Kino

Wie ein tunesischer Zombiefilm

d'Lëtzebuerger Land du 19.01.2018

Anfangs filmt die Kamera die aufgedrehte, quirlige Jugendliche: ein Mädchen in Partystimmung im Kreise ihrer Freundinnen. Mariam (Mariam Al Ferjani) streift sich ein blau glitzerndes Nachtkleid über und posiert kokett vor der Kamera. Mit gespitztem Kussmund macht sie Selfies, bevor sie, getragen von den Beats, in den flimmernden Diskoraum zieht, wo sie eine College-Party mitorganisiert hat. Ihr Blick fällt auf den schüchternen Schönling Youssef (Ghanem Zrelli), mit dem sie die Party heftig flirtend verlassen wird ... Dann folgt ein Schnitt.

Im nächsten Kapitel sieht man die junge Frau im blauen Nachtkleid auf ihren High Heels schluchzend eine Straße entlanglaufen und zusammenzucken, sobald sie ein Polizeiauto erblickt. Ungelenk stakst sie auf den hohen Schuhen in das nächstgelegene Krankenhaus. An ihrer Seite, sie stützend, Youssef. Was geschehen ist, wird sich dem Zuschauer sukzessive durch Mariams Odyssee durch Kliniken und auf Polizeistationen erschließen. Die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania hat Beauty and the dogs (Aala Kaf Ifrit) in neun Kapitel aufgeteilt – eine etwas künstlich wirkende Fragmentierung des Films, die der Regisseurin jedoch eine chronologische Abfolge der Nacherzählung des Geschehenen erlaubt.

Der 100-minütige Film wurde in der Kategorie Un certain regard auf den 70. Filmfestspielen in Cannes präsentiert und entlarvt ein repressives Polizeisystem. Die Geschichte ist Fiktion, aber inspiriert an wahren Begebenheiten (wie dem Buch Coupable d’être violée von Meriem Ben Mohammed) und Vorfällen, die sich 2012 in Tunesien zutrugen. Gedreht hat Ben Hania vor allem an recht schmucklosen Orten, authentisch wirkenden Plätzen. Ihr Augenmerk liegt klar auf den Darstellern, vor allem auf der jungen Schauspielerin Al Ferjani.

Benommen läuft die 21-Jährige in ein Krankenhaus, wo ihr eine gynäkologische Untersuchung unter dem Vorwand verwehrt wird, dass sie sich nicht ausweisen könne. Auf ihrer nächsten Station, der Notaufnahme einer staatlichen Klinik, wird die Behandlung mit der Begründung abgelehnt, dass sie die Vergewaltigung erst der Polizei melden müsse. Doch wie eine Vergewaltigung zur Anzeige bringen, die von Polizisten begangen wurde? „Willst du einen Rat, Mädchen? Geh heim, niemand wird dich hier empfangen!“, weist ein finsterer Polizist sie auf der Wache ab. Doch Mariam glaubt an Gerechtigkeit und durchläuft die Spirale der Schikanen wie eine Geisterbahn. Auf dem Polizeirevier wird der wahre psychische Druck erst beginnen; das Verhör der Polizisten, die sie verhöhnen, wird zur Anklage der jungen Frau („venir te plaindre d’un viol dans cette tenue!“). Die misogyne Haltung und der Machismo der Beamten treten hier offen zu Tage; ihre Verachtung wird greifbar.

Ist Mariam zu Beginn des Films noch ein aufgedreht-strahlendes Mädchen in Partylaune, so wird sie nach 100 Minuten gebrochen sein. Ebenso wie Youssef, der aufrichtige, mittellose Träumer an ihrer Seite. „Wärst du ein Mann, dann hättest du sie beschützt!“, verhöhnen ihn die Polizisten auf der Wache. „Kennst du Zombie-Filme, Mariam?“ – „Mein Leben ist ein endloser Zombiefilm, die lebenden Toten verfolgen mich!“, vertraut Youssef ihr auf einer Bank im Revier sitzend an, bevor sein Blick ins Leere fällt und er wegen Beamtenbeleidigung weggesperrt wird.

Beauty and the dogs beeindruckt durch den empathischen Blick der Regisseurin Ben Hania und eine Reihe eindrucksvoller Einstellungen. Der beklemmende Film wirkt nach und vermittelt die Machtlosigkeit einer Frau, ihre Wut und Verzweiflung angesichts der Repression, ohne je moralisch den Zeigefinger zu erheben. Anina Valle Thiele

Anina Valle Thiele
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