Das brandneue Jahr knallt uns um die Ohren, die Küsse und die Korken knallen, es gibt himmlische Explosionen. Aber sie könnten auch höllischer Natur sein, wer ist sich da schon so sicher! Nichts ist mehr sicher, alles ist offen, ein Riesenrätsel, ein Gesellschaftsspiel mit lauter Unbekannten.
Überall, von überall her tauchen neue Mitspieler auf, sogar mit neuen Regeln, müssen wir die jetzt auch lernen? Turboschnell buchstabieren wir Namen und Hintergründe, ha, wir werden immer globaler. Wenn man bedenkt, dass wir vor 150 Jahren, mir ist, als sei es gestern gewesen, in einer Nebelsuppe saßen, ab und zu eine Kartoffel aßen, die uns die netten Indianer gespendet hatten, sonst war nicht viel. Und jetzt, dieser Horizont, diese Grenzenlosigkeit. Zu Weihnachten essen wir alle Nationalitäten und sonst auch, die Coolen speisen syrisch.
Alles ist offen, wir starren in die Menschheitsnacht, wir können ja die Sterne fragen. Vielleicht wissen die was. Oder die Astrologinnen und Wahrsagerinnen, die komischerweise nie verwertbare Tipps geben, wo die Erde wann wackelt oder wo man wann besser nicht herumspazieren sollte. Meistens deuten sie bedeutungsvoll große Veränderungen an, natürlich auch im Bewusstsein. Ja, das sich vieles verändert, auffällig schnell, ist den meisten von uns allerdings bewusst geworden. Orchideen sprießen zu unsern Füßen, wenn wir durch den Winterforst wandeln, erinnert sich jemand an Eisblumen?
Alles verwandelt sich nonstop. Es gibt nicht mal mehr verlässliche alte Feinde, die sich verlässlich böse verhalten, wie man es von ihnen erwartet, treue alte Schurken, Lieblingsfeindbilder. Die Politiker benehmen sich konfus verhaltensoriginell, flattern herum wie die aufgescheuchten Vögelchen im warmen Winterwald. Machen irgendwas, zum Beispiel bomben, irgendwen.
Zu wem hältst du? Auf diese Frage gab es in der schlichten, alten Zeit meist angenehm einfache Antworten. Zwischen den Guten und den Bösen gab es Mauern, sogar eine chinesische. Greisinnen erinnern sich jener Zeiten, als Grenzen und Mauern und Schranken die Menschen in die Schranken verwiesen; alles war schön begrenzt und beschränkt, vor allem die Menschen. Ein solider Mensch, das war ein Kompliment. Sie wussten angeblich sogar, wer sie waren, wohin sie gehörten und wem, dem seiner oder seine. Jeder kannte sein Geschlecht und (ver)wechselte es nicht, Leib- und Seeleneigenschaft sorgten für überschaubare Verhältnisse. Die Chefs trugen Krawatten und Bäuche, die Chefinnen Schürzen und Bäuche. Es gab Eheringe, die Ehe war ehern, man konnte nicht einfach gähnend rausspazieren wie aus einem faden Film. Das war, bevor die wahnwitzigen Menschen anfingen, sich selber zu suchen.
Alles ist offen, die Grenzen, die Herzen, dann wieder, huch!, zu, schnell, dann wieder ... So richtig weiß keiner was ist, was wird, aus uns, aus allem. Ein interessantes Experiment auf jeden Fall, ein Menschenexperiment. Vielleicht hat das ja alles mit dem Wassermannzeitalter zu tun, von dem schon alte New Ager in der Uucht erzählten? Oder doch nur ein einziges Notfallszenario?
Alte Denkmuster werden ausgemustert, es gibt bestimmt bessere. Manche denken nicht mehr nach oder vor, sie denken quer. Große Konzerne stellen Philosophinnen ein. Neue Energien Synergien Allergien werden freigesetzt, neue Roh- und Nährstoffe erforscht. Neue Menschen kommen ins Land. Manche bringen allerdings alte Götter mit.
Es gibt sogar neue Väter, noch neuere als 1990, als es auch schon neue gab. Die allerneuesten Vätermodelle oder Vätermodels kann man in Vätercafés besichtigen, mit Anhang, der an der Trapperbrust hängt oder im Haarknödel herum stochert. Manche Väter, typisch Mann, typisch Perfektionist, tragen ihre Kinder schon selber aus. Die Kinder sind ja ebenfalls neu, sie werden anders hergestellt und sogar bestellt. Im Buggy studieren sie ihre Tablets als Profis, kommunizieren medial mit der ganzen Welt, auch wenn sie sonst vielleicht eher einsilbig rüberkommen.
Jede Krise hat auch ihre Chance, betet der dicke Merkel-Schutzengel in den Talkshows.
Schutzengel kennen sich aus.