Die Comédie française. Oft läuft es CinephilInnen kalt den Rücken runter, wenn mit diesen Wörtern konfrontiert. Wieso die französische Komödie nicht den allerbesten Ruf genießt, ist jedoch nicht auf den ersten Blick festzulegen. Ob es am französischen Filmfördersystem liegt, welches Mittelmäßigkeit vor und hinter der Kamera perpetuiert oder ob sich DrehbuchautorInnen falsch und für die Nachkommenschaft von Michel Audiard einschätzen – trotz des kritischen Verrufes sind die erfolgreichsten französischen Filmproduktionen jedes Jahr... die Komödien. Diesem komödiantischen Trauerspiel wollen einige Filmschaffende ungern tatenlos zuschauen. Bruno Dumont und Quentin Dupieux rühren den kreativen Sumpf seit nunmehr über zehn Jahren ordentlich um. Ersterer konfrontiert LaiendarstellerInnen mit Figuren der grossen Leinwand – und der Comédie Française (sic!) –, letzterer vermischt Dämlichkeit mit formellen exercices de styles. Und siehe da, plötzlich werden die Filme auch im Ausland besprochen. Und zwar nicht nur im hierzulande-Ausland. Ein Dritter im Bunde wäre Antonin Peretjatko. Mit seinem dritten Spielfilm La pièce rapportée schafft er es jetzt endlich ins hierzulande-Ausland.
Titel und Inhalt lassen auf den ersten Blick auf Altbewährtes deuten. Ein boulevard wie er im Bilderbuch steht. Paul Château-Têtard, hauptberuflich Muttersöhnchen einer Pariser bobo du Seizième, muss das erste Mal in seiner mehr als 40-jährigen Existenz die städtische Metro nehmen. Die verdammten Taxis streiken und die Zeit drückt. Ein Flieger hebt in weniger als einer Stunde Richtung Antibes ab. Die an einen Rollstuhl gebundene Mama Adélaïde Château-Têtard wartet nämlich dort am Pool mit Chauffeur Raoul auf ihn. Paul wird jedoch von der reizenden Ava am Ticketschalter der Metro informiert, dass das mit dem Flieger zeitlich hoffnungslos ist. Die beiden gehen lieber in den Park spazieren, Eis essen und sind kurze Zeit später vermählt. Ganz zur Missgunst der reine mère Adélaïde. Aber der Wunsch nach einem Erben wird bei ihr größer als die Tatsache, dass sich der Sohn außerhalb seiner Kaste paart. Doch dieser Nachwuchs lässt lange auf sich warten. Und irgendwas stimmt mit Ava nicht. Bestimmt geht die petite pute ihrem Sohnemann fremd.
In Peretjatkos vorherigem Film La loi de la jungle fand sich die Hauptfigur – eigentlich Praktikant am Ministère de la Norme – über Umwege im Dschungel von Französisch-Guyana wieder. Und spätestens dort, im südamerikanischen Dschungel, werden sämtliche Normen über Bord geworfen. Um der Anarchie den Vortritt zu lassen. Bisweilen zeichnet sich das Kino von Antonin Peretjatko auch durch diese konsequente Anarchie in Dramaturgie und Inszenierung aus. Eine Anarchie, die visuell gesehen sich bei bei den Grosseltern der Nouvelle Vague bedient. Sind die älteren Verwandten irgendwann in den Ernst des Pionierdasein gefallen, so ist bei Peretjatko alles Mittel zum verschmitzt, anarchischen, vor allem aber sich nie ernst nehmenden Spiel. Trotz der damit einhergehenden rigorosen Inszenierung. Dieser anarchische Gedanke in der Form schwappt somit auch auf die Figuren und die Erzählung über. La fille du 14 juillet und La loi de la jungle sind somit dem Jazz-Charakter eines Boris Vian näher als Jean-Luc Godard.
Jünger des Peretjatko-Universums freuen sich natürlich auf Neues seinerseits. Und La pièce rapportée bietet in dieser Hinsicht zu Beginn eine geballte Ladung. In einem überbordernden Vorspiel beißt sich der Regisseur in die französische Bourgeoisie ein, bei der eine Jagdgesellschaft vielleicht auf Wild aus ist, ganz nebenher aber gilets jaunes abknallt. Den Grossteil seiner Handlung sperrt Peretjatko in die bourgeoisen Gemäuer des Pariser Seizième und den Rollstuhl von Josiane Balasko. Was dem Film trotz vollem Bewusstsein der künstlerischen Entscheidungen mehr schlecht als recht ist. Der luftigen Durchgeknalltheit seiner Filme wird durch den Rahmen eines Vaudeville-Theaters die Luftröhre abgedrückt. Auf der Oberfläche wird den Schauspielern mehr Platz gelassen – die Einhernahme von Josiane Balasko seitens französischer AutorInnen wie Claire Denis, der Larrieu Brüder in Tralala oder eben jetzt Peretjatko ist hoch interessant mit anzusehen –, trotzdem ist bei aller guter Absicht zur Suche nach neuen Wegen der Druck und der Staub der jahrhundertealten Tradition des vermeintlich heiligen französischen Theaterwortes zu hoch. Peretjatkos Versuch, Form und Kritik leichtfüßig zu halten, tut sich fortwährend schwerer. Philippe Katerine ermüdet irgendwann sichtlich und Anaïs Demoustier kann mit ihrer Erscheinung nicht den ganzen Film auf ihren leuchtenden Augen tragen. Obwohl man sich freut, dass sie kurzzeitig von Robert Guédiguians Truppe wegkommt. Dass man ihre Figur irgendwann zu verurteilen scheint, ist wohl das allerirritierendste am Film. Je ne tiens plus à m’ennuyer. Ob das die Figur oder Demoustier selbst gesagt hat, sei dahingestellt.