Am 2. Februar 2021 berichtete Radio 100,7, dass die Abgeordnetenkammer im Laufe der kommenden Wochen über die Reform des Euthanasiegesetzes und des ärztlich assistierten Suizids abstimmen werde. Es ist vorgesehen, den ärztlich herbeigeführten Tod als natürlichen Tod zu bescheinigen.
Ein Mensch, der nach Euthanasie oder ärztlich assistiertem Suizid verlangt, ist in Not. Er leidet, ob physisch durch Schmerzen oder Atemnot, ob psychisch durch Depression oder Angst oder ob noch dazu sozial durch Einsamkeit, Autonomieverlust, Arbeitslosigkeit, Armut. Jeder Arzt, jede Krankenschwester, jeder Krankenpfleger wird sich dieses Menschen annehmen, sich Zeit nehmen, ihm zuhören und herauszufinden versuchen, weshalb er ein Weiterleben für unerträglich hält. Und jeder Arzt, jede Krankenschwester und jeder Pfleger wird dann versuchen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um diesem Menschen den ungeheuren Leidensdruck zu nehmen, damit sein Leben für ihn wieder erträglich wird, sei es durch Medikamente, durch regelmäßige Besuche, Beschäftigungstherapie oder eine professionelle psychologische Betreuung.
Bleibt trotz all dieser angebotenen oder unternommenen Maßnahmen der Leidensdruck dieses Menschen unverändert, dann wird der Arzt laut Luxemburger Gesetzgebung strafrechtlich nicht belangt, wenn er dem Verlangen dieses Menschen nachgibt und dessen Leben beendet.
Die Tatsache, dass ein Mensch durch die Hand eines Arztes stirbt, ist meines Erachtens weder ein natürliches noch ein normales Ereignis. Warum? Weil hier ein Mensch sterben wollte, musste, da Behandlung und Betreuung ihm nicht ausreichend geholfen haben und sein Leiden deshalb weiter fortbestanden hat. Das müsste die Gesellschaft wachrütteln! Wird ein solcher, von dritter Hand herbeigeführter Tod von einer Gesellschaft jedoch einfach als etwas Natürliches, Normales, Banales hingenommen, dann wird sich kaum ein Mensch Gedanken darüber machen, ob eventuell aufgrund dieses konkreten Todesfalls etwas verändert oder verbessert werden müsste, damit sich in Zukunft ein solches unerträgliches Leiden nicht mehr wiederholt. Es geht also darum, aus diesem durch Fremdeinwirkung herbeigeführten Tod zu lernen und vorbeugende Maßnahmen zu fördern oder zu ergreifen.
Wenn die Menschheit Probleme hat, dann hat sie diese bisher stets durch Forschung und Wissen zu lösen und aus Fehlern zu lernen versucht. Das wird sich sicher auch in Zukunft nicht ändern. Aus diesem dem Menschen angeborenem Drang nach Klärung und Fortschritt sind in der Medizin neue Fachdisziplinen entstanden, wie Schmerztherapie, Palliativmedizin, Geriatrie, Psychotherapie, Medizinethik, Präventivmedizin, um nur diese Beispiele zu nennen. Die Medizinethik hat bewirkt, dass heutzutage ein allgemeiner Konsens darüber besteht, dass unnötige Untersuchungen oder Behandlungen, die dem Patienten keinen Vorteil bringen, nicht durchgeführt werden dürfen. Maßnahmen wie künstliche Beatmung, Ernährung über Magensonde, parenterale Flüssigkeitszufuhr sind zu unterlassen, wenn sie nur das Leiden verlängern, aber nicht das Leben lebenswerter machen.
In aussichtslosen Situationen ist es die ärztliche Pflicht, dafür zu sorgen, kein Leiden zuzulassen. Es müsste in der Medizin darum gehen, Probleme der Menschen zu hinterfragen, sie zu erkennen, sie zu verstehen und dann versuchen sie abzuschaffen, aber nicht den Menschen abzuschaffen.
Fortschritte kann es nur geben, wenn man ehrlich gegenüber sich selbst ist, wenn man bereit ist, zu erkennen und einzugestehen, dass es Probleme gegeben hat, die man zur Zufriedenheit des kranken Menschen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht anders lösen konnte als durch Euthanasie oder ärztlich assistierten Suizid.
Einen solchen von Menschenhand herbeigeführten Tod dann aber als natürlichen Tod auf dem Totenschein zu bescheinigen und zur allgemeinen Tagesordnung überzugehen, wäre meines Erachtens eine gefährliche Banalisierung eines sehr tragischen Ereignisses. Gleichzeitig würde die täuschende Botschaft vermittelt, dass alles im Ländchen zum Besten sei. Und nicht nur das: Es wäre eine Falschaussage, die zwar den Hinterbliebenen des Getöteten erlauben würde, bei einer vorher abgeschlossenen Lebensversicherung nicht leer auszugehen. Aber ist das ein ausreichender Grund, dass ein Arzt lügen soll? Ein Problem könnten die Versicherungen darstellen, aber die werden das natürlich nie erfahren, denn dafür gibt es ja die ärztliche Schweigepflicht!
Ein bitterer Nachgeschmack bleibt: Wie steht es auf Dauer mit der Glaubwürdigkeit der Ärzte und mit dem Vertrauen in die Ärzteschaft? Wieviel ist ein ärztliches Attest in Zukunft noch wert? Und warum braucht es noch eine Euthanasiekontrollkommission und ein Euthanasiegesetz? Um eines „natürlichen“ Todes sterben zu dürfen? Was ist mit dem Vertrauen in eine Gesellschaft, die Totenscheine ausstellt, die auf einer Falschaussage beruhen? Wieviele Lügen ist eine Gesellschaft bereit zu akzeptieren und so von dem eigentlichen Problem, dem menschlichen Leid, einfach abzulenken? Wie erklären wir diese Haltung unseren Kindern? Ist dies das Vorbild, das wir ihnen sein möchten?
Es ist für uns alle selbstverständlich, Menschen mit Suizidgedanken zu betreuen und zu versuchen, sie mit allen nur möglichen Kräften vom Suizid abzubringen. Aber wie passt dieses Engagement zu dem völlig gegensätzlichen Umgang mit lebensmüden chronisch Kranken, wohl gewusst, dass alle heutzutage diagnostizierten chronischen Krankheiten bisher als unheilbar gelten? Wie kann es sein, dass der auf Wunsch eines chronisch Kranken von dritter Hand herbeigeführte Tod als „natürlich“ banalisiert wird?
Es braucht meiner Meinung nach das solidarische Engagement einer ganzen Gesellschaft, um jeden einzelnen Menschen seine innere unantastbare Würde spüren zu lassen.