Zwei Jahre besteht das „Superministerium“ für Nachhaltigkeit schon. Nicht nur Umweltschützer finden, es habe die Umweltpolitik geschwächt. Dabei arbeitet das Ministerium ganz passabel

Pragmatisch, praktisch, super

d'Lëtzebuerger Land vom 16.09.2011

Von allen Regierungsmitgliedern hat der Nachhaltigkeits- und Infrastrukturminister vielleicht das schönste Büro. Nicht nur hat Claude Wiseler aus dem 16. Stock des Héichhaus auf dem Kirchberg einen wirklich beeindruckenden Blick auf die Place de l’Europe und die vier Bürotürme in der Nachbarschaft. Aus dem nahegelegenen Mudam erhält er überdies regelmäßig Bilder geliehen, die dort gerade nicht ausgestellt werden. Und darüber freut der CSV-Minister mit der Aura des Schöngeists, der immer mal wieder streut, dass er „von der Literatur kommt“, sich wenigstens genauso sehr wie über das Kirchberg-Panorama vor seinem Bürofenster.

Im Frühjahr kam im höchsten Gebäude des Landes auch räumlich zusammen, was seit Bildung der Juncker-Asselborn-II-Regierung bereits fusioniert war, aber noch in der Hauptstadt verstreut residierte: die früheren Ministerien für Umwelt, Transport, Bauten und Landesplanung. Mit der „Vernetzung“ komme man ebenfalls gut voran, berichtet Wiseler. Zum Beispiel zwischen dem ehemaligen Ressort für Transport sowie der Straßenbauverwaltung aus dem früheren Bautenministe-rium. Die Zuständigkeit für die „allgemeine Verkehrsplanung“, die bisher noch kein Ministerium besaß, gehe nun mehr und mehr in die Landesplanung über. „Ganz wichtig“ sei das, sagt Wiseler. Es stärke die Landesplanung ungemein.

Nicht jeder aber sieht die Rolle des „Superministeriums“ so positiv. Blanche Weber zum Beispiel, die Präsidentin des Mouvement écologique, dürfte heute Nachmittag, wenn sie in Halle 8A der Kirchberger Messe die Oekofoire 2011 eröffnet, in ihrer Ansprache auch das Nachhaltigkeitsministerium erwähnen. Mehr als nur erwähnen womöglich: Vergangenes Jahr um diese Zeit hatte sie in ihrer Eröffnungsrede erklärt, sie fürchte, dass Umweltanliegen sich im Nachhaltigkeitsministerium „verlieren“. Ein Jahr später sieht sie sich „in ihren Befürchtungen bestätigt“, wie sie dem Land erklärt. „Die Umweltpolitik wurde geschwächt.“

Dabei hatte der Mouvement écologique im Wahlkampf 2009 zu jenen gehört, die für umfangreiche Zusammenlegungen von Ministerien plädierten. Ein „Mobilitätsministerium“ aus Transport- und Bautenministerium wünschte der Umweltverband sich, sowie ein „Zukunftsministerium“ für nachhaltige Entwicklung, Klima, Energie und Umwelt. Aus der parlamentarischen Opposition kamen damals ähnliche Ideen: Die Grünen wollten Landesplanung, Transport und Wohnungsbau in ein „Ministerium für Raum- und Verkehrsplanung“ geben und das Energieressort aus dem Wirtschaftsministerium aus- und ins Umweltministerium eingliedern. Manche DP-Politiker wiederum hätten einem „Super-Umweltministerium“ neben dem Energieressort auch das für Transport und das für Landwirtschaft zugeschlagen. Wer zurückblickt auf all die Ideen, kann meinen, CSV und LSAP hätten bei der Regierungsbildung lediglich eine weitere Fusionsvariante gefunden.

Zwei Jahre nach der Bildung des CSV-geführten Nachhaltigkeitsministeriums, in dem der frühere Umweltaktivist Marco Schank als delegierter Minister fungiert, kommt aber nicht nur vom Mouvement écologique Kritik. Sondern auch, wenngleich vorsichtig, vom Koali-tionspartner: „Bei den Themen, die gestärkt werden müssten, geschieht eher das Gegenteil“, findet LSAP-Fraktionspräsident Lucien Lux.

Konkrete Projekte zu kommentieren, lehnt Wiselers Vorgänger im Umwelt- und Transportministeramt ab. „Aber über Naturschutz, Klimaschutz und die Priorität für den öffentlichen Transport gegenüber der Straße wird nicht mehr gestritten. Das ist alles lau und ungefährlich geworden, da gibt es keine klaren Worte mehr.“ Über Naturschutzfragen zum Beispiel lege Marco Schank sich mit den Bauern nicht an, „denn das ist CSV-Klientel“.

Ob solche Äußerungen die beiden Nachhaltigkeitsminister ärgern? Vielleicht, weil sie vom Koalitionspartner kommen. Doch in der Sache vermutlich nicht. In Wiselers Büro im 16. Stock des Héichhaus beschreiben er und Marco Schank ziemlich genau das, was Lux ihnen vorhält, als neuen Stil, den die Ressortfusion erst ermöglicht habe. Konflikte zwischen Umweltschutz und Infrastrukturvorhaben, die im Grunde ständig drohen, werden wie folgt gelöst: „Früher“, sagt Schank, „waren Umweltfragen nachgeschaltet. Projekte wurden im Nachhinein auf ihre Umweltkompatibilität überprüft. Heute geschieht das vorab. Früher war der Umweltminister oft der Böse, weil er etwas ablehnte. Heute wird ein Projekt, falls nötig, abgeändert, damit es kompatibel wird. Wir wollen keine Spielverderber sein.“

Natürlich habe das Umweltressort seine Unabhängigkeit behalten, betont Wiseler. „Es hat ja eine Genehmigungsfunktion.“ Und es sei nicht etwa so, dass seine Meinung mehr zähle als die des delegierten Ministers, bekräftigt er noch. „Wir treffen uns mindestens einmal wöchentlich, und ich habe noch nie ein Projekt genehmigt, mit dem Marco Schank nicht einverstanden gewesen wäre.“ Der delegierte Minister nickt dazu.

Debatten über Konflikte zwischen Umweltbelangen und Infrastrukturvorhaben „im Haus“ zu erledigen, statt sie nach draußen zu tragen, nennt Wiseler „gute Regierungsarbeit“. Vielleicht, fügt er scherzhaft hinzu, „stört es die Journalisten“. Doch allem Anschein nach ist das nicht mehr nur eine Frage der Kommunikation zwischen Regierung und Öffentlickeit. Sondern auch eine der Checks and Balances im Demokratiebetrieb: „Ich fürchte, dass über Umweltfragen bald gar nicht mehr diskutiert werden kann“, sagt der grüne Abgeordnete Camille Gira, Vizepräsident des parlamentarischen Nachhaltigkeitsausschusses. Soll heißen: „Planungen, bei denen die Umwelt berührt ist, könnten aufhören, ein ergebnisoffener Prozess zu sein.“ Die Tendenz, meint Gira, bestehe schon: „Wie kann Claude Wiseler öffentlich erklären, die Umgehungsstraße von Niederkerschen werde gebaut, nächstes Jahr komme ein Gesetzentwurf? Die Straße würde durch eine Zone verte interurbaine und durch ein Überschwemmungsgebiet führen. Zwei Umweltminister haben zu ihr in der Vergangenheit bereits Nein gesagt!“

Auch der DP-Abgeordnete und frühere Umweltstaatssekretär Eugène Berger wirft Wiseler und Schank vor, „vor allem dafür gesorgt“ zu haben, „dass das Bautenressort effizienter arbeiten kann“. Zum umstrittenen Fußballstadion mit Outlet-Mall in Liwingen beispielsweise habe Wiseler sich im parlamentarischen Nachhaltigkeitsausschuss zwar geäußert – dabei aber „nie“ ein Plädoyer für die Umwelt gemacht. Ein Nachhaltigkeitsministerium brauche aber einen starken Umweltminister, meint Berger. Sonst sei es umso verhängnisvoller, dass dort auch die Zuständigkeit für Infrastrukturen liegt.

Blanche Weber wiederum ist aufgefallen, dass der Regierungsrat vor zwei Wochen eine Liste mit Infrastrukturprojekten guthieß, die weiter studiert werden sollen, und wofür das Parlament die Kostenübernahme genehmigen muss. Darunter sind Straßenbauvorhaben wie die Süd-Umgehungsstraße von Alzingen oder die Nord-Umgehung von Diekirch. Vorplanungen nach würden beide durch Landschaftsschutzgebiete verlaufen. „Wer“, fragt die Méco-Vorsitzende, „hat darüber schon entschieden?“

Niemand habe darüber entschieden, betont Claude Wiseler. Für die-se Straßen stehe weder der Streckenverlauf fest, noch gebe es schon Studien zu alternativen Trassen. All das solle nun erst erarbeitet werden, und anschließend werde man entscheiden: wie man die Bauten realisiert, ob überhaupt, und mit welchen Kompensationsmaßnahmen für den Naturschutz womöglich. Zu Liwingen sei das letzte Wort ebenfalls noch nicht gesprochen. Noch stünden Studien aus. Aber dass dieser Standort „der logischste“ für das Projekt sei – „das war in der Tat meine Aussage“.

Folgt daraus, dass Umweltbelange immer wieder einem neuen Pragmatismus geopfert werden könnten – ohne öffentliche Debatte? Nicht zuletzt weil, wie Eugène Berger meint, Claude Wiseler „keine Pas-sion für die Umwelt“ hat? Und vielleicht auch weil, wie man beim Mouvement écologique vermutet, der einstige CSV-Vorzeige-Öko Schank als ministre délégué im Superministerium doch weniger zu sagen hat, als er und Wiseler glauben machen?

Das mag alles zutreffen. Wiseler zum Beispiel ist Opportunist genug, um, wie letztes Jahr geschehen, beim feierlichen Empfang der Garagistenverbände vor dem Autofestival zu erklären, seine eigenen Bekenntnisse für den prioritären Ausbau des öffentlichen Transports und der Schienenwege würden oft „falsch verstanden“: Klar sei, dass das Gros des Verkehrs weiterhin aus Autofahrten bestehen werde, und dafür garantiere er auch künftig „allen Komfort“.

Die Frage, ob das Nachhaltigkeitsministerium die geeigneten Minister hat, geht aber am Kern des Problems vorbei. Aufschluss gibt das Regierungsprogramm, und nicht von ungefähr hat das Nachhaltigkeits- und Infrastrukturministerium auf seiner Web-Seite sein Selbstverständnis mit jener Passage aus der Regierungserklärung von Premier Jean-Claude Juncker illustriert, in der es heißt: „Nous ne pourrions bénéficier d’un développement durable que si nous parvenons à résoudre le conflit entre économie, développement des infrastructures et environnement (...).“

Denn das ist eine politische Vorgabe, nach der Luxemburg als weiterhin auf hohes Wachstum orientierte Volkswirtschaft zu verstehen ist, die sich dazu die nötigen Infrastrukturen geben muss – wofür der pragmatische Ausgleich mit der Umwelt gesucht werden soll, und wogegen auch die LSAP nichts einzuwenden hatte. Gemessen daran, hat das neue Ministerium bisher vermutlich ganz passabel funktioniert. Und für eine Volkswirtschaft, von der erwartet wird, dass sie in den nächsten Jahrzehnten um wenigstens drei Prozent im Jahresschnitt wächst, damit beispielsweise der Pensionsreformentwurf der Regierung aufgeht, sind die beiden unaufgeregten Minister an der Spitze des Nachhaltigkeitsministeriums vielleicht genau die richtigen Männer zur rechten Zeit am rechten Ort.

Dass keine gesellschaftspolitische Grundsatzdiskussion über den Sinn weiteren Wachstums gewollt sei, beklagten Umwelt- und Dritt-Welt-NGOs, nachdem Wiseler und Schank vor einem Jahr zum Partenariat pour le climat et l’environnement eingeladen hatten. Gegenüber dem Land stellt Wiseler klar: „Die gesellschaftlichen Optionen zur Nachhaltigkeit, die wir zur Diskussion stellen, stehen im Regierungsprogramm. Das ziehen wir durch.“

Vermutlich liegt darin noch einiges Konfliktpotenzial mit Umweltschützern. Doch ob draußen im Land, beim Wähler, dieses Verständnis von Nachhaltigkeit schlecht ankommt, fragt sich noch. So, wie Lucien Lux seinerzeit dafür zu sorgen vermochte, dass die LSAP den Grünen Umweltthemen wegnahm, und seiner Partei womöglich größere Teile einer umweltbewegten, bürgerlicheren Klientel zu erschließen half, können Claude Wiseler und Marco Schank die nicht unwichtige Rolle erfüllen, den séchere Wee der CSV in den 700 000-Einwohnerstaat zu zeigen. Und mag Marco Schank, der einstige Umwelt-Aktivist, dabei vielleicht auch ein wenig Kredit bei öko-konservativen Wählern im Nordbezirk verlieren – Claude Wiseler könnte es im Zentrum sogar nützen, politisch hin und wieder mit Blanche Weber überkreuz zu liegen.

Peter Feist
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