Einen der größten Eingriffe in die Umweltschutzmaßnahmen musste der Ressortverantwortliche Serge Wilmes selbst nicht vorstellen. Innenminister Leon Gloden (CSV) verkündete am Mittwoch vor einer Woche im Rahmen der Vorstellung des „10-Punkte-Programms“ zur Verwaltungsentschlackung bei Bauvorhaben: Eine Umweltverträglichkeitsprüfung ist nun nicht mehr ab einem Schwellenwert von zwei Hektar, sondern erst ab vier Hektar erforderlich. Die Konferenz dauerte 90 Minuten. Neben Wohnungsbauminister Claude Meisch (DP) und Gloden wirkte Serge Wilmes etwas blass. Gegen Ende der Pressekonferenz kam er kurz zu Wort und stellte die geplanten Neuerungen im Umweltbereich vor: Vor allem wechsle man bei den Ausgleichsmaßnahmen von einer „Mikro“- zu einer „Makrosicht“. Die zerstörten Biotope könnten demnach durch eine flexiblere Handhabung ausgeglichen werden: Der Artenschutz soll sich nicht auf einen bestimmten Standort konzentrieren, sondern in einem Gesamtkontext evaluiert werden – je nachdem auf Dorf- oder Landesebene. Von einer „kopernikanischen Wende“ spricht Paperjam im Anschluss an die Pressekonferenz. Der Umweltschutz würde über neue Umwege auf der Makroebene gesichert; das Schreiben des Ministeriums hält fest: Man konzentriere sich nun auf ökologische Großprojekte, „die einen deutlichen Mehrwert für die Umwelt schaffen.“
Die ehemalige grüne Umweltministerin Joëlle Welfring sieht keine historische Umwälzung, keinen kopernikanischen Umsturz im Schaffen von Serge Wilmes. „Ich begrüße die Vorschläge zur Vereinfachung der Prozeduren. Wie der Umweltschutz künftig gestaltet werden soll, bleibt aber unklar – es fehlt an Details im vorliegenden Dokument.“ Vieles von dem, was der Text verspricht, habe sie bereits in die Wege geleitet, wie das Prinzip der „Natur auf Zeit“. Dieses beinhaltet, dass für spontan entstandene Biotope auf Brachland vereinfachte Ausgleichsmaßnahmen verlangt werden. Dennoch gingen die Überlegungen des CSV-Ministers in eine andere Richtung, antwortet das Ministerium auf Land-Nachfrage: Das Vorgehen der ehemaligen Ministerin sah eine allgemeine Erfassung von Biotopen vor, wenngleich die Ausgleichsmaßnahmen vereinfacht werden sollten. Im neuen Maßnahmenkatalog wird jedoch vorgeschlagen, keinen Ausgleich für „Gehäcks a Gestrëpps“ vorzusehen. So reduziere das Ministerium die Anzahl der erforderlichen Datenerhebungen und ermögliche es, finanzielle und personelle Ressourcen einzusparen.
Weil es im Wahlkampf griffiger war, den Naturschutz anzugreifen, als über kommunale Reglementierungen von brachliegendem Bauland zu diskutieren, versteifte sich die CSV letzten Sommer auf die Grünen als Hauptproblem: Spitzenkandidat Luc Frieden warnte vier Wochen vor den Wahlen, nur wenn Betriebe nicht „Tag und Nacht an Umweltauflagen“ denken müssten, blieben sie wettbewerbsfähig. Der Wohnungsbau leide an „allen möglichen Impaktstudien“ im Bauperimeter. Sieben Monate nach den Wahlen bekräftigt CSV-Umweltminister Serge Wilmes diese Klage abermals im RTL-Background: Ihm sei es wichtig, „wéi de Ministère dobausse gesi gëtt“. Das Ministerium soll nicht mehr „als Verhinderungsministerium, sondern als Gestaltungsministerium“ betrachtet werden. Die vorherige Regierung sei „vun uewen erof“ aufgetreten. „D’Impressioun ass opkomm, datt et ee Ministère ass, deen d‘Leit kujenéiert, amplaz motivéiert“. Durch die administrative Vereinfachung solle sich das Bild seines Ministeriums verändern. Leider habe man in den letzten zehn Jahren eine „ideologisch behaftete“ Herangehensweise beobachten können. Unter ihm nun soll pragmatische CSV-Politik zum Zuge kommen.
Ob Minister Wilmes dabei selbst an das CSV-Narrativ von grüner Verhinderungspolitik glaubt, ist zu bezweifeln. Gegenüber Reporter sagte er im April 2023 als damaliger Schöffe von Luxemburg-Stadt zur Wohnungsbauoffensive: „Das klingt gut, aber wir haben jetzt schon alle Mittel mobilisiert.“ Er nannte als Herausforderung vor allem den Zuzug nach Luxemburg-Stadt; die Stadt wachse innerhalb von fünf Jahren um etwa 15 000 Einwohner. Da komme keine Bauoffensive nach. „Wer sagt, dass wir diesen Rückstand aufholen können, lügt meiner Meinung nach“, so Wilmes vor einem Jahr.
Die angekündigte CSV-Pragmatik könnte an der Praxis scheitern, meint die LSAP-Abgeordnete Claire Delcourt im Gespräch mit dem Land. Laut dem vorliegenden 10-Punkte-Programm könnten sich der Rotmilan, der Abendsegler, Fledermäuse und andere Tiere neuansiedeln, nachdem ihr Revier zerstört wurde. „So einfach ist es nicht, Tiere umzusiedeln, sie sind auf bestimmte Flugbahnen angewiesen“, analysiert Delcourt. Am Montag hat sie in der Kommissionssitzung einen „hektischen“ Umweltminister erlebt, der „unsicher“ wirkte. Die Sitzung fand gemeinsam mit Innenminister Gloden und Wohnungsbauminister Meisch statt. Pirat Marc Goergen kommentiert, der CSV-Minister habe „am Montag bedenklich oft seinen Beamten das Wort überlassen“. Gegenüber dem Land beklagt Meris Sehovic, die Sitzung sei autoritär und unprofessionell von Marc Lies (CSV) präsidiert worden. Auch das Vorgehen der Regierung sei bedenklich: Zunächst stellte sie ihren Plan der Presse vor, dann erst suchte sie das Gespräch mit dem Parlament. Am Mittwoch griff Sam Tanson (déi Gréng) diesen Punkt in einer Parlamentssitzung auf; zu oft käme es vor, dass die Abgeordneten über Neuerungen durch Presseberichte erfahren. „Wir wollen, dass das aufhört.“ Das Parlament sei keine Informationsversammlung. „Wer Respekt vor diesem Haus hat, geht nicht so vor“, empört sich Tanson.
Schon länger wird Wilmes als „risikoscheu“ gehandelt, als jemand mit „schwammigem Profil“, wie in einem Artikel von Reporter vor einem Jahr. In dieser Zeitung schrieb Romain Hilgert, Wilmes kenne seine CSV-Klientel: Diese „misstraue Originalität“. Aus Oppositionskreisen hört man, aus dem freundlichen Wilmes, der noch vor einem Jahr energisch und wach wirkte, sei ein unsichtbarer Minister geworden – „macht ihm Politik noch Spaß?“. Dass der Minister Neuland betreten hat, daraus macht er kein Geheimnis: Die ersten sechs Monate seien „sehr intensiv gewesen“, sagte er im RTL-Radio. Als Schöffe habe er sich mit Umweltthemen befasst, aber das Ministeramt sei „eine andere Dimension“. Im Radio 100,7 bezeichnete er die Cop28, die im Dezember 2023 stattfand, als „Crashkurs in die Weltpolitik“. Er, als studierter Historiker, müsse sich nun in naturwissenschaftliche Themen einarbeiten. Gleich nach der Abgabe seiner Abschlussarbeit über die Abtreibungsdebatte in den 1970-er-Jahren stieg er in die Berufspolitik ein. Er sei dabei eher ein Trottoir-Politiker als ein Dossiers-Kenner, wird aus seinem politischen Umfeld berichtet.
Weil Joëlle Welfring am Montag nicht genug Zeit hatte, um ihre Fragen während der Kommissionssitzung zu stellen, reichte sie am Mittwoch eine parlamentarische Anfrage ein. Vor einer Woche kündigte der Umweltminister an, in Teilbebauungsplänen (PAP) für neue Wohnviertel zehn Prozent für ökologische Flächen vorzusehen. Im PAP sind aber bereits 25 Prozent für die Gestaltung von öffentlichen Plätzen und Infrastrukturen vorgesehen: „Wie hoch ist dabei der Anteil von bewaldeten Flächen und Biotopen?“, fragt sie. Es ist durchaus möglich, dass die von Minister Wilmes angekündigten zehn Prozent für Waldwuchs und Grünanlagen keinen echten Mehrwert bringen. Das Ministerium informierte am gleichen Tag das Land, die zehn Prozent, die nun vorgesehen sind, könnten sich tatsächlich mit öffentlichen, grünen Standorten überlappen, möglich seien aber auch begrünte Privatdächer hier einzuberechnen oder als Biotop angelegte Regenauffangbecken. In den kommenden Monaten sollen weitere Präzisierungen folgen.
Von den Umweltorganisationen wollte zum jetzigen Zeitpunkt keine Stellung zu den vorgestellten Reglementsanpassungen beziehen. Das Mouvement Ecologique will jedoch in einer Woche einige Anmerkungen veröffentlichen. Serge Wilmes sieht sich ohnehin nicht auf ihr Urteil angewiesen, sondern auf das der CSV-Wähler: „Wenn man nämlich den Rückhalt seiner Mitbürger verliert, kann man sehr wohl weiterhin ambitionierte Ziele formulieren, aber man riskiert, nicht mehr von seinen Wählern unterstützt zu werden“, sagte Wilmes im Mai gegenüber RTL-Radio. In Luxemburg musste eine bestimmte Partei „das radikal erleben“, so Wilmes. Er möchte nun ein „positives Zukunftsbild“ vermitteln, ohne einschränkende Maßnahmen umzusetzen. „Attitüden“ seien nicht zu unterschätzen.