LSAP-Opposition

Die Schwäche des Gegners

d'Lëtzebuerger Land vom 30.10.2003

Als Finanzminister Jean-Claude Juncker vor zwei Wochen mit den Spitzen seines Ministeriums dem parlamentarischen Haushaltsausschuss die neuesten Zahlen über die prekäre Lage der Staatskasse vorlegte, schlug der Fraktionssprecher der LSAP, Jeannot Krecké, vor, die Abonnementtaxe auf Investmentfonds abzuschaffen. Mit sicherem politischem Reflex ermutigte der Premier ihn sofort, einen entsprechenden Änderungsantrag in einer öffentlichen Sitzung des Parlaments einzubringen. Und freute sich wohl schon heimlich auf den Spott, den er mit einer sozialistischen Arbeiterpartei treiben kann, welcher die von CSV und DP gewährten „Steuergeschenke an das Großkapital" nicht weit genug gehen.

Diesen Widerspruch scheinen die Sozialisten aber in Kauf nehmen zu wollen. Denn sie haben es auf die DP abgesehen, die LSAP-Generalsekretär Lucien Lux, die treibende Kraft des sozialistischen Wahlkampfs, als „schwächstes Glied" der Koalition ausgemacht hat. Und um die Liberalen in Verlegenheit zu bringen, schrecken sie auch nicht davor zurück, derart liberale Forderungen zu stellen, wie es die DP nur in der Opposition konnte. Dazu gehören auch traditionell rechte und liberale Themen wie Sicherheit und Entbürokratisierung, mit denen sie in den Wahlkampf ziehen. 

Die Abschaffung der Abonnementtaxe und die weitere Senkung der Unternehmensbesteuerung gehören zu einem „Sofortprogramm für unsere Wirtschaft", das Fraktionssprecher Jeannot Krecké und der ehemalige Wirtschaftsminister Robert Goebbels nach 18 Unterredungen mit Entscheidungsträgern der Wirtschaft verfassten. Es soll die Koalition in die Defensive drängen, die sich vorhalten lassen muss, die Chancen zur Ankurbelung der Konjunktur zu verschlafen.

Wenn diese Woche aber die Brüsseler Kommission die Wachstumsprognosen nach unten revidiert, das Konjunkturkomitee eine neue Rekordarbeitslosigkeit meldet und der Statec vorrechnet, dass im Vergleich zu seinen vorherigen Prognosen die restriktive Haushaltspolitik der Regierung das Land 0,6 Prozent Wachstum kostet,  sehen CSV und DP tatsächlich nicht gut aus. Folglich dürften die Haushaltsdebatten Anfang Dezember zur ersten Wahlkampfschlacht werden. Am Freitag drohte Jean-Claude Juncker schon, dass er seine eigentlich mit den Finanznöten vollauf beschäftigten Dienststellen eingespannt habe, um Argumente gegen die LSAP aus deren 15-jährgen Regierungspraxis zu sammeln.

Wie die Grünen und selbst déi Lénk bemüht sich die LSAP aber auch, mit einem Thema in den Wahlkampf zu ziehen, das 1999 wesentlich zum Sieg der DP beitrug: die Bildungspolitik. Als Erfolg verbucht sie es, dass an einer rezenten Tagung zur Schulpolitik, in deren Mittelpunkt die Ganztagsschule stand, 148 Interessenten vor allem aus pädagogischen Berufen teilnahmen. „Ganztagsmodell" lautet das griffige Konzept, mit dem die Partei in die Wahlen ziehen will, um die Interessen der Kinder und ihrer berufstätigen Eltern vereinen zu können.

Als Ausgleich zu dem unternehmerfreundlichen Konjunkturpaket legte Lucien Lux während einer Orientierungsdebatte letzte Woche im Parlament ein 16-Punkteprogramm gegen die Arbeitslosigkeit vor, das vor allem die Verbesserung bekannter Tripartite-Maßnahmen vorschlägt. Während er sich auf Druck der Regierungsparteien von der symbolträchtigen 35-Stundenwoche verabschiedete, plädierte er eher abstrakt für flexibilisierte Lebensarbeitszeitkonten.

Wenn dann auch noch Pressekonferenzen über Tierschutz, ein leicht verspäteter Einstieg in die Meysemburg-Polemik und Lavieren um die Zukunft des Findels hinzukommen, sind die Schwierigkeiten der LSAP mit der „Leserlichkeit" ihrer Kampagne nicht mehr zu verstecken. Zwar halten derzeit alle Parteien verzweifelt Ausschau nach dem alles entscheidenden, großen Wahlkampfthema 2004, doch erfahrungsgemäß neigen Regierungsparteien dazu, ihre Bilanz ins Schaufenster zu rücken und den Wählern von „Experimenten" abzuraten. So dass es eher an der Opposition ist, ein Wahlkampfthema durchzusetzen.

Doch die LSAP erweckt dabei den Eindruck, als ob sie ziemlich unübersichtlich an den verschiedensten Themen herumexperimentiere: im Oktober die Arbeit, im November die Wirtschaft, im Dezember die Sicherheit... Lux weist jedenfalls schwarf von sich, dass es dabei lediglich darum gehe, jedem Spitzenpolitiker in der Partei die Gelegenheit zu bieten, sich einen Monat lang mit seinem „Hobby" ins Gespräch zu bringen.

Außerdem werde noch am Wahlprogramm gearbeitet. Es soll die vier Schwerpunkte Schule, Wirtschaft, Beruf und Sicherheit betonen und vor allem lesbarer gemacht werden. Statt eines unverdaulichen Wälzers, soll es sich knapp und übersichtlich an den Lebensaltern des Einzelnen, vom Neugeborenen zum Greis, orientieren.

Wenn es auch keinesfalls von Nachteil sein muss, wenn unterschiedliche Themen in die politische Debatte eingebracht werden, ist das größte Problem der LSAP aber derzeit, dass die Regierungsmehrheit nicht müde wird, ihr vorzuwerfen, so viele Meinungen wie Kandidaten zu haben. CSV-Fraktionssprecher Lucien Weiler verglich nach der Tagung seiner Fraktion genüsslich, was Parteipräsident Jean Asselborn, Generalsekertär Lucien Lux, Fraktionssprecher Jeannot Krecké, Europaabgeordneter Robert Goebbels, Süd-Kandidat John Castegnaro und sogar Zentralbankvorsitzender Yves Mersch nicht eben widerspruchsfrei zur Haushaltspolitik der Regierung oder zur Finanzierung der Pflegeversicherung sagten.

Doch der Parteisekretär will beim besten Willen kein Problem von Kakophonie in seiner Partei erkennen, in der natürlich „nichts diktiert werde". Im Parlament trage sie einheitliche Standpunkte vor, die zuvor in der Fraktion abgeklärt worden seien. Die wirtschaftspolitischen Vorschläge seien von Jeannot Krecké und Robert Goebbels gemeinsam ausgearbeitet worden, John Castegnaro spreche als Gewerkschaftspräsident im Namen des OGB-L, und Yves Mersch habe seine Parteimitgliedschaft ruhen lassen, als er den Vorsitz der Zentralbank übernommen habe. Lux erinnert sich aber auch an all die aufgeregten Kommentare über die Rivalitäten um die Stelle des Spitzenkandidaten und verweist auf die Ruhe und Eintracht, mit der Jean Asselborn schließlich nominiert worden sei.

Doch zu allem Überfluss meldete sich nun auch noch der ehemalige Abgeordnete René Kollwelter zu Wort und droht seiner Partei, notfalls eigene Listen aufzustellen, während Robert Goebbels sich mit Händen und Füßen gegen Verdächtigungen wehren muss, er sei in den Eurostat-Sakandal verwickelt.

Die größte Stärke der LSAP ist derzeit die Schwäche ihrer Gegner. Das Tageblatt hatte im Juni seine bei ILReS bestellte Wahlprognose genutzt, um groß über eine drohende Wahlniederlage der DP zu berichten. Aber es war ziemlich kleinlaut darüber hinweg gegangen, dass die LSAP in derselben Wahlprognose keinesfalls als große Wahlsiegerin hervorginge. Die Partei würde zwar einen Teil ihrer Verluste von 1999 - immerhin ein historischer Tiefststand seit dem Krieg -, wettmachen, aber nicht einmal das Niveau von 1994 erreichen.

Doch der Fahrplan zum Erfolg ist beschlossene Sache und soll auch nicht mehr geändert werden: Nach der vorgezogenen Kür des Spitzenkandidaten vor der Sommerpause, werden als nächstes die Kandidatenlisten auf außerordentlichen Bezirkskongressen verabschiedet: am 14. November im Norden, am 22. November im Süden, am 28. November im Zentrum und am 4. Dezember im Osten. Nach einem Europakongress am 19. Januar, der ein europapolitisches Papier stimmen soll, soll ein außerordentlicher Landeskongress am 6. März in der Düdelinger Sporthalle schließlich das Wahlprogramm verabschieden.

Ein neuer Look bis hin zum Tomatenlogo soll die 1999 ziemlich verbraucht aussehende Partei wieder jung und frisch erscheinen lassen. Doch auf ihrer Web-Seite steht noch immer unter „Agenda Juin 2004: pas d'événement pour ce mois".

Romain Hilgert
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