Eine Frau kommt in eine Anlaufstelle für Frauen in Krisensituationen der Stadt Wien, legt ihren Kopf auf die Tischplatte und sagt nur einen Satz: Ich kann nicht mehr. Die Frau ist vor zwei Jahren vor dem Krieg in der Ukraine geflohen und lebt allein mit ihren zwei Kindern in Wien.
Eine Frau legt sich auf den Boden in einer Stadt und bleibt einfach liegen. Sie ist liegengeblieben, sagt man in Luxemburg nach einem tödlichen Verkehrsunfall. Diese Frau hatte keinen tödlichen Verkehrsunfall. Es dauert nicht lange, und eine zweite Frau legt sich neben sie. Und eine dritte. Und vierte. Es werden immer mehr. Frauen aus allen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten und mit Migrationsgeschichten und allen möglichen und unmöglichen Geschichten. Die Frauen bleiben liegen, während um sie herum alles weiterläuft. Nicht lange. Denn ohne sie läuft gar nichts.
Alles bleibt liegen, wie sich die Frauen hinlegen. Das ist das Thema und die Aussage von Und alle so still, dem neuen Roman der österreichischen Autorin Mareike Fallwickl. Ein Roman, der trotz oder vielleicht wegen der plakativ- stereotypen Darstellung seiner Hauptfiguren, wegen des thesenhaft abgehandelten Plots viel besprochen wird, er trifft wohl den berüchtigten Nerv. Er behandelt ein solides, altes feministisches Topos, an dem sich gerade, neu inspiriert nach den Verheerungen der Pandemie eine Generation junger Schriftstellerinnen fulminant abarbeitet. Angesichts der zähen dumpfen patriarchalen Strukturen in einem Land mit einem Rekord an Frauenmorden ist dieser literarische Aufbruch immer noch ein Aufschrei, ein Notruf. Variiert wird dieser Klassiker durch die ebenfalls schon klassisch gewordenen Zutaten der Jetzt- Zeit. Aus Küche, Kirche, Kind ist Karriere, Kind geworden, und aus dem Smart Home grüßt die Influencerin.
Die Frauen im Roman von Mareike Fallwickl haben sich niedergelegt, und ihre Arbeit auch. Ihre Arbeit war ja z.T. nicht mal eine richtige Arbeit, lange gab es nicht einmal ein Wort dafür. Hausarbeit, ja, aber das mit den Menschen, wie nennt man das? Und diese Arbeit wurde nicht einmal bezahlt. Sie wird nicht einmal bezahlt. Und was ist etwas wert, was nicht bezahlt wird?
Es ist das Allerwertvollste, sagt Mann, und auch viele Frauen sagen das, so wertvoll, dass Mann es nicht zahlen kann. Liebe heißt dieses Allerwertvollste. Und zuständig dafür ist die Liebevolle, umgangssprachlich auch Frau genannt. Zuständig neben der Arbeit, für die sie ja eh Geld bekommt, wenn auch sehr oft sehr viel weniger als der Mann, was jährlich zum Frauentag angemerkt wird. Aber sie hat es ja so gewollt!
Und ist dieses Allerwertvollste nicht zugleich das Allernatürlichste? Care- Arbeit, sagen diese Weiber jetzt so sachlich gefühllos, und stellen Rechnungen auf. Diese Erbsenzählerinnen von Liebeseinheiten.
Liebe. Und dann kommen diese Monster von Regretting Motherhood. Und diese Abtreibungsweiber. Dass abgetrieben wird, schön und gut, was sein muss, muss sein, aber muss man das auch noch demonstrieren? Statt es diskret zu erledigen, sich diskret zu entledigen? Und überhaupt, was ist mit den Kindern? Denen, die da sind. Schließlich haben sie sie gewollt! Wer hat denn heute noch ungewollte Kinder?
Ein paar Frauen sitzen zusammen, sie reden über die ukrainische Frau, die in die Anlaufstelle für Frauen in Krisensituationen hineinging und den Kopf auf den Tisch legte. Sie nicken und blicken, als wüssten sie. Sie sind keine Ukrainerinnen, sie waren nicht im Krieg. Nur im Alltag.
Die ukrainische Frau wurde an der zuständigen Stelle gelobt, weil sie rechtzeitig gekommen war. Bevor noch. Ihre Kinder werden in einem Krisenzentrum der Stadt Wien betreut, eine Zwischenlösung, die nichts Erfreuliches hat. Aber besser als nichts. Ihre Kinder werden zu ihr zurückkehren, der Frau wird geraten, es sich in der Zwischenzeit gut gehen zu lassen. Und dann? Was dann?
Ob es etwas anderes geben wird für sie geben wird als das bewährte gesellschaftliche Gleitmittel? Das Anti-Depressivum für Frauen.