Nahostpolitik der Regierung

Gratwanderung

d'Lëtzebuerger Land vom 23.09.2011

Die Forderung von Präsident Mahmud Abbas, dass die Vereinten Nationen Palästina als Staat anerkennen wie 1949 Is[-]rael, stellt auch die Luxemburger Diplomatie vor eine Herausforderung. Gelingt es den USA nicht, die Palästinenser noch einmal zu überreden, sich zu gedulden und ihren Antrag in den schier endlosen Prozeduren der Vereinten Nationen verschwinden zu sehen, oder kann sich die Europäische Union nicht auf eine gemeinsame Position einigen, muss auch die Luxemburger Regierung das tun, was sie am liebsten vermeiden würde: Farbe bekennen. Dabei hat sich ihre Haltung gegenüber Israel in den letzten Jahren deutlich verändert.

Denn traditionell war die Luxemburger Politik stets sehr israel[-]freundlich. Weil sich Luxemburg als ein Opfer des deutschen Faschismus fühlte und deshalb Sympathie dafür hegen musste, dass jene europäischen Juden, die den deutschen Faschismus überlebten, in einem eigenen Staat Zuflucht finden konnten. Weil verschiedene politische Parteien, wie die DP und die LSAP, traditionell enge Beziehungen zur jüdischen Gemeinschaft im Großherzogtum pflegen. Weil Israel im Laufe des Kalten Kriegs seine Verbündeten gewechselt hatte und unter dem Schutz der USA, Luxemburgs Befreier und Schutzmacht, zur wichtigsten Militärmacht inmitten der Erdölfelder im Nahen Osten wurde. Seit den Siebzigerjahren ergriffen die Kalten Krieger von der CSV über das Luxemburger Wort bis zu RTL-Kommentator Paul Leuck bedingungslos Partei für Is[-]rael, während der palästinensische Befreiungskampf seine größte Sympathie links von der LSAP genoss.

Doch heute wird es selbst für rechte und liberale Politiker immer schwieriger zu rechtfertigen, dass von der UN-Resolution 181 von 1947 nur der israelische Teil umgesetzt wurde, während Palästina bis heute eine israelische Kolonie ist. Dass die USA seit 20 Jahren die Friedensverhandlungen monopolisieren, während sich die Zahl der israelischen Siedler auf palästinensischemTerritorium auf 600 000 verdreifachte. Nach dem Ende des Kalten Kriegs, der angeblichen Durchsetzung der Menschenrechte mittels humanitärer Kriege und dem Arabischen Frühling wagt es kaum noch jemand hierzulande, die Shoah als Begründung dafür anzuführen, dass Palästina ein völkerrechtsfreier Raum ist. Schließlich haben nicht die Palästinenser Auschwitz errichtet.

Mittlerweile gilt die Luxemburger Außenpolitik in verschiedenen Kreisen sogar als übertrieben israelkritisch. Insbesondere LSAP-Außenminister Jean Asselborn scheint nicht nur von der israelischen Diplomatie, sondern auch von der US-Botschaft auf dem Limpertsberg als unsicherer Kantonist eingeschätzt zu werden. Weshalb er abwägen muss, bis zu welchem Grad die in der UN-Vollversammlung populäre, demonstrative Unterstützung des palästinensischen Anliegens dem Luxemburger Anliegen nutzen wird, 2013-2014 in den UN-Sicherheitsrat gewählt zu werden, und wann sie kontraproduktiv zu werden droht.

Die unmenschlichen Bedingungen und täglichen Schikanen, unter denen vier Millionen Palästinenser auf einer Fläche nur viermal so groß wie Luxemburg leben müssen, aber auch die demütigende Art, wie teilweise rechtsextreme israelische Regierungen mit europäischen Politikern umgehen, scheinen den Minister vor Ort tief beeindruckt zu haben und seine Haltung zu erklären. Aber bei öffentlichen Anlässen vertritt der LSAP-Minister selbstverständlich nicht seine private Überzeugung, sondern die Position der gesamten Regierung und damit auch von Minstern der einst bedingungslos israelfreundlichen CSV. Was vielleicht noch erstaunlicher ist.

Romain Hilgert
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