Pressegesetz

"Freiheit ist immer die Freiheit von Radio Luxemburg"

d'Lëtzebuerger Land vom 14.02.2002

Der laut Alphonse Sprunck "Urahn des Luxemburger Journalismus", François-Xavier de Feller, wusste, was er von der Pressefreiheit zu halten hatte: "si cette liberté n'est pas resserrée dans de justes bornes, elle devient une peste publique qui ravage les mœurs, désole la religion, ébranle la constitution des états. On songe à restraindre par une Loi sévère" (Journal historique et littéraire, Februar 1774).

Seit einem Viertel Jahrhundert wird eine gesetzliche Neuregelung eines der Grundbestandteile der hiesigen Demokratie als überaus dringliches Anliegen bezeichnet, ähnlich der ebenso lang versprochenen Reform der Gewerbeinspektion oder des Service de renseignements. Doch der Ruf nach einer Reform des Pressegesetzes kommt nicht von den Lesern und Zuhörern, für die die Presse gemacht wird, und nicht einmal von den günstiger oder ungünstiger in der Presse dargestellten Personen.

Trotzdem verspricht der vor wenigen Tagen im Parlament deponierte Gesetzentwurf zumindest letzteren wichtige Fortschritte. Es schreibt beispielsweise präzise die Unschuldsvermutung in Ermittlungs- und Strafverfahren vor. Sie wird häufig missachtet, besonders wenn es um arme Teufel geht, und kommt dann einer öffentlichen Vorverurteilung gleich. Und wenn die Betroffenen später unschuldig waren, ist das meist kaum noch eine Nachricht wert. Um die Folgen eines solchen Unrechts zumindest abzuschwächen, soll das Gesetz auch ein neues, nachträgliches Informationsrecht schaffen. Leute, von denen berichtete wurde, dass gegen sie ermittelt oder verhandelt wird, können kostenlos die Information nachreichen, wenn die Ermittlung oder das Verfahren eingestellt wurde, beziehungsweise wenn sie freigesprochen wurden.

Gleichzeitig soll das Recht auf Richtigstellungen verallgemeinert und damit unmissverständlich auch für elektronische Medien gelten. Doch dafür sollen die Richtigstellungen aus Rücksicht auf den Rundfunk künftig kürzer ausfallen und zwischen 1000 und 3000 Zeichen begreifen. Derzeit darf eine Richtigstellung bis zur doppelten Länge des beanstandeten Artikels umfassen. Untersagt werden soll aber, dass die Redaktion der Richtigstellung gleich wieder eine eigene Antwort folgen lässt.

Nur wenn keine Richtigstellung oder ein anderes Mittel einen Kläger schützen kann und die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt bleibt, darf in einem Strafverfahren  ein Untersuchungsrichter auf ausdrücklichen Antrag eines Klägers die Beschlagnahme einer Veröffentlichung anordnen. Damit soll die Beschlagnahme, ein extremer Eingriff in die Meinungsfreiheit, dem Ermessen eines Einzelnen überlassen werden, während das derzeitige Gesetz vorschreibt, dass die Entscheidung binnen fünf Tagen von einem Gericht bestätigt werden muss.

Verbessern soll der Gesetzgeber den Schutz der Privatsphäre, die verletzt werden darf, wenn die entsprechende Nachricht im direkten Zusammenhang mit der öffentlichen Rolle der betroffenen Person steht. Die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes sollen zwar für journalistische Zwecke etwas gelockert, doch dafür soll die Recherche von personenbezogenen Daten bei einem nationalen Datenschutzausschuss meldepflichtig werden. So sehen eben Gesetzesartikel aus, von denen im Voraus sicher ist, dass sie toter Buchstabe bleiben.

Den Lesern soll dagegen vor allem zugute kommen, dass Zeitungen und Zeitschriften in der ersten Nummer jedes Jahrgangs die Liste ihrer Eigentümer und, wenn sie solche haben, ihre redaktionellen Richtlinien veröffentlichen müssen.  

Noch mehr Transparenz soll Artikel 72 verlangen, der nicht-periodische Veröffentlichungen mit Ausnahme von Akzidenzdrucken vorschreiben will, dass sie den wirklichen Namen und den Wohnsitz des Autors, des Verlegers und des Druckers angeben. Das hieße, dass es künftig verboten wäre, Bücher anonym oder unter Pseudonym zu veröffentlichen, wie es beispielsweise CSV-Kulturminister Pierre Grégoire so gerne zu tun pflegte.

Doch die Reform des Pressegesetzes von 1869 verlangen vor allem die Verleger- und Journalistenkreise. Zuerst war es der damalige Monopolsender RTL, der es für unzumutbar hielt, in seinen Sendungen behandelten Personen dasselbe Antwortrecht zuzugestehen wie in der geschriebenen Presse. Dann war es die Imprimerie Saint-Paul, die das Gesetz von 1869 für veraltet hielt, als sie unter anderem gegen den damaligen grünen Politiker Jupp Weber unterlag und eine Richtigstellung abdrucken musste. Schließlich forderten die Berufsverbände der Branche eine Reform des Gesetzes, als immer mehr Kläger - darunter auch Mitglieder dieser Verbände - sich nicht mit Presseprozessen zufrieden gaben, sondern zivilrechtlich auf Schadenersatz klagten.

Und wenn die Regierung nun tatsächlich einen Gesetzentwurf auf den Instanzenweg brachte, dann war es nicht zuletzt, damit sich nicht herumspricht, dass das luxemburgische Pressegesetz teilweise gegen die Europäische Menschenrechtserklärung verstößt. Das Land hat schließlich schon genug Imageprobleme im Ausland. Wobei es bemerkenswerterweise weniger der repressive Eifer der Politik als derjenige der Justiz war, der den Gesetzgeber nun zum Handeln zwingt. Das Urteil über den extravaganten Zwang zur Distanzierung von Zitaten, wie auch die Unverhältnismäßigkeit der Mittel, mit der ein Untersuchungsrichter auf eine Klage des Innenministers hin einen whistle-blower jagt, sind noch in bester Erinnerung.

Gleichzeitig hat sich auch die Presse selbst  verändert. Die gedruckte Presse wandelt sich zusehends vom parteipolitischen Meinungsjournalismus zum Handel mit bedrucktem Papier, neue Radio- und Fernsehprogramme beendeten das RTL-Monopol, seit 1993 erscheint wieder eine mancherorts als unflätig angesehene satirische Zeitung.

Angesichts dieser Veränderungen räumt der Gesetzentwurf teilweise mit dem aus dem 19. Jahrhundert stammenden romantischen Berufsbild des Journalisten auf, der einsam in seiner Schreibstube der Wahrheit gegen den Rest der Welt Vorschub leistet. Doch Zeitungen und mehr noch Fernsehen und Radios bevorzugen immer mehr billige und rechtlose Freelance-Mitarbeiter. Journalisten, die in einem abhängigen Angestelltenverhältnis arbeiten, können sich schon glücklich schätzen. Für sie soll erstmals eine Gewissensklausel eingeführt werden, die ihnen arbeitsrechtlich erleichtert, sich von einem veränderten Text zu distanzieren oder das Unternehmen zu verlassen, wenn es seine redaktionelle Ausrichtung ändert.

Aus einer ähnlichen Perspektive heraus soll das in Artikel 24 der Verfassung definierte Kaskadenprinzip abgeschafft werden, das besagt, dass Herausgeber, Drucker und Vertreiber bei einem Verstoß gegen das Pressegesetz straffrei ausgehen, wenn der Autor bekannt und ein im Großherzogtum wohnender Luxemburger ist. Die Zentralsektion des Parlaments hatte dieses Prinzip schon 1869, als Redakteure in den seltensten Fällen Angestellte von Pressebetrieben waren, angezweifelt. Denn es bestimmt von vornherein einen einzigen Schuldigen, selbst wenn es mehrere gibt, und führt heutzutage dazu, dass den Letzten die Hunde beißen - insbesondere wenn es weiterhin vom Wohlwollen des Verlegers abhängt, ob er für die Kosten eines Verfahrens gegen einen seiner angestellten oder nur freelance beschäftigten Journalisten aufkommt. Der Journalistenverband ALJ, dem die Regierung mit dem Gesetzentwurf weit entgegen kam, wehrt sich trotzdem gegen die eine Verfassungsänderung notwendig machende Abschaffung des Kaskadenprinzips.

Im Gegensatz zu den Wünschen mancher Journalisten, die ein zweifelhaftes Sonderrecht beanspruchen, versucht der Gesetzestext auch nicht, die zivilrechtliche Haftung bei Pressevergehen zu verhindern, was nur dem Verantwortungsbewusstsein und der Sorgfaltspflicht der Branche dienen kann. Dafür definiert der Text und relativiert er damit, was unter einem Fehler zu verstehen ist, der Autor und Herausgeber gemeinsam haftbar macht.

Als wichtige Neuerung soll der in anderen Ländern längst übliche Quellenschutz für Journalisten in das Luxemburger Recht übernommen werden, so dass Peinlichkeiten wie in der Wolter/Roemen-Affäre verhindert werden könnten. Mit Ausnahme von schweren Verbrechen müssen als Zeugen vernommene Journalisten nicht mehr ihre Informanten preisgeben und die Ermittlungsbehörden dürfen auch nicht mit Hausdurchsuchungen und anderen Mitteln den Quellen nachspüren.

Der Gesetzentwurf soll auch klarstellen, dass das Zitieren den Verfasser eines Beitrags von der Verantwortung für das Gesagte entbindet, wenn das Zitat gekennzeichnet, der Urheber bekannt gemacht wird und ein gewichtiges öffentliches Interesse an der Kenntnisnahme des Zitats besteht.

Allerdings scheint die Regierung in ihrem Eifer, neben den Rechten auch Pflichten der Presse vorzuschreiben, aus dem Pressegesetz gleich einem Kodex machen zu wollen, was guter Journalismus sein soll. So soll der Gesetzgeber in Artikel sechs von Presseveröffentlichungen eine merkliche Trennung zwischen Fakten und Kommentar verlangen. Dieses Prinzip gehorcht aber nur einer einzigen, im späten 19. Jahrhundert in den USA entstandenen Form von Journalismus unter vielen. Auch hält sich der Nutzen einer solchen Gesetzesvorschrift in Grenzen, wenn die Ahndung ihres Verstoßes nicht offensichtlich ist. Dass es sich aber in Wirklichkeit um reine Heuchelei handelt, ist daraus ersichtlich, dass, vor allem zur Freude von RTL, die Trennung von redaktionellen und Werbebeiträgen kein Thema ist.

Artikel zehn schreibt den Mitarbeitern der Presseveröffentlichungen auch das Streben nach Genauigkeit und Wahrhaftigkeit vor und droht in Artikel 23 die entsprechenden zivilrechtlichen Folgen bei Missachtung an. Gleichzeitig hütet sich die Regierung aber, eine Informationspflicht für Verwaltungen und Behörden zu schaffen, wie sie in den USA sogar zum Verfassungsprinzip wurde. Die Abschaffung des Informationsverbots der Santer-Direktive ist da nur ein schwacher Trost.

Im Kommentar zu Artikel zehn gesteht die Regierung ein, dass keines der ihr bekannten ausländischen Pressegesetze vorschreibt, wie guter Journalismus auszusehen hat. Und tatsächlich verlangt nicht einmal der Newspaper and printing presses act in Singapur eine Trennung von Nachricht und Kommentar. Doch die in Artikel 24 der Verfassung geschützte Meinungs- und Pressefreiheit ist wertlos, wenn sie nicht zuerst das Recht schützt, eine dumme Meinung zu haben und schlechten Journalismus zu machen. 

Dafür soll aber der verstaubte Artikel 144 des Strafgesetzbuchs nicht abgeschafft, sondern auf neue Medien ausgeweitet werden. Er stellt die Beleidigung von Religionsgemeinschaften, nicht aber anderer Gemeinschaften unter Strafe. Schließlich hatte schon François-Xavier de Feller erkannt, dass die edelste Aufgabe eines Pressegesetzes der Schutz der Religion ist.

 

(Titel nach Rosa Luxemburg und Hermann L. Gremliza)

 

 

 

 

Romain Hilgert
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