Digital-TV

Der Kampf um die kritische Masse

d'Lëtzebuerger Land vom 10.04.2008

Es geschah vor einem Monat und ohne viel Aufhebens: Am 10. März wurde die Post Digital-TV-Anbieterin. Mit 91 Fernsehkanälen, darunter acht luxemburgisch-, 35 deutsch- und 25 französischsprachigen, sowie über 40 Radiokanälen. Alles schon ab 19,99 Euro im Monat, Digitaldecoder inklusive, und für monatlich noch einmal vier Euro mehr erhält der Decoder eine Festplatte zum Aufnehmen. Einzige sonstige Voraussetzung zum Empfang der Télé vun der Post: ein bestehender DSL-Anschluss. 

Wird nun „schneller, als viele bisher annahmen, das Kabelnetzmonopol im Lande ad acta gelegt werden können“, wie der die Verbreitung des Digitalfernsehens traditionell aufmerksam begleitende Télécran (19.03.2008) meinte? 

Vielleicht. Luxemburg ist stark verkabelt. Nach den letzten verfügbaren Zahlen des Institut luxembourgeois de régulation (ILR) hatten Ende 2005 knapp 83 Prozent aller Haushalte einen TV-Kabelanschluss. Im selben Jahr trat das jüngste Gesetzespaket über die Liberalisierung der Telekommunikation in Kraft, von der das Kabelfernsehen ein Teil ist. Theoretisch könnten mit ein und demselben Kabelanschluss die Programme verschiedener Anbieter em­pfangen werden – so wie man mit einem Handy bei allen möglichen Mobilfunkanbietern Abonnent werden kann, oder wie sich seit Juli 2007 jeder mit Strom von wo er will beliefern lassen kann. Technisch jedoch ist eine solche Vielfalt sehr schwer realisierbar. 

Und so hat das Angebot der Post, da es eine andere Infrastruktur nutzt, schon etwas von einem Generalangriff auf die Marktanteile der Fernsehkabelbetreiber. Zumal die Télé vun der Post ebenfalls ein vielsprachiges Paket anbietet: Via Satellit ist so etwas nur zu haben, wenn man von mehreren Satelliten empfangen kann. Bei drahtlosem terrestrischem Empfang, der in Luxemburg in hoher Qualität nur noch digital möglich ist, hat man lediglich Zugriff auf ein Bouquet von RTL, welches zehn Sender der RTL Group enthält, darunter aber nicht einen deutschsprachigen.

Da erstaunt es auf den ersten Blick, dass die Post für ihr neues Produkt nicht stärker Werbung macht. Bisher aber ist es nur in Limpertsberg, Leudelingen und Mersch verfügbar und soll, so P[&]T-Pressesprecher Olivier Mores, „in den nächsten Wochen und Monaten progressiv entwickelt werden“. Noch mehr von einem Versprechen auf später hat der Vermerk auf der P[&]T-Homepage, interaktive Funktionen wie Video on demand und eine „Pause“- und eine „Rücklauf“-Funktion seien erst in Zukunft im Angebot. Denn gerade Interaktivität sollte ein Argument für ein Digitalfernsehen via DSL-Kabel sein: DSL ist generell bidirektional ausgelegt und gestattet dem Nutzer, zu „senden“. Für Fernsehkabelbetreiber dagegen ist die Installation eines Rückkanals eine Investition, wie sie noch längst nicht überall im Lande getätigt wurde: Vor allem in kleineren Gemeinden im Oesling, im Müllerthal und an der Mosel herrschte laut ILR Mitte 2006 noch immer One way vor, aber auch in manchen Südgemeinden. Nicht zu vergessen jene neun Gemeinden, in denen es gar kein Kabelfernsehen gibt, wohl aber DSL.

„Technische Hürden gibt es nicht für den Ausbau unseres IPTV“, sagt Alain Berg, Produktmanager für Inhalte in der P[&]T-Marketingabteilung. Die in den DSL-Installationen verfügbare Bandbreite sei auch dann noch ausreichend, wenn HDTV übertragen würde; selbst dann sei die Télé vun der Post nicht an VDSL, das bisher schnellste DSL, gebunden. 

Die Probleme stellen sich anderswo: „Must haves anzubieten, ist in Luxemburg nicht leicht “, räumt Alain Berg ein. Soll heißen: Auf die Inhalte kommt es an. Und da müsste die Post als Neuankömmling auf dem Markt mehr bieten als die etablierten Kabelversorger. Noch tut sie das nicht. Ihr Programm bezieht sie von Imagin, der Plattform, in der sich Eltrona und Nokia Siemens Networks im Jahr 2006 zusammenschlossen, um gemeinsam Inhalte zu akquirieren. Imagin beliefert derzeit an die 90 000 Kabelhaushalte im ganzen Land, nicht nur jene, die an Netze angeschlossen sind, die Eltrona und Nokia Siemens betreiben. Nun also auch die Post, die dem Imagin-Basispaket nur ein paar Sender mehr aufschaltet. Ein Killerangebot im Sportfernsehen, wie es die zur Belgacom s.a. mutierte frühere belgische Telefonie- und Telegrafieverwaltung machen kann, weil sie 2005 für ihr IPTV für drei Jahre die Übertragungsrechte der belgischen Fußballliga erwarb, kann die hiesige Post mangels attraktiver Ballspielligen nicht machen.

Bliebe als eine Möglichkeit, Vorreiter beim Video on demand zu werden. In rund zwei Monaten werde man diesen Dienst anbieten, kündigt Alain Berg an. Das ist die klarste Terminaussage vonseiten eines Digital-TV-Anbieters. Würde sie eingehalten, hätte die Post einen Punkt gegen-über den beiden größten Kabelversorgern im Lande gemacht:  Coditel plant Video on demand, so Pascal Dormal, ihr Managing Director Belux, „demnächst, und wahrscheinlich noch dieses Jahr“. Eltrona und Nokia Siemens haben es mit der digitalen Videothek gar nicht eilig und arbeiten derzeit nicht an ihrer Einführung innerhalb von Imagin, sagen Paul Denzlé, der delegierte Veraltungsrat von Eltrona, und Nico Binsfeld, der Territorialmanager Luxemburg von Nokia Siemens Networks.

Ob es der Post gelingt, kurzfristig einen attraktiven und tragfähigen Video-on-demand-Dienst anzubieten, ist eine spannende Frage. 2002 scheiterte der Amerikaner Jeff Jackson mit seinem SelecTV – unter anderem auch deshalb, weil die Zahl der Abonnenten nicht schnell genug die angepeilten 5 100 erreichte, sondern stattdessen bei 2 100 hängen blieb (d’Land, 9.8.2002). Was Content-Manager Berg nicht anficht: „Die Leute waren damals noch nicht bereit für Video on demand, und SelecTV hatte wenig Luxemburgisches.“ In der Tat hatte SelecTV-Initiator Jackson vor allem den deutschen Markt von Luxemburg aus bedienen wollen. Aber eines galt damals wie heute: Abgesehen von der Frage der Zuschauerzahl, sind für Luxemburg Ausstrahlungsrechte oft schwer zu haben. „Vor allem die Rechteinhaber publikumswirksamer Filme verlangen sehr hohe Mindestgarantiesummen, egal wie viele Leute den Film anschließend sehen“, das weiß auch Alain Berg. Auch, dass für nicht wenige audiovisuelle Produktionen die Aufführungsrechte für das Großherzogtum einfach nicht existieren, weil niemand da war, der sie ausgehandelt hätte.

So dass der kommerzielle Erfolg der Télé vun der Post nicht gerade selbstverständlich erscheint. Mit Kampfpreisen tritt man ebenfalls nicht an: Das Digital-TV der P[&]T gibt es nicht inklusive zum DSL-Anschluss. Bei Eltrona und Coditel ist im Kabel-Abo das jeweilige Standard-Bouquet ohne Pay-TV-Anteil, das sich kaum von dem der Post unterscheidet, inklusive. Überdies bieten beide ihren TV-Kabeldienst auch mit Internet und Telefonie via Breitbandkabel gebündelt an und winken mit zusätzlichen Rabatten. Die Post darf laut einer vorläufigen Entscheidung des Conseil de la concurrence von Ende Januar ihr IPTV solange nicht in einem Bündel gleich welcher Art verkaufen, wie mit ihr konkurrierende Mobilfunkanbieter nicht in der Lage sind, gleichfalls Digital-TV-Anbieter zu werden. Das Interesse dafür gibt es offenbar: „Tele 2 bietet in Holland IPTV an und in Schweden Kabelfernsehen“, sagt Didier Rouma, Chief Operation Officer von Tango/Tele 2, „und vergessen Sie nicht, dass T.TV für uns schon ein Fernsehversuch hierzulande war.“ Allererste Priorität aber hat TV für Tango/Tele 2 nicht: Vielleicht für Mobiltelefone, darüber hinaus aber stelle sich, so Rouma, „vor allem die Frage der Inhalte“. 

Vielleicht existiert der Digital-Kabelfernsehmarkt noch gar nicht so richtig. Imagin hat bislang 15 000 Digitaldecoder verkauft, Coditel an die 12 000. Noch ist es nur eine Minderheit der 145 000 Kabelhaushalte, die umgestiegen ist. Aber wahrscheinlich hat der Kampf um die kritische Masse an Zuschauern schon begonnen: Dass die Télé vun der Post im Verbreitungsgebiet der Coditel startete, fällt zumindest auf. Auch die Gemeinde Mersch lässt das ihr gehörende Netz noch bis kommenden Montag von der Coditel betreiben. Dann endet der 25 Jahre alte Vertrag, den der Gemeinderat wegen „gehäufter Beschwerden“, so Bürgermeister Albert Henkel im Journal (4.4.2008), nicht zu erneuern beschloss, und Eltrona übernimmt.

Post-Sprecher Mores bestreitet zwar, dass man es mit der Télé vun der Post auf unzufriedene Coditel-Kunden abgesehen habe, aber in der „Kabelszene“ gilt genau das als ausgemacht. Was Coditel-Manager Dormal nicht stört: „Wir haben das bessere Angebot, wir sind preiswerter, und wir haben unser Geschäft in Luxemburg im vergangenen Jahr reformiert.“

Möglicherweise aber sieht die Post sich auch in der Rolle desjenigen, der einspringt und übernimmt, wenn in ein paar Jahren der letzte Ana­log-Receiver nichts mehr empfängt und das digitale TV-Zeitalter endgültig angebrochen ist: Einige Gemeinschaftsantennenvereine, wie et­wa Walferdingen oder Ettelbrück, und manche kommunale Anbieter, wie die Gemeinde Esch, haben ihr Netz schon vor Jahren auf den neuesten technischen Stand gehoben. Andere dagegen nicht. Zu geringe Bandbreite und fehlender Rückkanal aber rächen sich, wenn es darum geht, der Kabel-Kundschaft hochwertige Dienste anzubieten. 

Kurzfristig könnten drei Viertel der Netze auf wenigstens 600 Megahertz Bandbreite aufgerüstet werden, schätzte das ILR 2002. Eine solche Bandbreite aber kann gerade in der Übergangszeit, wo es um die Koexistenz von Analog und Digital geht, zu wenig sein und Kabelnutzer unnötig verärgern – das ILR selbst nannte 2003 in von ihm herausgegebenen technischen Empfehlungen 862 Megahertz „das Minimum“, um digitale Dienste anbieten zu können. Aber dann wäre die Analog-Ära schon vorüber.

In diesem zu erwartenden Umschichtungsprozess auf Netzebene steht Coditel nach eigenen Angaben als „consolidateur“ bereit: In Luxemburg, sagt Pascal Dormal, gebe es „nur Platz für einen Anbieter, und das werden wir sein“. Wenn es um Investionen geht, „haben wir den längsten Atem“. Die französische Gesellschaft Numéricable, die hinter Coditel steht und einer der größten Kabelanbieter Westeuropas ist, habe „auch im französischen und im holländischen Markt eine konsolidierende Rolle gespielt“. Allerdings werden auch in den Coditel-Netzen Investitionen fällig, räumt Dormal ein, noch etwa ist nicht für jeden Coditel-Kunden Bidirektionalität garantiert.

So dass es vielleicht zu einem Konsolidierungswettbewerb kommen könnte – zwischen Coditel und der Post. Wobei Letzterer die Qualität ihres Netzes zugute kommen könnte, sofern eine DSL-Verbindung tatsächlich ausreicht für Digital-TV auch im hochauflösenden Format und für den Anschluss mehrerer Fernseher pro DSL-Verbindung. Da die landesweite Erschließung mit DSL der Post als Universaldienst per Gesetz aufgetragen wurde, könnte sie IPTV noch ins kleinste Dorf tragen. Und könnte am Ende doch zu einem sehr starken TV-Anbieter werden.

 

Peter Feist
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