Parteizeitungen

Im Dienst einer Idee

d'Lëtzebuerger Land vom 06.05.2004

"Sicherlich ist die CSV keine perfekte Partei", leitartikelte ein CSV-Politiker der Stauseegemeinde am 31. März im Luxemburger Wort. Aber, fuhr er falsch zitierend fort, "über die Demokratie hat Winston Churchill einmal gesagt, er kenne keine bessere Regierungsform. Auf luxemburgische Parteien bezogen, passt das Zitat des großen britischen Staatsmanns irgendwie auch auf die CSV und ihren populären Spitzenkandidaten.'Grad elo', wie es einmal auf einem CSV-Wahlplakat hieß."

Die überraschende Feststellung, dass Luxemburg keine Insel ist, gehört seit dem Beginn der Stahlkrise vor 30 Jahren zu den Höhepunkten jeder Fernsehdebatte. Doch wenn es um Parteizeitungen geht, ist Luxemburg tatsächlich eine Insel. So wie auf den Galapagos- und den Komoreninseln die letzten Riesenschildkröten überlebt haben, die anderswo seit Urzeiten ausgestorben sind, leben hierzulande Parteizeitungen fort, wie sie in fast allen anderen westeuropäischen Staaten seit dem Zweiten Weltkrieg ausgestorben sind.

Mehr noch: der Anteil der Parteiblätter an der Luxemburger Presse war nie so groß wie gerade nach dem Zweiten Weltkrieg, auch wenn ihr Einfluss auf die öffentliche Meinung unter der Konkurrenz durch die Radio- und später Fernsehnachrichten zu leiden begann. Doch als die CSV und das Luxemburger Wort erstmals seit einem halben Jahrhundert nicht in der Regierung waren, schufen LSAP und DP 1976 rasch die staatliche Pressehilfe, die auch kleineren Zeitungen den unumgänglichen Umstieg auf Offsetdruck und Fotosatz erlaubte. Aber im Grunde war die Pressehilfe als Parteihilfe gedacht, sollte sie doch weiterhin gewährleisten, dass jede der traditionellen, im Parlament vertretenen Parteien weiterhin ein Sprachrohr zur Verfügung hat. Nachzügler waren gar nicht vorgesehen, wie der jahrelange Rechtsstreit des Grénge Spoun um Pressehilfe zeigte; das ADR hat es bis heute zu nicht mehr als einer Mitglieder- und Wahlkampfzeitung ohne Pressehilfe, De Pefferkär, gebracht.

Natürlich gibt es in den anderen Ländern Zeitungen, die Partei nehmen, die spätestens im Wahlkampf keinen Hehl aus ihren sozialistischen, christdemokratischen, liberalen, sozialdemokratischen oder gaullistischen Sympathien machen. Aber von den Zeitungen, die Partei sind, von den Parteizeitungen, blieben mit Ausnahme der kommunistischen Presse nur noch Mitgliederblätter übrig, die meist nicht einmal mehr im regulären Zeitschriftenhandel erhältlich sind. Und auch die kommunistischen Zeitungen kämpfen überall in Europa ums nackte Überleben.

Das Verschwinden der ausländischen Parteizeitungen hatte vor allem zur Folge, dass die Luxemburger Zeitungen sich inzwischen schämen, Parteizeitungen zu sein, und den Begriff als schwere Beleidigung empfinden, weil sie Parteizeitungen nunmehr für einseitig und nicht objektiv halten. Vom entgegengesetzten Standpunkt aus kritisierte noch Dr. Michel Welter am 5. Juli 1902 im sozialdemokratischen Escher Journal die Nicht-Parteizeitungen, denn sie "haben einen commerciellen Charakter, stellen sich nicht in den Dienst einer Idee". In einem Land, in dem Zeitungsabonnements manchmal aus politischer Loyalität über Generationen vererbt werden, scheint es nunmehr auch aus "commerciellen" Überlegungen heraus rentabler, ihren parteiischen Charakter zu leugnen, um so über die engere Wählerschaft hinaus Kunden anzulocken. Denn während weit mehr Leute das Luxemburger Wort lesen, als CSV wählen, wählen mehr Leute DP, als dass deren das Lëtzebuerger Journal lesen.

Sicher hat sich die Beziehung zwischen den Zeitungen und den Parteien verändert, vielleicht sogar gelockert. Sehr zum Leidwesen der Politiker: Jean-Claude Juncker fühlt sich öfters von den Gaspericher Moralaposteln gemobbt, und die LSAP wird nicht müde, über das Tageblatt zu klagen, das sie aus niederen geschäftlichen Interessen immer wieder verrate.

Doch die Bindung der Luxemburger Presse, vor allem der Tageszeitungen, an die Parteien bleibt enger, als dass sie nur Partei nähmen, mit Parteien sympathisierten. Das machte sich Mitte April bemerkbar, als die Kandidatenlisten deponiert wurden und das Luxemburger Wort den Vorgang ausgerechnet mit Fotos von CSV-Kandidaten, das Tageblatt ausgerechnet mit Fotos von LSAP-Kandidaten, das Lëtzebuerger Journal ausgerechnet mit Fotos von DP-Kandidaten und die Zeitung vum LëtzebuergerVollek ausgerechnet mit Fotos von KPL-Kandidaten illustrierten. Denn auch wenn alle Blätter entrüstet von sich weisen, Parteizeitungen zu sein, so ergreifen sie alle fünf Jahre immer offener Partei für ihr politisches Lager, je näher die Wahlen rücken. Und so unabhängig sie sich auch geben und so großzügig sie in ihrer Berichterstattung inzwischen die Existenz auch anderer Parteien zur Kenntnis nehmen, es ist noch immer unvorstellbar, dass am Vortag des 13. Juni das Luxemburger Wort die Wahl einer anderen Partei als der CSV, das Tageblatt einer anderen als der LSAP nahe legen wird. Und auch das Lëtzebuerger Journal wird nicht für Jean-Claude Juncker werben, die Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek nicht für John Castegnaro und die Woxx nicht für déi Lénk.

Denn die Parteibindung zumindest der Luxemburger Tageszeitungen ist bis heute immer historisch und strukturell, oft personell und verschiedentlich auch finanziell: Historisch, weil die Zeitungen im 19. Jahrhundert vor ihren Parteien bestanden und im 20. Jahrhundert dann wesentlich an deren Gründung  beteiligt waren.

Strukturell, weil beispielsweise das Luxemburger Wort bis vor drei Jahren laut Artikel 37 der Statuten als "befreundete Presse" im Nationalvorstand der Partei vertreten war und seither unauffälliger kooptiert werden kann. Und seit Oktober 1974 überlässt es der CSV bis heute ganze Seiten unter dem Rubrikentitel CSV Profil. Selbst jüngere Titel, wie Télécran und La Voix du Luxembourg oder Revue, Le Jeudi und Le Quotidien, stehen zumindest über die historischen Beziehungen ihrer Verlage unterschiedlichen Parteien nahe, ohne Parteiblätter zu sein.

Personell, weil beispielsweise die grüne Woxx nach dem Tod von René Urbany und der Berufung Viviane Redings nach Brüssel die letzte Zeitung ist, die Abgeordnete als Redakteure beschäftigt. Doch auch in den Redaktionen und Verwaltungsräten der anderen Blätter sitzen ausreichend Politiker, gar nicht zu reden von den Lokalkorrespondenten, denen jeder Unterschied zwischen Kommunalpolitik und Journalismus fremd ist.

Finanziell, weil die Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek und das Lëtzebuerger Journal über Mitglieder der Parteiführung beziehungsweise des Centre d'études Eugène Schaus fest in Parteihand sind. Die sozialistische Partei stellte zwar ihre Soziale Republik ein, als die freien Gewerkschaften 1927 das Escher Tageblatt kauften, aber nach der Umwandlung des Verlags in eine Aktiengesellschaft sind, neben einer kleineren Direktbeteiligung der Partei, die zahlreichen Kleinaktionäre fast ausschließlich LSAP-Mitglieder.

Aber auch äußerlich zeigen die Luxemburger Zeitungen Reliktmerkmale von Parteiblättern des 19. Jahrhunderts. So nehmen die Leitartikel noch immer einen weit wichtigeren und größeren Platz ein, als in den meisten ausländischen Blättern. Sie stellen zumindest aus der Sicht der Redaktionen noch immer die Flaggschiffe in den politischen Schlachten dar. Auch wenn die bleischweren Pressepolemiken nach dem Ende der LSAP/DP-Koalition, der nationalen Tripartite-Eintracht, 15 Jahren CSV/LSAP-Koalition so-wie dem angeblichen Ende der Ideologien nach dem Ende des Kalten Kriegs vorüber sind.

Übermäßige Bedeutung wird auch den Kammerberichten eingeräumt, als lange chronologische Zusammenfassungen von Redebeiträgen mit Schwerpunkt auf den Wortmeldungen der jeweils "eigenen" Abgeordneten, wie sie kaum noch in anderen Zeitungen zu finden sind. Unabhängig vom Nachrichtenwert sind auch die Form und Länge der Beiträge über den wöchentlichen Pressevortrag des Premierministers. 

In welchem Maße die Funktion des Parteiblatts noch verinnerlicht ist, zeigt sich nicht zuletzt an den Journalisten. Gründeten die Buchdrucker die erste Gewerkschaft des Landes überhaupt und setzten sie sehr früh Branchenkollektivverträge durch, so gibt es bis heute weder eine Gewerkschaft, noch einen Branchenkollektivvertrag für Journalisten. Die Spaltung der 1925 gegründeten Association luxembourgeoise des journalistes 1977 durch den Luxemburger Wort-Verlag und dieses Jahr durch den Tageblatt-Verlag zeigt, dass die politische Loyalität und der Betriebspatriotismus noch immer stärker als das gewerkschaftliche Bewusstsein der Journalisten entwickelt sind.

 

 

 

 

Romain Hilgert
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