Das Leben der Prinzessin Diana, einer Ikone des 20. Jahrhunderts, hat unzählige Adaptionen für den Film und das Fernsehen hervorgebracht. Mit Spencer hat sich der chilenische Regisseur Pablo Larraín der Lebensgeschichte der überlebensgroßen Persönlichkeit angenommen. Larraín konzentriert sich in seinem Film auf die letzten, schwierigen Jahre der Ehe zwischen Diana Spencer (Kristen Stewart) und dem Duke of Whales, Prinz Charles (Jack Farthing). Das Paar hat sich vollständig entfremdet. Der Film eröffnet mit den Vorbereitungen für das Weihnachtsfest der britischen Königsfamilie, das für Prinzessin Diana zur Probe wird.
Mit anderen zeitgenössischen Darstellung des britischen Königshauses wie The Crown (2016) hat Spencer kaum etwas gemein: Das Kreisen im royalen Milieu, das Drehbuchautor Peter Morgan mit The Crown betreibt und das zu so etwas wie der Einsicht in die königlichen Lebensverhältnisse durch die Anbindung an verschiedene Figuren führen soll, also eine Multiperspektivität, wird in Spencer verneint. Pablo Larraín ist bekannt dafür, weibliche Persönlichkeiten zum Hauptthema seiner Filme zu machen: In Jackie ließ er Nathalie Portman in die Rolle der Jackie Kennedy, kurz nach dem Attentat auf ihren Mann in Dallas schlüpfen. In Ema (2019) porträtierte er das Schicksal einer frei erfunden Frauenpersönlichkeit, deren Erfahrungen einer gescheiterten Mutterschaft er in ganz expressive Bilder voller Tanzbewegungen kleidete. Mit Spencer kehrt er nun wieder zu einem historischen Vorbild zurück, und in dieser konsequenten Voreingenommenheit ist es nur folgerichtig, dass Diana zum Bedeutungs- und Aufmerksamkeitszentrum des Films wird: Sie ist die Leidende, die Weinende, die Unverstandene, die in das Räderwerk des royalen Apparats geraten ist und in dem Korsett aus Pflicht und Wahrung zu ersticken droht.
Larraíns origineller Zugang zum Stoff liegt in dem permanenten Wechselspiel zwischen der glaubwürdigen Schilderung eines unterdrückten Frauenschicksals, so wie es Lady Diana zu Lebzeiten selbst zu Protokoll gab, und der willentlich-provokativen Einbindung frei erfundener Szenen, die mit den realen Begebenheiten ironisch gebrochen werden. Ein traditionelles Biopic ist Spencer deshalb nicht, vielmehr überhöht Larraín, ausgehend von wahren Begebenheiten, diese Geschichte zu einer tatsächlichen Märchenerzählung – die aber nicht von den glamourösen Vorstellungswelten von Prinzen und Schlössern lebt, sondern mit einer zynisch-schwarzen Sichtweise gleichsam von „innen heraus“ verdorben wird. Mit allen Raffinessen, die wir aus dem Feld des psychologischen Thrillers kennen. Das gelingt ihm vor allem durch die konsequente Anbindung an die Erlebniswelt dieser Diana Spencer, die er mit Kristen Stewart prominent besetzt hat.
Zur melodramatischen Schreibweise gehört seit geraumer Zeit die Regellosigkeit wie die Maßlosigkeit. Alles scheint erlaubt, was den Effekt erhöht. So kann Stewarts ohnehin unterkühlte Ausstrahlung nur durch die Kälte der Bilder übertroffen werden: Larraín und seine Kamerafrau Claire Mathon achten auf eine überaus präzise Raumgestaltung, die genaue Anordnung der Bildinhalte, die von einer nervenaufreibenden Musikuntermalung eines dissonanten Streicherensembles vervollständigt wird – einer Filmmusik, für die das Mitglied der Alternative-Rockband Radiohead, Jonny Greenwood, verantwortlich zeichnet, der bereits Lynn Ramsays A Beautiful Day (2017) atmosphärische Intensität verlieh.
Spencer schildert den Lebensweg eines Menschen als Abfolge von Ausbeutung und Verschleierung des Individuums, die zu einer Doppelpersönlichkeit führt und so nicht tragbar ist: Die Aufhebung von Gefühlen durch ein regelspezifisches Programm, das da steht, wie ein Gesetz; die Zerstörung des Einzelnen durch die Gesellschaft, dies ist es, wogegen die Heldin sich wehrt: Der Mensch macht den Versuch einer Weigerung, Besitz zu sein, kollektiv beansprucht und verallgemeinert zu werden – und Larraíns Kunstgriff besteht darin, dieses weibliche Aufbegehren, den Weg zur Selbstbestimmung, zuzulassen.