Nachhaltiges Wohnen

Ein Ökodorf für Luxemburg

d'Lëtzebuerger Land vom 19.08.2011

Am 12. August startete im norddeutschen Ökodorf Sieben Linden die einmonatige Ecovillage Design Education. Unter der Organisation vom Globalen Ökodorf Netzwerk (GEN – Global Ecovillage Network) versammeln sich hier etwas mehr als 30 Leute aus aller Welt, um über die in den letzten Jahrzehnten entwickelten Gestaltungsprinzipien der heute aufblühenden Ökodorfbewegung zu lernen.

Die Ökodorfbewegung hat ihren Ursprung in der Kommunenbewegung der 60-er und 70-er Jahre. In einem neuen, besser organisierten Modell ist es die Vision von Ökodörflern, eine mehr oder weniger vollständige, selbstbestimmte und sich selbstversorgende Gesellschaft innerhalb der Weltgemeinschaft, das heißt ein Mikrokosmos im Makrokosmos, zu bilden. Die Menschen, die in einem Ökodorf leben, sollen zum größten Teil, so wie das in früheren Dorfgemeinschaften der Fall war, auch dort arbeiten und zumindest die alltäglichen und notwendigen Bedürfnisse vor Ort befriedigen können. Es geht also nicht nur darum, wie bei vielen so genannten Ökosiedlungen, die Dächer mit Solarzellen zu versehen und Plastiktüten durch Stoffbeutel zu ersetzen, sondern vielmehr auf kleinem Raum ein menschen- und umweltfreundliches Lebensklima zu schaffen, das zukunftsfähig, weil nachhaltig und ganzheitlich ist.

Das globale Ökodorf Netzwerk ist ein Zentralverband für Ökodörfer, Übergangsstädte, Kommunen und ökologisch bewusste Menschen weltweit. Es bietet eine Plattform, wo Gemeinschaften und Menschen unterschiedlicher Herkunft sich über nachhaltige Zufunftsvisionen und Technologien austauschen und diese Entwicklungen gefördert werden können. Es beinhaltet große Ökodorfnetzwerke wie Sarvodaya in Sri Lanka, Föderationen wie Damanhur in Italien, kleine ländliche Ökodörfer wie Gaia Asociación in Argentinien, Städteprojekte wie Los Angeles EcoVillage, nach Permakultur Prinzipien gestaltete Gebiete wie Crystal Waters in Australien oder Cocha[-]bamba in Bolivien, und Lernzentren wie Findhorn in Schottland.

Im Ökodorf Sieben Linden im norddeutschen Sachsen-Anhalt zeigen die etwa 130 Einwohner, wie eine Gemeinschaft ihr Ideal verwirklicht. Sie haben hier Schritt für Schritt im Laufe von 30 Jahren ein zukunftsweisendes, nachhaltiges Lebensmodell aufgebaut. Das Alter der Bewohner liegt zwischen 0 und 75 Jahren; 40 Kinder leben im Dorf. In den nächsten zehn bis 30 Jahren soll die Einwohnerzahl auf 300 steigen. Drei tragende Organisationen bilden die Basis zur Dorfentwicklung: der Freundeskreis Ökodorf e.V., der die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit betreibt, das kulturelle Programm organisiert und sich für die Verbindung mit der Region engagiert; die Siedlungsgenossenschaft Ökodorf e.G., die als oberste Selbstverwaltungseinheit im Dorf fungiert und deren Mitglieder alle erwachsenen Dorfbewohner sind; und die Wohnungsgenossenschaft SiebenLinden e.G., unter deren Dach die unterschiedlichen Nachbarschaften den Bau von Häuser planen und verwalten.

Für den Siedlungsaufbau werden die Prinzipien der Permakultur herangezogen, die ein interaktives „im Einklang mit der Natur“ fördern. So entstand ein geschlossener Wasserkreislauf, der Regenwasser nutzt und Grauwasser in eine Pflanzenkläranlage zur Klärung leitet. Durch die energiesparende Bauweise, die Wärmedämmung und Nutzung der Sonneneinstrahlung ist der durchschnittliche Energieverbrauch der modernen Passivhäuser, obwohl viele Bewohner noch in Bauwagen wohnen, um ein Drittel geringer als der Durchschnitt der Bundesrepublik Deutschland. In Sieben Linden gibt es drei tägliche Gemeinschaftsessen mit vegetarisch-biologischer Kost. Natürlich besteht auch die Möglichkeit, in der eigenen Küche zu kochen. Das Essen wird zum Teil selbst angebaut, zum Teil von bio-dynamischen Höfen aus der Region bestellt. Es gibt Gemeinschaftsbildungsprogramme für die Mitglieder, während denen gewaltfreie Kommunikation und basisdemokratische Entscheidungsprozesse geprobt und erlernt werden. Weiter besteht ein üppiges Kursangebot für allseits Interessierte zum Kennenlernen und Mithelfen wie auch speziellere Programme zur Gemeinschaftsbildung und nachhaltigen Entwicklung.

„Das Leben im Ökodorf gibt mir persönlich die Möglichkeit, mich praktisch mit den ökologischen und sozialen Fragen unserer Zeit auseinander zu setzten und diese in meine Kunst einzubauen“, berichtet Suzan Noesen, eine Luxemburgerin die seit knapp einem Jahr in Sieben Linden lebt und dort ein Kunstkollektiv leitet. „Hier nehme ich mich selbst als gesellschaftsgestaltendes Individuum wahr, ich erkenne die Auswirkungen meines Handelns und kann mein Potenzial durch den lebendigen und transparenten Austausch mit der Außenwelt verwirklichen.“

Die jährlich stattfindende Ecovillage Design Education bildet den Höhepunkt des Programms in Sieben Linden. Die Hälfte der 30 Teilnehmer kommen aus Entwicklungsländern, größtenteils aus Afrika, wo sie aktive Mitarbeiter in sozio-ökologischen Projekten sind. Den Teilnehmern werden hier Werkzeuge gegeben und Designmethoden vermittelt, um das Wissen, das in erfolgreichen Ökodorfprojekten entwickelt wurde in ihre eigenen Dorfgemeinschaften, Siedlungen oder Stadtteile zu bringen. Sie lernen, Vielfalt und Komplexität als feste Bestandteile widerstandsfähiger und nachhaltiger Systeme zu begrüßen, produktive Versammlungen zu leiten und basisdemokratische Entscheidungsprozesse durchzuführen. Ihnen werden die Prinzipien der Permakultur, das Konzept der geschlossenen Kreisläufe und das Grundwissen vom ökologischen Bauen, Wirtschaften und Leben beigebracht. Sie alle werden neue Mitglieder im großen Netzwerk der Ökodorfbewegung sein.

Auch ein Luxemburger wird dieses Jahr an der Ecovillage Design Education teilnehmen. Denn auch hier ist die Idee der Gründung eines Ökodorfes, wie auch der Geist der Nachhaltigkeitsbewegung und der Neugestaltung unserer gesellschaftlichen Werte bereits angekommen. Immer häufiger sind Begriffe wie „Tauschkrees“, „Vegane Brunch“, „Fréiraum fir Lëtzebuerg“ oder „Transition Town“ aus luxemburgischem Munde zu hören. Konstruktiver Aktivismus wird von der Zeitschrift Queesch oder der Gruppe CELL (Centre for Ecological Learning Luxembourg) gefördert. Und, wieso eigentlich nicht? „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist“, sagte bereits Victor Hugo. Hier ist ein Modell der Zukunft, eine Entwicklung, die Kultur und Leben ins Land bringen wird. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die richtige Gruppe zusammenfindet und ein Konzept zur Gestaltung des ersten Ökodorfes auf luxemburgischem Terrain entsteht.

Der Autor ist Diplom-Ingenieur in Landschafts­planung
Michel Thill
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