Theater

Rien ne va plus

d'Lëtzebuerger Land vom 26.10.2018

Ein halbes Dutzend Mal haucht Croupier Nora König „Faites vos jeux“ ins Mikrofon jenseits des Bühnenkreises. Mit dem abschließenden „Rien ne va plus!“ und einem sekundenlangen Trommelwirbel beginnt die schwarze Scheibe zu drehen, schiebt sie die darauf stehenden Spieler einer Kugel gleich am herumsitzenden Publikum entlang. Ob Hauslehrer Alexéj, Polina oder die Großtante, alle stieren sie der kreisenden Roulette-Kugel nach, bis sie endlich im Feld der erwünschten Zahl steckenbleibt: „Alles auf zéro!“ Euphorisch stürzt der Gewinner sich auf die Geldscheine. Bestürzt krümmt der Verlierer sich zu Boden. Menschliche Abgründe tun sich auf. Rien ne va plus.

In seinem Roman Der Spieler aus dem Jahre 1866 setzt sich der russische Dichter Fjodor Dostojewski mit der zum Teil am eigenen Leib erfahrenen Spielsucht auseinander. Aus dem kurzen Prosawerk arbeitete Regisseur Frank Hoffmann eine Dramenversion heraus, die er mit Die Spieler betitelte. Noch im September, anlässlich der Programmpräsentation des Théâtre National du Luxembourg, kündigte der ehemalige Leiter der Recklinghausener Ruhrfestspiele die Produktion als eine Art Hommage ans dortige Team an. Dies lässt sich umgehend am Ensemble festmachen: Mit Darstellern wie Ulrich Gebauer, Jacqueline Macaulay, Ulrich Kuhlmann und Wolfram Koch lässt Hoffmann eine Reihe an Künstlern defilieren, mit denen der Luxemburger Regisseur über Jahre hinweg zusammengearbeitet hat. Hoffmanns Inszenierung wirkt wie ein abschließender Paukenschlag. Doch auch unabhängig von diesem Charakter eines großen Schlussakkords bietet das ganze Ensemble einen großartigen Theaterabend.

Die Dramaturgie verläuft auf zwei Bahnen: Zum einen fokussiert die Geschichte mehrere Szenen über die Zwiste und Intrigen innerhalb einer russischen Familie, die sich aus unterschiedlichen Gründen aus dem finanziellen Sumpf retten möchte. In regelmäßigen Abständen werden diese Konflikte von Spieleinsätzen im Casino unterbrochen. Grelle Musik, schrille Figuren, dazu Annette Schlechter als 24-jährige Blondine im Leopardenkleid, Kuhlmann als Bananen verschlingender Verführer, prägen diese Momente. Wie im Zirkus werden die Spieler in ihrer Gier vorgeführt, werden sie bloßgestellt in ihrem Irrglauben, an diesem Ort des Glücksspiels sei das Glück frei Haus lieferbar.

Zum anderen aber läuft die gesamte Spannung auf den Auftritt der „quicklebendigen“ Großtante Antonída Wassíljewna Tarassewitschewa hinaus. Noch anlässlich einer vermeintlichen Todesnachricht setzen sämtliche Verwandten zum Jubeltanz an, in Erwartung eines bevorstehenden Erbsegens. Doch nun tritt die Großtante ins Geschehen und der verhassten Sippschaft mächtig auf die Füße. Sie wird nichts von ihrem Hab und Gut vererben. Die Heilsbringung bleibt aus. Tantchen wird dem Spielwahn genauso verfallen wie alle anderen und der heuchlerischen Brut auf der Nachhausefahrt den Rücken kehren.

Für Hoffmanns Bühnenkunst typisch, sind Die Spieler eine solide, konventionell angelegte, psychologisch ausgelotete Inszenierung, die die Regie wohldosiert mit schrillen Einfällen versüßt. Ein solcher Kunstgriff ist zweifelsohne der Auftritt des kongenialen Darstellers Wolfram Koch im Kostüm der keifenden Erbtante. Die Natürlichkeit, mit der Koch in diese weibliche Rolle schlüpft, sorgt für den Knaller des Abends. Zudem sei die Leistung von Anouk Wagener hervorgehoben. Die Jungschauspielerin erobert unsere Bühnen mit frechem Charme und sicherer Stimme. Doch auch das gesamte Ensemble sprüht Spielfreude aus. An diesem Abend stimmt eben alles.

Frank Hoffmanns Kreation Die Spieler ist teilweise urkomisch, dank Christophe Rasches Drehbühne und formaler Abwechslungen sehr dynamisch und atmosphärisch dicht. Wie die Lichttechnik es vermuten lässt, klebt diese entwürdigende Spielsucht nach mehr Ruhm und Kapital wie tiefschwarzes Pech am dunklen Mantel der Charaktere.

Die Spieler nach Fjodor Dostejewski; Regie: Frank Hoffmann; Bühne: Christoph Rasche; Kostüme: Jasna Bosnjak; Dramaturgie: Ruth Heynen; Licht: Daniel Sestak; Musik: René Nuss; mit u.a. Ulrich Gebauer, Wolfram Koch, Nora Koenig, Ulrich Kuhlmann, Marco Lorenzini, Jacqueline Macaulay, Anne Moll, Anne Schlechter, Roger Seimetz, Maik Solbach, Anouk Wagener. Weitere Vorstellungen am 8. und 9. Februar 2019 um 20 sowie am 10. Februar um 17 Uhr. Karten unter www.luxembourg-ticket.lu sowie unter Tel. 4708951. Informationen: tnl.lu.

Claude Reiles
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