Theater

„Und dann habe ich Hans getroffen ...“

d'Lëtzebuerger Land vom 31.03.2017

Begehren sollte gerade auf der Bühne funktionieren. Videoprojektionen sind längst integraler Bestandteil des Theaters. Meist untermalen sie das Geschehen, peppen eine Inszenierung auf oder erzeugen eine sinnliche Atmosphäre. Nicht so in Gesine Schmidts Begehren. Ihre zusammengetragenen Zeugnisse erzeugen in der Inszenierung im Kapuzinertheater gähnende Leere. Sex erscheint hier als Lifestyle-Produkt, das jeder auf irgendeine Art und Weise braucht und konsumiert. Das erinnert entfernt an Michel Houellebecq, wirkt jedoch angesichts der im Stück transportierten Tristesse durch deutsche Nachkriegswohnzimmer mit Blumentapete nicht verstörend, sondern trostlos. Für ihr Projekt hat die Dokumentarautorin unzählige Personen im Alter von 26 bis 75 Jahren befragt; unterschiedliche Menschen erzählen in dem Stück von ihren Lebenswegen und sexuellen Vorlieben. Regisseurin Brit Bartkowiak geht dem Phänomen des Begehrens nach, indem sie die Bekenntnisse der befragten Personen durch sieben Schauspieler unterschiedlichen Alters reproduzieren lässt: „Let’s talk about sex!“ oder „Einsichten in deutsche Schlafzimmer“ könnte man die Inszenierung auch nennen.

„Es geht immer nur ums Ficken“, erklärt ein notorischer Fremdgeher, während Helga, 75 Jahre (Monika Dortschy) nüchtern von ihrer Kindheit in der DDR erzählt: „Nacktheit war für uns normal.“ Gero, 45 Jahre (Johannes Schmidt) ist heute erklärter Fachmann für Sado-Maso-Spiele. Und so fing es an: „Meine Freundin hat zum ersten Mal gesagt, ‚hau mich bitte!’“ Laura, 26 (Leonie Schulz) ist hingegen ganz und gar im Web 2.0 unterwegs. Aufgedreht erzählt sie von einer Dating-App. Auf der virtuellen Kontaktbörse schaue sie, wer gerade in der Nähe ist und mit wem sie was starten könne: „ein bisschen Fleischbeschau ist das schon“, räumt sie ein, bevor sie von dem Wochenende mit Freundinnen erzählt, das sich allein darum drehte, wer die besseren Sex-Abenteuer vorzuweisen hatte. Für die abgefahrensten Bekenntnisse verleiht sich die Mädels-Clique Orden. Mit 155 Männern haben sie und ihre drei Freundinnen bisher etwas gehabt und diese in einer Statistik bewertet. Der 40-jährige Ole (Denis Larisch) steht im türkis-gekachelten Badezimmer und erzählt putzend von seinen präpubertären Erfahrungen mit anderen Jungs. Die homoerotischen Erlebnisse seiner Jugend hätten ihn angetörnt, und er wollte es dann halt wieder und wieder nur mit Jungs machen.

Das Bühnenbild, vermeintlich verwegen, doch eher verstaubt-spießig: ein roter Glitzervorhang, dahinter eine Küche, ein Badezimmer und ein Schlafzimmer mit Blümchenmustertapete. Mitunter hat man als Zuschauer den Eindruck, in ein dreigeteiltes Puppenhaus zu blicken. In diesen drei Zimmern lassen die sieben Schauspieler ihren sexuellen Fantasien freien Lauf und entleeren Bekenntnisse vor den Zuschauern. Gespiegelt werden sie durch Live-Videoaufnahmen. Quasi doppelt hört und sieht man also, wenn Helga feuchte Augen kriegt und schwärmerisch erzählt: „Und dann habe ich Hans getroffen ...“

Begierde glüht nur funkenweise auf, im Großen und Ganzen plätschert die Regie ohne Höhepunkte 105 Minuten lang vor sich hin. Sex, Liebe und Leidenschaft werden gnadenlos zerredet, sodass das Begehren flöten geht. Da helfen auch keine begleitenden Tangoklänge.

In ihrer Video-Feldforschung kam Schmidt zu dem Schluss, dass „die meisten heute in einer moralisch regressiven Phase leben, die die Ehe wieder an erste Stelle rückt“. Das gelte auch und gerade für die junge Generation. Letztlich suchten fast alle Menschen Sex, aber vor allem „eine tiefe, beständige Resonanz im Anderen“.

Bedarf es in Deutschland, aber vor allem im einst erzkatholischen Luxembourg, in dem man keinen repressiven Moralzwängen mehr unterworfen ist, noch einer Enttabuisierung? Braucht es ein Stück, in dem sexuelle Vorlieben benannt und individuelle Wünsche per Video- und Schauspielkunst vorgeführt werden? Wo bleiben lesbische Erfahrungen, wo die von Trans-Personen? Begehren wirkt effektheischend und kaum verstörend. Die Inszenierung ist vor allem fade und abtörnend.

Begehren – eine doku-fiktionale Feldforschung von Gesine Schmidt ist eine Koproduktion zwischen dem Staatstheater Mainz und den Théâtres de la Ville de Luxembourg. Inszenierung: Brit Bartkowiak, Bühne: Nikolaus Frinke, Kostüme: Carolin Schogs, Musik: Ingo Schröder, Video: Dirk Richard Heidinger, Licht: Jürgen Sippert; Dramaturgie: Patricia Nickel-Dönicke. Mit: Monika Dortschy, Heike Trinker, Catherine Janke, Leoni Schulz, Martin Herrmann, Johannes Schmidt, Denis Larisch. Premiere in Luxemburg war am 24. März im Kapuzinertheater. Keine weiteren Spieltermine.

Anina Valle Thiele
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