Leitartikel

Das Ende der Sowohl-als-auch-Politik

d'Lëtzebuerger Land vom 22.05.2020

Es gibt zwei Lesarten, warum das System Juncker 2013 zusammenbrach. Die eine: Staatsminister Jean-Claude Juncker ist über seine eigene Hybris gestürzt, hat sich in Affären verstrickt und seine Gegner gegen sich und seine Partei aufgebracht. Es ist die bekannte Lesart, die den Sturz der CSV als politische Tragödie beschreibt, in welcher der einstige Held in sein eigenes Verderben ritt.

Doch es gibt noch eine andere Erklärung, die etwas in Vergessenheit geraten ist und deutlich weniger literarischen Charme besitzt. Sie geht so: In der Wirtschafts- und Finanzkrise ging der Regierung von Jean-Claude Juncker das Geld aus. Das Wachstum brach ein, die Schulden wuchsen und die Nachbarstaaten drohten, den Finanzplatz in Luxemburg stillzulegen. Die Politik der Befriedung durch Geld war nicht mehr möglich, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände begannen ebenso wie andere Organisation zu intrigieren. Oder mit dem Wahlslogan von Bill Clinton resümiert:
It’s the economy, stupid!

Die Dreierkoalition steht heute vor ähnlichen strukturellen Problemen wie die letzte CSV-Regierung vor rund zehn Jahren. Noch ist nicht klar, wie nachhaltig die Coronakrise der Wirtschaft schaden wird, aber das Statec geht von einem beeindruckenden Konjunktureinbruch aus und rechnet bereits mit einem historischen Wirtschaftsabschwung von bis zu zwölf Prozent in diesem Jahr. Noch hoffen alle darauf, dass die Welt nur für kurze Zeit die Luft anhält, um nachher im gewohnten Rhythmus weiter zu atmen. Finanzminister Pierre Gramegna (DP) greift deshalb wie seine europäischen Amtskollegen massiv in die Staatskasse, stellt öffentliche Gelder in Milliardenhöhe in Aussicht und treibt die Staatsschuld auf ein Rekordhoch von vorrausichtlich 29 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das Ziel: Durch Interventionspolitik das wirtschaftliche Fundament retten und ein Maximum an Substanz erhalten, damit die Unternehmen nach überstandener Pandemie sofort wieder loslegen können.

Doch diese staatliche Bazooka-Strategie steht vor zwei Unbekannten. Zum einen ist vollkommen unklar, ob die Coronakrise sich nur auf drei kostspielige Monate begrenzen wird. Virologen gehen eher davon aus, dass das Virus sich in einer zweiten Welle erneut ausbreiten wird. Und zum anderen ist es wohl naiv zu glauben, dass die Wirtschaft nach der Pandemie wieder wie in den vergangenen Jahren brummen wird. Der Keim hat die Gesellschaft verunsichert: Betriebe und Haushalte werden eher konservativer agieren, Rücklagen aufbauen, weniger konsumieren und investieren.

Der Corona-Absturz droht deshalb in eine quälend langsame Erholungsphase zu münden, die sich bis zu den kommenden Wahlen 2023 ziehen wird. Für die Dreierkoalition, die in den vergangenen Jahren aus dem Vollen schöpfen und eine lockere Gießkannenpolitik wie die einstige CSV-Regierung betreiben konnte, verändert sich dadurch der Handlungsspielraum. Sie wird sich von der Sowohl-als-auch-Politik verabschieden müssen und politische Entscheidungen treffen müssen, die schmerzen. Der Spagat zwischen ökologischen Reformen, Entlastung der Mittelschicht und Anstieg der Sozialausgaben wird kaum mehr möglich sein. Spätestens dann, wenn der Haushalt derart belastet sein wird, dass das geliebte Tripple A der Ratingagenturen in Gefahr gerät wie 2012 unter Staatsminister Juncker, wird sie sich auch die Gretchenfrage stellen müssen, die derzeit alle hinausschieben: Sparmaßnahmen oder Steuererhöhungen? Die geplante Steuerreform am Ende der Legislaturperiode sollte als Visitenkarte für die kommende Wahl dienen. Doch sie wird am Ende die Bürger wohl eher be- als entlasten.

Pol Schock
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