Theater

Historytainment im Neimënster

d'Lëtzebuerger Land vom 26.02.2021

Mit Spannung wurde dieser Theaterabend erwartet, schon vor der Premiere waren nahezu alle Termine von So dunkel hier ausgebucht. Vielleicht liegt es daran, dass das Thema seit dem Artuso-Bericht Wellen schlägt, vielleicht daran, dass sich mit Elise Schmit eine renommierte Autorin des heiklen Stoffs angenommen hat. Vielleicht ganz einfach daran, dass das Neimënster erfolgreich PR betrieben hat: so waren Luxemburgs Bushaltestellen mit dem Plakat bekleistert und bereits Wochen vorher fand eine Pressekonferenz statt, in der das Theaterprojekt beworben wurde.

Mit dem Historiker Christoph Brüll wurde zudem eine Person eingebunden, die dem ambitionierten Theaterprojekt eine wissenschaftliche Beglaubigung verlieh. In seiner Einführung erklärte er, dass es verschiedene Narrative um den Tod des Gauleiters gab und es die eine historische Wahrheit nicht gibt. Fakt war, so Brüll: Gustav Simon tauchte unter, lebte unter falscher Identität im „Deutschen Reich“ und wurde von Hanns Alexander aufgespürt. Die offizielle Erzählung lautete, Simon habe sich in Paderborn erhängt, inoffizielle Versionen gehen davon aus, dass er noch lebend nach Luxemburg kam und dort von Resistenzlern ermordet wurde. Die verschiedenen Versionen verdichteten sich zu einem Mythos, der in Luxemburg dankbar angenommen wurde. So dunkel hier nähert sich diesen Versionen, dekliniert sie durch und reklamiert dabei keinen dokumentarischen Anspruch. Simon sei Überzeugungstäter gewesen. Auch hierzulande gab es keine „Stunde 0“, sondern ähnlich wie bei den deutschen Nachbarn, der Wiege des Nationalsozialismus, Kontinuitäten – im Stück personifiziert in Richard Hengst, einem studierten NS-Funktionär. „Es gibt keinen Widerspruch zwischen historischer und emotionaler Annäherung“, schloss Brüll seine Einführung ab und bereitete damit dem fiktionalen Theaterstück den Weg.

Der Spielort, die Abtei Neumünster, mit den alten Kasematten (ehemals Gefängnis) als Kulisse und das Spiel im Freien erzeuge einen Gänsehaut-Effekt, liest man im Begleitheft, der sich jedoch nicht recht einstellen will. Die dort errichtete Freilichtbühne mit bunten Scheinwerfern lockt wie zu einem grellen TV-Spektakel. „Herzlich willkommen bei der Show, die Geschichte schreibt“ begrüßt eine Frauenstimme das Publikum ... Dann werden die Figuren des Stücks präsentiert wie bei „Wetten das..?“, etwa: „Und auf der Seite der Verlierer begrüßen wir Richard Hengst“ – mit einer ausgeprägten Liebe zur Kultur, zu der er auch die Luxemburger erziehen wollte.“

Elsa Rauchs – meist mondän rauchend, in Uniform – wird in der Rolle der Léone Muller vorgestellt, die mutmaßlich von den Alliierten rekrutiert worden war und luxemburgische Häftlinge aus ausländischen Lagern zurück nach Luxemburg brachte, Konstantin Rommelfangen ist der Nazijäger „Captain Alexander“. Ihre Uniformen erinnern an Inglorious Bastards von Tarantino. NS-Funktionär Richard Hengst, gespielt von Nickel Bösenberg, wirkt grotesk in pinken Pantoffeln und Bademantel. Unbedarft guckt er aus der Wäsche und druckst vor sich hin, er habe nur Befehle ausgeführt. Über Gustav Simon heißt es, der habe nun „ausgegauleitert“. Marc Baum gibt den Gauleiter. Er wird eingeführt als: „Simon, der hat die Befehle gegeben. Den erwartet der Strick.“

Die Stimmung am Ende des Zweiten Weltkrieges: zwischen dem Bedürfnis nach Normalität und Abstumpfung. Nostalgische Satzfetzen von Léone (Elsa Rauchs) zeugen von dieser Sehnsucht. Sie träumt laut von einer Zitronenlimo mit Extra-Eiswürfeln; Hanns Alexander gibt von sich, er habe in den letzten Wochen so viele Tote gesehen, dass es ihn nicht mehr berühre: „Trümmerlandschaft!“ – Drecksloch. Man hat es zwar so kommen sehen, „aber die Normalität gewinnt nicht.“

In Anne Simons Inszenierung befinden sich vier Menschen auf einer Autofahrt – mit ungewissem Ausgang. Es wird nahegelegt, dass die beiden Kriegsgefangen Simon und Hengst nach Luxemburg abtransportiert werden. „Wie setzt man vier Führer in einen Golf? Zwei vorne, zwei hinten“, scherzt Léone.

Dann tritt Gustav Simon eingehüllt in eine Decke bibbernd auf die Bühne, flachst mit dem Publikum und stottert vor sich hin. Die simulierte Autotour gleicht einer Irrfahrt: „Wir müssen nach Luxemburg. Wir müssen nach Bonn!“ Das Knattern von echtem Flugzeuglärm übertüncht bisweilen das Geschehen. Hanns Alexander raunt kopfschüttelnd: „Was für ein fauler Haufen, in der sogar die Pferde Schweine sind!“ In den Dialogen schimmert gelegentlich der tiefgründige Text Elise Schmits’ durch. Alsbald fliegt ein Strick auf die Bühne und es heißt über Simon: „Er hat sich erhängt“, alsbald wird er von Léone und Hanns erschossen und Hanns steigt auf ein Podest und verliest die Zeitungsmeldung: „Gauleiter Simon beging Selbstmord in Paderborn“.

So werden die unterschiedlichen Hypothesen zum Tod Simons in fünf Anläufen durchgespielt, wobei „das Theater mit seinen Spielmöglichkeiten als Katharsis“ benutzt werde, um „Gefühlen freien Lauf zu lassen“, so das Begleitheft. Ein Urteil darüber, welche der Varianten am ehesten plausibel ist oder aber jeweils eine innere Logik der geschichtlichen Abläufe zum Vorschein bringen könnte, müssen die Betrachterinnen fällen – oder eben umgehen. Regisseurin Anne Simon: „Eine solche dekonstruktivistische, distanzierte Herangehensweise erlaubt zusätzlich den Einsatz von humoristischen Elementen bei einem Thema, das dies andernfalls kaum zulassen würde.“

In einer Szene versucht Gauleiter Simon sich mit Hengst zu verbünden und raunt diesem auf dem Rücksitz zu: „Es gibt kein Vergessen Richard, noch können wir zusammenhalten.“ Und immer wieder fällt die Frage, ob man an der richtigen Kreuzung abgebogen sei: „Es ist so dunkel hier!“ In der auf Witz und Effekte setzenden Inszenierung geht die Doppelbödigkeit des Textes zumeist verloren.

Gauleiter Simon blickt mit fanatischem Blick in die Ferne. Marc Baum scheint sich als einziger mit seiner – recht dankbaren – Rolle auseinandergesetzt zu haben, während Rauchs und Rommelfangen in ihren Uniformen zwar schneidig-glamourös ausschauen, aber fernab jeder Glaubwürdigkeit die Nazijäger geben. Mitunter bewegt sich das Stück zudem hart an der Grenze zum sinnlosen Kitsch, wenn Léone sich etwa an ihre Kindheit in Berlin erinnert: „Wir wohnten in Berlin... einmal kam sogar Albert Einstein vorbei.“ Oder, wenn Hanns Alexander und Léone eng umschlungen tanzen und von der Zeit nach dem Krieg träumen: „Hast Du Pläne für danach? Willst Du mich dann wiedersehen?“

Kontrastreich wirken dazu Sätze wie: „Dass sie immer noch denken, dass sie Teil einer Ordnung wären...“ Dann fällt ein Schuss und Simon fällt. „Im Sommer 1942 hat Gustav Simon 20 Männer erschießen lassen – die seine Hitlereien nicht mitmachen wollten.“ Oder: Simon und Hengst stehen Rücken an Rücken und Léone lamentiert: „Es ist die größte Schweinerei, dass es immer irgendwie weitergeht.“ Man hänge Entscheidungsträger, weil man irgendwo anfangen muss. „Oben anfangen, ja, wegen der größeren Zusammenhänge!“

Wenn am Ende ein neues Alten- und Pflegeheim zu Ehren von Richard Hengst eingeweiht wird und dieser als Oberbürgermeister eingewickelt in eine Fahne auf das Podest tritt, ist das zwar dick aufgetragen, jedoch eine gelungene Anspielung auf rehabilitierte NS-Größen. Die Art und Weise, wie der historische Stoff albern-unterhaltend auf der Bühne präsentiert wird, ohne sich wirklich für die Figuren oder aber gesellschaftliche Implikationen zu interessieren, stimmt einen jedoch nachdenklich. Da hilft auch das sorgfältig redigierte Begleitheft nicht, das hier Kontext nachliefert, den die Inszenierung nicht vermitteln kann. Braucht es Historytainment auch im Theater?

So dunkel hier mit: Marc Baum, Nickel Bösenberg, Elsa Rauchs, Konstantin Rommelfangen; Text: Elise Schmit; Regie: Anne Simon; Ausstattung: Agnes Hamvas; Maske: Jasmine Schmit; Abendspielleitung & Assistenz: Sally Merres; Theaterpädagogik: Julie Kieffer; Garderobe: Yolande Schmit-Reuter; Videodokumentation: Sven Ulmerich & Julie Kieffer; Photos: Bohumil Kostohryz; Praktikantin: Bea Paquet; Mit der Stimme von: Nora Koenig. Spieltermine vom 23.02.-01.03.2021 im Neumënster. Reservierung unter: billeterie@neimenster.lu

Anina Valle Thiele
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