Als die Fraktionschefs der Parteien im Frühjahr darüber berieten, ob die Plenarsitzungen des Parlaments nicht integral im Fernsehen ausgestrahlt werden sollten, konzentrierten sich die Diskussionen rasch auf das Wesentliche: etwa, ob die Kameras an der Saaldecke nicht an für die DP ungünstigen Punkten angebracht seien.
Mit den entsprechenden technischen Nachbesserungen scheinen solche Probleme inzwischen zufriedenstellend gelöst zu sein. Denn bereits bei der missglückten Renovierung der Kammer waren zwar akzeptable Sitz- und Arbeitsplätze für die geschriebene Presse vergessen worden, aber dafür war nicht an der millionenteueren Videoanlage und Bildregie gespart worden.
Weshalb sollte die Chamber auch dem deutschen Bundestag nachstehen, der seine mit nur lächerlichen drei Standkameras aufgezeichneten Sitzungen als Parlamentsfernsehen über Intelsat und das Berliner Kabelnetz verteilt? Oder den französischen Kolleginnen und Kollegen, die mit jeweils zwei Dutzend Berufsjournalisten ihre LCP-AN (La chaîne parlementaire - Assemblée nationale) und Public Sénat über TPS, CanalSat und verschiedene Kabelnetze verteilen?
Auf den Übertragungsweg hatte man sich bis zum Sommer geeinigt: gegen entsprechende Entschädigung sollten die Parlamentsdebatten im RTL-Kanal zu sehen sein. Doch dann begann der Ärger, als Tango ankündigte, Musicclips zur Förderung des Handy-Verkaufs bei Teenagern ausstrahlen zu wollen. Worauf RTL sofort seine bisher nur für das Abendmagazin genutzte eigene nationale Fernsehfrequenz mit Clips auffüllte, so dass diese nachmittags nicht mehr für die Parlamentssitzungen zur Verfügung stand. Schon die Live-Übertragung der Sessionseröffnung durch den Großherzog am 9. Oktober passte nur mit Mühe ins Programm.
Also mussten der für letzten Monat vorgesehene Starttermin verschoben und eine eigene Konzession beantragt werden. Was die Abgeordneten allerdings auch arrangierte. Befürchteten sie doch, dass bei einer Zusammenarbeit mit RTL Sitzungsverlängerungen ausgeblendet würden, um dem abendlichen Häppy Diwwi Platz zu machen. Außerdem sähen die Abgeordneten es gerne, wenn die nachmittags nur für Rentner und Hausfrauen zugänglichen Live-Übertragungen im Laufe des Abends für die erwerbstätige Wählerschaft wiederholt würden.
Eine landesweite terrestrische Frequenz konnte der um Rat gefragte geschäftsleitende Kommunikationsminister François Biltgen aber nicht beschaffen. Und eine Satellitenfrequenz wollten sich die Deputierten nicht leisten, weil sie sich des Publikumserfolgs ihres Programms nicht sicher waren und deshalb befürchteten, das Verschleudern von Steuergeldern vorgeworfen zu bekommen.
So einigte man sich darauf, erst einmal das hausgemachte Bildsignal in die Kabel der Gemeinschaftsantennen einzuspeisen. Was allerdings Einzelverhandlungen mit den zahlreichen Kabelbetreibern verlangt, von denen manche auch über mangelnde Bandbreite für ein zusätzliches Programm klagten.
Außerdem haben inzwischen viele Haushalte auf den notorisch schlechten Kundendienst der Kabelbetreiber verzichtet und sich eine Satellitenschüssel aufs Dach gesetzt. Sie müssen, wie die Abonnenten abgelegener Kleinnetze, erst einmal auf das Programm verzichten. Nach optimistischen Schätzungen sollen rund 40 Prozent aller Haushalte von der elektronischen Öffentlichkeit der Parlamentssitzungen ausgeschlossen bleiben. Wobei dieses kleine Mehr an demokratischer Kontrolle hauptsächlich den Wählern in den urbanen Kantonen Luxemburg und Esch zugute kommen dürfte. Während die üblichen Kulturoptimisten und -pessimisten noch rätseln, ob der Fernsehparlamentarismus die Abgeordneten zu größerer Disziplin oder zu größeren Showeinlagen bewegt und alle Deputierten geschminkt reden wollen.
Jedenfalls beantragte das Parlament der Form halber eine Sendekonzession bei der dafür zuständigen Unabhängigen Rundfunkkommission. Doch die Kommission kam nun zu dem Schluss, dass das Parlament gar keine Konzession wie andere Antragsteller erhalten könne. Denn über dem Rundfunkgesetz steht Verfassungsartikel 61, der verfügt: "Les séances de la Chambre sont publiques, sauf les exceptions à déterminer par le règlement."
Gleichzeitig schreibt das Gesetz aber vor, dass nur senden darf, wer eine Konzession hat. Beim Votum des Gesetzes war das Parlament seinerzeit wohl nicht auf die Idee gekommen, dass es einmal selbst Fernsehen machen möchte. Außerdem gilt das Verfassungsprinzip nur für die Übertragung der Plenarsitzungen. Wenn das Parlament außerhalb der Sitzungszeiten oder während der Ferien sein Programm auch mit weiteren Informationen zur staatsbürgerlichen Bildung auffüllt, ist wiederum eine Konzession nötig.
Doch außer der Gewissheit, sich selbst möglichst oft und lange im Fernsehen zu sehen, haben sich die Abgeordneten bisher nur wenig konkrete Gedanken zum Programm selbst gemacht. Zur Sicherheit soll einmal schnell ein Journalist eingestellt werden. Ausländische Parlamentsprogramme senden neben Live-Übertragungen der Sitzungen und deren Wiederholungen auch Kolloquien, Rundtischgespräche, Reportagen und sogar Nachrichten. Dabei dürfte die Kammer binnen kurzer Zeit sendebereit sein. Auch wenn die Gesetzgeber keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen und deshalb der Minister für die Beziehungen zum Parlament für alle Fälle den geschäftsleitenen Kommunikationsminister zwecks Vermittlung einer Sendekonzession anschreiben muss. Wobei dank Ironie der Ämterhäufung François Biltgen einen Brief an François Biltgen schickt.
Das Gesetz wirft aber auch andere Fragen auf. Laut Gesetz müsste eine Person oder ein Unternehmen, die in den über Fernsehen ausgestrahlten öffentlichen Debatten erwähnt werden, ein Recht auf die Ausstrahlung einer Gegendarstellung haben. Doch diese Bestimmung steht teilweise im Widerspruch zu Artikel 68 der Verfassung: "Aucun député ne peut être poursuivi ou recherché à l'occasion des opinions et votes émis par lui dans l'exercice de ses fonctions." Analog zur elektronischen Übermittlung der Sitzungen fiel bisher deren schriftliche Aufzeichnung, der Compte rendu des séances publiques, auch nicht unter das Pressegesetz und dessen Antwortrecht.
Doch mit der Fernsehübertragung aller Sitzungen dürften die Tage des einst als international beispielhafte demokratische Errungenschaft gepriesenen, weil kostenlos an alle Haushalte verteilten Sitzungsberichts in seiner heutigen Form gezählt sein. Denn seine Kritiker werfen ihm seit Jahren vor, viel zu spät nach den Sitzungen zu erscheinen, zu kostspielig zu sein und in den meisten Haushalten ungelesen in den Abfall zu wandern. Und weil niemand es wagt, das Chamberbliedchen ganz abzuschaffen zu wollen - am Wahltag zählt schließlich jede Stimme -, macht immer wieder der Vorschlag die Runde, es nur im kostenlosen Abonnement an jene zu verteilen, die es ausdrücklich begehren. Um so einige Millionen einzusparen, die zur Finanzierung des Chamber-TV abgezweigt werden könnten.
Wenn man sich aber derzeit damit begnügt, die ohnehin schon hausintern und über Internet gezeigten Bilder der Plenarsitzungen in die Kollektivantennennetze einzuspeisen, fallen die Kosten dieser werbefreien Fernsehoase kaum höher aus als für Hobbyprogramme wie Uelzechtkanal und Kueb-TV. Und wenn das Programm einmal aufwändiger und damit teurer wird, gibt es noch immer das große Vorbild aus der Heimat des Wirtschaftsliberalismus: In den USA sendet schon seit 20 Jahren C-Span (CableSatellite Public Affairs Network) und wird im Namen der Demokratie mit einer Abgabe auf den Gewinnen der Kabelbetreiber finanziert.