Digitalisierung in der Berufsbildung

Berufe 4.0

d'Lëtzebuerger Land vom 07.04.2017

Mit Zollstock und Maß auf die Baustelle, das war gestern. Heute nehmen technische Leiter ihre Daten über einen Tablet-PC auf, schießen Fotos, die über eigens dafür entwickelten Software die Größe einer Fassade oder Fensterfront berechnen. Die Digitalisierung hat das Handwerk erreicht.

Am Anfang beschränkte sich der Einsatz von Computern vor allem auf die Verwaltung und den Kundenservice, immer mehr kommen nun digitales Wissen und Techniken im eigentlichen Handwerk zum Tragen. Damit Luxemburg nicht ins Hintertreffen gerät, muss sich jedoch einiges an der Berufsausbildung ändern. Trotz 2006-er-Reform werden viele Berufe nämlich überwiegend klassisch-konventionell unterrichtet.

„Wir sind dabei zu schauen, wie wir die Digitalisierung im Lehrplan einbauen“, sagt Eric Bosseler, beigeordneter Leiter der Abteilung Berufsausbildung im Erziehungsministerium. In den Lehrplangruppen, in denen Berufsschullehrer und Werkausbilder zusammensitzen, sollen die Inhalte aller Ausbildungen mit Hilfe von Schweizer Experten des Eidgenössischen Hochschul-
instituts für Berufsbildung auf ihre Aktualität überprüft werden. „Das ist der Moment, wo wir Fragen der Digitalisierung und Automatisierung einbringen werden“, so Bosseler weiter. Konkretes sei in „sechs Monaten“ zu erwarten.

Vereinzelt haben sich Schulen auf den Weg gemacht: Das Lycée Technique de Bonnevoie etwa vermittelt Schülern Grundlagen in 3D-Drucktechnik, das Lycée Technique du Centre hat Inhalte von Berufsausbildungskursen mit Lernplattformen versehen. Berufsschüler sollen zudem demnächst per App einsehen können, wo sie in ihrem beruflichen Parcours stehen und welche Module sie noch absolvieren müssen. An einer alle Schulen übergreifenden Strategie, wie die Digitalisierung in die Lehrpläne eingebaut werden soll, hapert es aber noch.

Entscheidend dafür, dass die Schule nicht den Anschluss an die Entwicklungen in der Arbeitswelt verliert, wird sein, die Medienkompetenz der Lehrer und Ausbilder weiterzuentwickeln. Wer selbst nicht auf der Höhe der Zeit ist und sich nicht kontinuierlich fortbildet, kann die Fertigkeiten, die es braucht, um in einer automatisierten, digitalisierten und vernetzten Arbeitswelt zu bestehen, nicht vermitteln und darf sich nicht wundern, wenn er von seinen Schülern nicht ernst genommen wird.

Schon heute wissen viele Mädchen und Jungen mehr über digitale Anwendungen und Entwicklungen als ihre Lehrer. „Die Aufgaben des Lehrers verändern sich; er wird Partner beim Lernen und beim Problemlösen“, so Eric Bosseler. Lehrer betonen oft, wie wichtig es sei, sich Basiswissen anzueignen, auf das dann aufgebaut werde. In Wirklichkeit wird die Halbwertzeit von Wissen immer kürzer. Fachwissen zählt weniger, sondern vor allem die methodische Kompetenz, sich das nötige Wissen am richtigen Ort und zur richtigen Zeit in der passenden Form anzueignen. Problemlösungskompetenz wird wichtiger.

In Luxemburg findet dieser Wandel in Unterricht und Lehre weiterhin zu wenig Beachtung. Die schwerfällige Gestaltung von Lehrplänen bremst den Innovationsgeist und die Anpassungsfähigkeit. Schule und Wirtschaft sind traditionell getrennte Bereiche, sie einander anzunähern, hatte Bildungsminister Claude Meisch angekündigt. Doch wie das in der Berufsausbildung verbessert werden könnte, ist nicht so klar.

Auch die Handwerkskammer und Unternehmen wissen, dass die Zeit drängt. In ihren Kompetenzzentren sollen Beschäftigte sich weiterbilden und fehlende Kompetenzen gezielt lernen können. Doch Digitalisierung, Automatisierung, Handwerk 4.0 und Industrie 4.0 stehen in der Weiterbildung ebenfalls noch am Anfang, wie Romain Schmit von der Handwerkerföderation einräumt. Ein transversaler Ansatz, der den Einsatz und Umgang von digitaler Technik sozusagen von Anfang an in alle Weiterbildungen einbaut, ist Mangelware. Es gibt spezialisierte Kurse, zur 3D-Drucktechnik oder zur Nutzung von ultra-flexiblen Fünf-Arm-Robotern. Man sei dabei, ein Konzept zu entwickeln, versichert Romain Schmit. Die Automatisierung soll auch Thema im Kompetenzzentren für neue Technologien werden.

Dass es Zeit wird, Konzepte von Industrie 4.0 und Handwerk 4.0 verstärkt in Aus- und Weiterbildung einzubringen, sagt auch Marc Ant. Er ist Berater und Geschäftsführer des Weiterbildungsprojekts, an dem sich Handwerkerföderation und Handwerkskammer beteiligen. „Wir sind noch nicht so weit, aber eines ist sicher: Die fortschreitende Digitalisierung wird sich ganz erheblich auf das Handwerk auswirken und es verändern“, unterstreicht Ant.

Luxemburg mit seinem dualen Ausbildungssystem orientiert sich stark am deutschen Nachbarn. Dort hat das Handwerk bundesweit vier Kompetenzzentren eingerichtet, die dafür sorgen sollen, dass das digitale Wissen in der Fläche, bei den Betrieben, ankommt. Es sind vor allem große Unternehmen, die in Sachen Digitalisierung voranschreiten – oder kleine, wendige Start-up-Firmen.

Problematisch ist, darüber reden die Kammern weniger gerne, dass in den Berufsvertretungen nicht selten Funktionäre sitzen, die selbst oft nicht unbedingt digitale Pioniere sind. Romain Schmit ist auf Twitter sehr umtriebig; das Erziehungsministerium hat seinen Weg in die Netzwerke erst vor etwas mehr als einem Jahr gefunden.

Es fehlen der Branche junge innovative (nicht nur männliche) Köpfe, die als Aushängeschild für ein spannendes, kreatives Handwerk gelten könnten. Dabei gibt es junge Designerinnen und Kreative in Luxemburg; sie werden nur zu oft von den klassischen Akteuren ignoriert oder als preiswertes Feigenblatt für irgendwelche Imagekampagnen missbraucht. Das Out-of-the-box-Denken müsste gefördert werden. Nicht umsonst gelten Schulen als schwere Tanker, die sich mit schnellen Wendungen schwertun.

Ines Kurschat
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