Die Internationalen Filmfestspiele von Berlin sind in diesem Jahr dort angekommen, wo man sie sich heimlich hinsehnte, aber doch nie haben wollte: auf der heimischen Couch. In Zeiten von Corona glaubten und hofften die Berliner zu lange, auch in diesem Jahr ein traditionelles Filmfestival veranstalten zu können. Ob der Inzidenzwerte und des halbherzigen Berliner Lockdowns ein kaum nachvollziehbarer Gedankengang. Aber die Fiktion sucht immer nach dem Guten, Wahren, Schönen und Abspielbaren in Zeiten geschlossener Kinos und Filmtheater. Letztendlich in der Realität angekommen, strickte man seit Jahresbeginn hektisch an einer alternativen Form. Herausgekommen ist eine Zweitteilung des Festivals. In dieser Woche gab es über den Streaming-Dienst der Berlinale jeweils ab 7 Uhr morgens die Filme für 24 Stunden zum Anschauen für Akkreditierte des Festivals. Die Jury, so ließen die Verantwortlichen verlautbaren, seien in Berlin, schauten sich die Wettbewerbsbeiträge in einem Kino an und werden dann an diesem Samstag zur Preisverkündung schreiten. Im Juni soll ein zehntägiges Publikumsfestival folgen. Dann soll auch die Preisverleihung stattfinden.
Nun ist die Berlinale also dort angekommen, wo sie selbst nie hinwollte: auf einer Streaming-Plattform. Und jede/r Betrachter/in hat die Fernbedienung in der Hand, um schnell vorspulen zu können, die Pausetaste zu drücken oder hin und her zu zappen. Letztendlich ist dies aber der logische Schritt in der Genese des Kinos und der Entwicklung der Filmwirtschaft. Das Publikum hat einer Marotte des Zeitgeists folgend seine Vorliebe für Serien entdeckt, die oft um einen dünnen Plot entwickelt und längst auserzählt sind, wenn die Handlung in die dritte oder vierte Staffel weitergesponnen und bis zur achten Staffel ausgemolken wird. Die Zerfaserung der Handlung, der Charaktere über Stunden ist lieber gesehen, denn die kongruente Erzählung in einem zwei- bis dreistündigen Film. Dieser erfordert Konzentration – nicht nur für den Filmschaffenden.
Doch auch die Filmindustrie hat sich auf eine zwiespältige Liaison mit den Streaming-Anbietern eingelassen. Einerseits locken diese mit dem großen Geld und der unbändigen Gier nach neuen Stoffen, andererseits werden sie vom Massengeschmack und dem unbedingten Willen zur Vermarktbarkeit getrieben. Das Kino wird zum Contentproduzenten, das den Streamern willfährig folgt. Dies mag in Zeiten wie diesen hilfreich sein, wenn ob geschlossener Kinos nur noch der Online-Kanal als Distributions- und Vertriebsplattform Geld und Zuschauer/in bedeuten kann. Es ist also logisch, dass das Filmfestival diesem Trend folgt und sich ins Internet verlagert, denn einen alternativen Termin und alternative Möglichkeiten der Präsentation angeboten hätte. Filmfestspiele sind vor allen Dingen auch stets ein Ort des Austauschs von Künstler/innen, Kritiker/innen und Betrachter/innen, eine Leinwand für Produktionen, die es kaum zu einem Streaming-Dienst schaffen.
Luxemburg ist in diesem Jahr mit zwei Filmen in Berlin vertreten. Im Wettbewerb läuft die rumänisch-luxemburgisch-kroatisch-tschechische Koproduktion Barbadeală cu bucluc sau porno balamuc (Bad Luck Banging or Loony Porn) von Regisseur Radu Jude. Der Film ist ein Spiegelbild der viralen Gesellschaft, die die Anonymität des Internets ausnutzt, um über alle und alles zu urteilen. Dabei schafft die Social-Network-Gesellschaft sich einen eigenen Wertekonsens aus restaurierten Saubermannattitüden, pseudopolitischer Besserwisserei, scheinheiligem Chauvinismus, unverhohlenem Rassismus, übergriffiger Frauenfeindlichkeit und grotesken Verschwörungstheorien. Jeder hat dabei eine Meinung, ein scheinbar fundiertes Werteurteil. Ausgangspunkt im Film ist dabei ein Video, das einen Mann und eine Frau beim Sex zeigt. Das Video dreht im Internet seine Runden, wird munter geteilt und kommentiert, belacht und verrissen, bewertet und gelikt. Und obwohl die Protagonisten Masken tragen, wird die Frau erkannt. Eine Lehrerin, die eigentlich Vorbild sein muss oder soll. Alle haben eine Meinung dazu. Die Debatte wird zu einem Tribunal – über konsensualen Sex, Pornografie und allen selbstgerechten, selbstgefertigten Werten. Radu Jude inszeniert diesen Film als ein Triptychon, der zwischen medien- und gesellschaftskritischem Ansatz, über die enzyklopädische Betrachtung von Werten und Symbolen der heutigen Zeit bis hin zum Grundsatzdiskurs von Gegenwartsheldinnen und Onlinestars reicht.
In der Sektion „Generation“, die sich Filmen für junge Menschen widmet, läuft die deutsch-polnisch-luxemburgische Koproduk-tion Mission Ulja Funk. Ein klassischer Roadmovie über Wissensdurst, Fakten und Welteinsichten. Angezettelt von der zwölfjährigen Ulja, die als jüngstes Kind einer russlanddeutschen Familie in einer deutschen Kleinstadt lebt. Sie ist etwa eigensinnig, hegt jedoch eine große Begeisterung für die Wissenschaft und eckt mit ihrem Entdeckerdrang regelmäßig bei ihrer streng religiösen Oma Olga an. Als Ulja einen kleinen Asteroiden entdeckt und feststellt, dass dieser in wenigen Tagen auf die Erde stürzen wird, ist der Ofen aus. Im sprichwörtlichen Sinne. Oma Olga verbannt alles, was mit Wissenschaft zu tun hat, aus Uljas Leben. Doch sie lässt sich nicht entmutigen und heuert ihren Klassenkameraden Henk an. Der kann nicht viel – außer Autofahren. Gemeinsam machen sie sich auf die Reise nach Belarus, um den Absturz des Asteroiden mit eigenen Augen beobachten zu können. Ihnen auf den Fersen: Oma Olga, der Rest der Familie, Pastor Brotz (gespielt von Luc Feidt) und die halbe Gemeinde. Von luxemburgischer Seite produzierte Bernard Michaux von Samsa Film.