Der Diener zweier Herren

Schnarch. In Rost

d'Lëtzebuerger Land vom 04.04.2001

Und ständig tropft der Wasserhahn. Von rechts aus dem Blickwinkel kommend, krümmt sich das rostige Rohr nach oben und formt so eine Art Portal, von dem ein längliches weißes Laken mit breiten goldenen Streifen herabhängt und im Durchzug hin und her weht. An diesem Rohr ist ein Wasserhahn befestigt, und der tropft. Langsam, aber stetig. Was das wohl für eine Mühe gemacht hat, es so hinzukriegen, dass der Hahn ständig tropft, in genau den richtigen Abständen. Deshalb muss es ja sicherlich auch eine Bedeutung haben, irgend etwas Sinnschwangeres. Pressemappen, Presseartikel durchforsten. Nichts. Irgendwo sagte Hansgünther Heyme, das Stück handele ja auch ein bisschen von Globalisierung. Ja, das muss es sein, mit dem Wasserhahn.

Ach ja, das Stück ... Goldoni, Der Diener zweier Herren, ein Klassiker, 1754. Jeder, der vergessen hatte, was ein Klassiker ist, wurde am vergangenen Sonntag bei der dreistündigen Premiere in vollem Ausmaß daran erinnert. Einen Klassiker erkennt man daran, dass er den Bildungsbürger anzieht, gefällig und verdammt langweilig ist (deshalb soviel Aufmerksamkeit für diesen blöden Wasserhahn). 

Von dieser 21. Produktion des Théâtre national du Luxembourg kann man ohne weiteres behaupten: The Medium is the Message, denn es war vor allem ein Event. Die beiden Franks (Hoffmann und Feitler) wollten die ersten sein, wollten die Industriebrache Esch-Belval sozusagen kulturell entjungfern. Die Zusammenarbeit mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen kam da eben richtig, dort wie hier versuchen die Macher, gutes populäres Theater anzubieten. 

Drum wurden in Esch ungewöhnliche Mittel freigesetzt, um diese beeindruckende Halle bespielbar zu machen: akustische Abdichtung, Heizung, Logen, Umkleidekabinen, Vorhänge, ein sehr ästhetisches mobiles Klo vor der Tür, riesige Vorhänge, Fluchtwege, Bühne, Tribünen ... Eine Mannschaft der Kulturfabrik arbeitet wochenlang an der Herrichtung der Halle, damit am Ende alles aussieht ... wie in der Kulturfabrik. Allerdings bei weniger Komfort. Warum also der Aufwand? 

Wegen der außerordentlichen Spielstätte beschloss Hansgünther Heyme also, das Stück plusminus in die Entstehungszeit der Halle zu verlegen, Ende 19. Jahrhundert. Das sollte man dann an den Kostümen erkennen..., hm ... Bloß warum, weshalb, was sagt uns das mehr über das Stück, über das Leben, über heute? Neben der Arbed, der Brachen-Entwicklungsgesellschaft Agora und der Gemeinde Esch, wird die Produktion auch vom OGB-L unterstützt, zu Ehren der Oarbechter der Eisenindustrie.

Denn für den politischen Regisseur Heyme ist Der Diener zweier Herren vor allem ein Stück über Armut, Ausbeutung und Arbeit. Der Held des Lustspiels ist der Diener Truffaldino (Ekkehard Schall), aus Bergamo natürlich, der nach Venedig kommt und dort im Dienste der Beatrice (Ingrid Lang) so wenig verdient, dass er eine zweite Dienerschaft annimmt, und zwar bei Florindo (Vladimir Pavic). Truffaldino muss von nun an alles tun, damit die beiden, Beatrice und Florindo, sich nie begegnen, wo doch Beatrice eben diesen, ihren Geliebten sucht. Ihn, und ein bisschen Geld, das sie in Männerkleidung im Namen ihres verstorbenen Bruders beim Signore Pantalone eintreiben will. In dieser Rahmenhandlung spielen sich etliche mehr oder weniger komplizierte Liebesbeziehungen (Clarice und Silvio, Truffaldino und Smeraldina) und viele Quiproquos ab.

Ekkehard Schall gefällt sich sichtlich in der Rolle des Arlequino - Standardfigur der Commedia dell'arte, welche bei Goldoni zum Truffaldino wurde - ein wuseliger und bauernschlauer Diener, der in keiner auch noch so verflixten Situation in Verlegenheit gerät. Spätestens bei der Brotkrümelszene, wenn er versucht, einen geöffneten Brief mit etwas gekautem Brot wieder zu versiegeln, das Brot allerdings immer wieder vor Hunger verschluckt, hat Schall das gesamte Publikum in seiner Tasche. 

Spaß hat er sicher auf der Bühne. Doch der Regisseur erklärt schwerfällig im Programmheft, seine Besetzung der Rolle sei auch eine politische: "Es geht auch darum, welche Rolle die ältere Generation in unserer 'modernen' Gesellschaft spielt", (schon wieder ein Altenstück?!). Und dass einem das Ausmaß dieser Besetzung erst zugänglich werde, wenn man wisse, dass Ekkehard Schall beim Berliner Ensemble war, gebrandmarkter Brechtschauspieler. Heyme weiter: "Wird eine solche Biographie nicht auch wie die linke Ideologie zerrieben zwischen 'zwei Herren', dem damaligen real existierenden, völlig kaputten Sozialismus und dem oft menschenfeindlichen Kapitalismus?" Aha! Dann ist das Rohr mit Wasserhahn vielleicht das Brandenburger Tor? Oder eher die Mauer?

Max Putz schleppt einen Koffer auf die Bühne. Komplett gekrümmt, man erkennt ihn kaum. Irgendwann tut Roger Seimetz das gleiche. Annette Schlechter rennt wortlos aus der Küche und wieder in die Küche. Marc Baum sagt ein paar Sätze. Es gibt keine kleinen Rollen, behaupten sarkastische Regisseure in solchen Fällen immer. 

Christiane Rausch hingegen hat eine "richtige" Rolle, sie spielt den ungehobelten Wirt Brighella; Hansgünther Heyme hatte sie bei Frank Hoffmanns Tempête in Esch entdeckt, und sie hält durchaus mit neben Schall. Was wohl nicht so einfach ist. Die interessanteste Figur neben Truffaldino ist sonder Zweifel die der Smeraldina, im Text, weil sie recht feministisch angehaucht ist, auf der Bühne, weil Brigitte Horn  sie konsequent marionnettenhaft spielt, mit Marotten und Manien auffüllt.

In seiner Inszenierung ist Hansgünther Heyme bewusst texttreu geblieben, kein Bruch, keine Infragestellung. Nein, nein, Lachen befreit, und man solle "im hegelschen Sinn" lachen, als Selbsterkenntnis sozusagen. In einem klassischen Theater würde sich außer Schulklassen niemand mehr ein so verstaubtes Stück ansehen; der "italienische Molière" altert schlecht. 

Er arbeite gerne in Luxemburg, schreibt Frank Hoffmann in einem Katalogtext zur Ausstellung Luxembourg, les Luxembourgeois, denn in Luxemburg sei das Theater ein La-boratorium, man könne viel experimentieren. Schade, dass die diesjährige Programmierung des TNL diese Ambition überhaupt nicht widerspiegelt (Kafka, Mozart, Brecht ... nur tote Männer). 

Und was hat das alles wiederum mit diesem dämlichen, tropfenden Wasserhahn zu tun?

Der Diener zweier Herren von Carlo Goldoni, Regie: Hansgünther Heyme, Ausstattung: Hansgünther Heyme / Kaspar Glarner, mit: Marc Baum, Paul Christophe, Andrea Hillebrand, Brigitte Horn, Peter Kaghanovitch, Ingrid Lang, Kerstin Lange, Vladimir Pavic, Jörg Petzold, Max Putz, Christiane Rausch, Wolfgang Robert, Ekkehard Schall, Annette Schlechter und Roger Seimetz. Weitere Vorführungen in Esch heute und morgen abend sowie am 25., 26., 27. und 28. April 2001 jeweils um 20 Uhr; Buspendeldienst ab Parking Belval, Telefon für Reservierungen: 55 88 26. Am 13. Mai ist Premiere in Recklinghausen.

josée hansen
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