Die Filmografie des britischen Regisseurs Ridley Scott lässt sich grob vereinfacht auf zwei Stränge bringen: Zum einen ist er ein Regisseur, der sich großer Abenteuergenres annehmen und daraus opulente und bildgewaltige Filme schaffen kann: 1492 – Conquest of Paradise (1992), Gladiator (1995), Kingdom of Heaven (2005) oder noch jüngst The Last Duel (2021). Zum anderen realisiert er immer wieder kleinere, aber nicht minder hochkarätig besetzte Thriller: Body of Lies (2008), The Counselor (2013), All the Money in the World (2017). Mit House of Gucci führt Ridley Scott die zweite Tendenz fort. Im Zentrum seines neuen Filmes steht das weltbekannte, einflussreiche und vornehme Modehaus Gucci, dessen Vorsitzender Maurizio Gucci (Adam Driver) 1995 in Mailand durch zwei Kopfschüsse hingerichtet wurde. Seine Frau Patrizia (Lady Gaga) hatte einen Auftragsmörder auf ihn angesetzt. Ihre Verurteilung zu 18 Jahren Gefängnis sorgte weltweit für Aufsehen.
Scott war immer schon mehr Bildermacher als Geschichtenerzähler, und House of Gucci ist nicht sein erster Film, der durch visuelle Brillanz besticht, insgesamt aber ziemlich absehbar ist. Das ist freilich nicht so sehr der Regie anzulasten, sondern dem Drehbuch von Roberto Bentivegna, das sich auf den Roman von Sara Gay Forden aus dem Jahr 2001 beruft und bis in jede Wendung hinein vorhersehbar bleibt: Nicht so sehr dem Spannungsaufbau in der Plotkonstruktion gilt das Augenmerk, sondern dem Zeichenwert einer Marke (Gucci), der in den Werte- und Identitätsverfall einer geschäftsführenden Familie mündet. Dass Scott ganz bewusst filmhistorische Konstellationen schafft, ist augenscheinlich: Mit der Besetzung Al Pacinos als ältlichem, aber Dominanz ausstrahlendem Aldo Gucci, dem Oberhaupt der mächtigen Familie, ist der Bezug zu Al Pacinos Rolle als Michael Corleone in Francis Ford Coppolas Mafia-Epos The Godfather (1972) hergestellt. Überhaupt ist die Nähe zum Gangsterfilm unübersehbar. Wie Martin Scorsese in Goodfellas (1990) oder Casino (1995) charakterisiert Scott in House of Gucci die dynamische Struktur des Gangstertums: Es ist das Räderwerk der Gier, das sich hier dreht, und es ist die Gier nach materiellem Reichtum so sehr wie die nach Aufmerksamkeit, die die Menschen dazu antreibt, moralische Grenzen zu überschreiten. House of Gucci ist ein Film, der deshalb auf verschiedenen Ebenen funktioniert; eine Familiengeschichte, in der Väter ihre Söhne nicht lieben, die eingeheiratete Frau als Bedrohung wahrgenommen wird und Kinder um Anerkennung flehen. In seiner Dekonstruktion der Familie verfährt Scott in House of Gucci sehr viel unerbittlicher als in All the Money in the World (2017). Wir beobachten ganz kaputte Menschen, deren Identitäten sich längst hinter dem Familiennamen Gucci aufgelöst haben und sich nur noch über den Status der Marke definieren. Kämpfe um die Rangordnung, um Wertschätzung und Geltung werden so über einen Zeitraum von rund 30 Jahren ausgetragen und Scott weiß die Exzesse, den Glamour und die Anziehungskraft des Geldes, ja der Marke, gekonnt in Szene zu setzen. Scott darf wohl in dieser Hinsicht auf seine Erfahrungen als Werbefilmmacher fürs Fernsehen zurückgreifen, die den Grundstein für seine spätere Filmkarriere bildeten. Seine wunderbar fotografierten Bilder, unter der Leitung seines langjährigen Kameramanns Dariusz Wolski, hat er in eine musikalische Textur aus zeitgenössischen Popsongs gekleidet, die von George Michael, Donna Summer zu Eurythmics und New Order reichen. Die interpersonellen Dynamiken des einstigen Familienimperiums sind eindrücklich: Adam Driver baut ganz auf eine seriöse Charakterstudie, Jared Leto als dümmlicher Bruder Paolo gibt sich bewusst nahe an der albernen Karikatur, und Lady Gaga spielt ostentativ mit allen Zeichen des Standesdünkels – ein Mosaik, aus dem sich die Familie Gucci in all ihrer Gegensätzlichkeit zusammensetzt, und ein Film, der sich ganz auf der Oberfläche bewegt, ohne je oberflächlich zu sein..