiden besinnlich in den isländischen highlands. Eines Abends, einem Schaf beim Werfen beistehend, entdecken die beiden ein neugeborenes Lamm, zu welchem sie aus dem Stand eine ganze eigenartige Beziehung aufzubauen scheinen.
An dieser Stelle noch Worte über den weiteren Verlauf der Handlung zu verlieren, grenzt schon fast an schweres Fehlverhalten des plot spoilings. Der Trailer macht seinem Film insofern keine Ehre, als er genau eben das zeigt, was das fertige Produkt sich zu zeigen scheut und das hinauszögert. Es ist zu empfehlen, Lamb ohne jegliches Vorwissen zu sehen (und dann den Rest dieser Besprechung zu lesen).
„Elevated horror“ ist der neumodische Begriff für den Wurf Horrorfilm, in dem der Akzent weniger auf Schweinereien und Blut liegt, als auf der psychologischen Komponente. Dabei ist der psychologische Horrorfilm genauso alt wie das Genre selbst. Der Produzent und Vertreiber A24 hat sich in den letzten Jahren unter anderem mit solchen Filmen profiliert: Midsommar und Hereditary von Ari Aster etwa oder Robert Eggers’ The Witch und The Lighthouse. Ebenso baut Lamb auf einer eigenwilligen visuellen Identität auf, die wiederum auch seine Dramaturgie füttern will. Abe wie bei den anderen eben genannten Filmen ist bei Lamb das Problem das gleiche: Der Film sieht fantastisch aus, weiß sich seine Landschaften, seine Vistas perfekt zunutze zu machen. Island ist so ominös und geheimnisvoll wie schon lange nicht mehr, und dieser Esprit greift auch auf die Figuren über. Und natürlich ist das Mischwesen im Mittelpunkt des Films, eine Art nordischer Kentaur (Halb-Schaf oder Halb-Lamm, anstatt Halb-Pferd) ein Plus, welches sofort den Anschein verschiedener Lesarten vorgibt. Die Mär vom naturgegebenen Kinderwunsch und ihre Deklinierung davon, etwas zurückzubekommen, was einst verlorenging, und dem über alles triumphierenden Spruch: Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst, wurde bei allem unterkühlten, ruhigen und guten Willen schon viel kathartischer und ergreifender erzählt.
Regisseur Valdimar Jóhannsson hat sein Drehbuch mit dem isländischen Autoren, Poeten und gelegentlichen Björk-Mitstreiter Sigurjón Birgir Sigurðsson, oder Sjón, zu Blatt gebracht. Sjón hat jetzt auch mit Robert Eggers für The Northman kollaboriert. Mit eben Björk im Cast, womit sich dann der Kreis wohl schließen würde. Von einem einzigen ausgesprochenen „What the fuck?“ abgesehen – von der im zweiten Akt dazustoßenden dritten Menschenfigur, deren dramaturgischer Bogen irgendwann im trivial Leeren endet –, bleibt Jóhannsson konsequent am Lamm und seinen Elternfiguren, ohne auch nur ansatzweise ins Lächerliche rutschen zu wollen. Musikalische Cues wie die Beach-Boys-Nummer God Only Knows im Trailer bleiben außen vor. Die Musik von Þórarinn Guðnason – dem Bruder von Joker-Komponistin Hildur Guðnadóttir – unterstreicht die von Regisseur gewünschte Stimmung mit Drones und schweren Streichern. Dank der mise-en-scène und ihrer Konsequenz wird die präsentierte Realität auch als solche akzeptiert werden. Das uncanny valley, die Akzeptanzlücke, wird übersprungen. Das Kino gewinnt in dieser Hinsicht einmal wieder durch die Produzenten von A24, wenn auch zum Preis der nur scheinbaren psychologischen Tiefe und einem abrupten Ende, das unausweichlich scheint. Erfrischend bleibt Lamb trotzdem, nicht zuletzt für Fans der schwedischen Schauspielerin Noomi Rapace – bekannt aus den Millenium-Filmen sowie Ridley Scotts Prometheus –, die die letzten Jahre in mittelmäßigen bis schlechten Action-Vehikeln zu sehen war. Dass Lamb als abendfüllender Spielfilm und nicht nur als 30-Minüter funktionniert, ist auch ihrem nuancierten Spiel zu verdanken.