Heute loben wir die unberechenbaren Tiere. Zweimal binnen kürzester Zeit musste in Luxemburg ein Autobahnteilstück gesperrt werden, mit Polizei und Blaulicht und jener flankierenden Maßnahme, die im Autofahrerjargon „plötzlicher Stillstand“ heißt. Zweimal war der Grund geradezu grotesk: Hunde hatten sich im Autodickicht verirrt, ihr unverhoffter Auftritt im Raserreservat führte zum sofortigen Verkehrsinfarkt. Ist das nun ärgerlich oder einfach nur erkenntnisfördernd? Es könnte ja sein, dass die gestressten Vehikelinsassen diese unbotmäßigen Hunde nur maßlos verfluchten. Vielleicht waren einige sogar versucht, per Gaspedal das lästige Hindernis kurzerhand aus dem Weg zu räumen.
Betrachten wir es andersrum. Hier zeigt sich einmal mehr die Intelligenz der Tiere. Unsere Vorstellungskraft reicht sicher aus, dass wir hier nicht irgendeine billige Provokation vermuten, eine Art Sabotageakt mit tierischem Hintergrund. Diese spezielle Hirngymnastik – gezielte Rache für scheinbar erlittenes Unrecht – ist nur uns Menschen zueigen. Tiere dagegen tun nichts anderes, als sich in einem Raum zu bewegen, den sie als zutiefst gestört empfinden müssen. Ein Hund hat auf der Autobahn nichts verloren. Ist das so? Wer sagt das? Und wie soll dem Tier klargemacht werden, dass an den Autobahnrändern sein Freiraum endet? Wir können also nur hoffen, dass sich Hunde nicht ständig verlaufen und plötzlich kollektiv die Autobahn bevölkern. Dann wären wir nämlich mit unserem Verkehrslatein am Ende. Wir könnten zwar Zäune errichten, Mauern und Wälle, oder ganze Bataillone von beamteten Tiervertreibern einstellen, deren einzige Aufgabe es wäre, Hunde, Rehe, Hasen, Kühe, Pferde und andere Vierbeiner am Betreten der Autobahn zu hindern. Aber auch diese Repressionsagenten wären am Ende machtlos. Es gibt immer wieder Schlupflöcher, es gibt auch Tiere, die nach und nach lernen, Sperren zu überwinden und eben nicht nur die kostenaufwändigen Passages à gibier zu benutzen – trotz all unserer Abschreckungskünste wären wir unter dem Strich die Gelackmeierten.
Wir wären demnach gut beraten, von den Tieren zu lernen. Ihr Verhalten entspricht immerhin einer klaren Logik. Sie rechnen einfach nicht mit jenen monströsen Schneisen namens Autobahn. Sie bewegen sich natürlich, unbekannte Gefahren können sie nur schwer einschätzen. Die Autobahn ist ein gebauter Naturkollaps, nicht mehr und nicht weniger. Auf der Autobahn ist Schluss mit dem Freiheitsinstinkt und dem ungehemmten Bewegungsdrang. Das wollen wir partout nicht mehr sehen, das haben wir Fortschrittsgläubigen uns abgeschminkt. Wir stecken unsere täglichen Leiden tapfer weg. Wir stehen regelmäßig im Stau, wir lassen den todgefährlichen Geschwindigkeitsrausch über uns ergehen, wir stellen uns keine fundamentalen Fragen mehr. Und dann erscheinen urplötzlich Hunde auf der Autobahn, und unser mühsam über die Runden gerettetes homo sapiens-Selbstverständnis bricht auf der Stelle zusammen. Die blöden Tiere mit ihrer verkehrstechnischen Demenz und ihrer landesplanerischen Debilität führen uns schlagartig vor, wie tief wir in unseren eigenen, selbstverschuldeten Sackgassen stecken. Wenn wir nicht mehr Gas geben können, sind wir nur mehr Zombies. Der Hund im Kegelspiel macht die gesamte Kegelpartie kaputt. Und alle Spieler dürfen nur mehr wie gelähmt verfolgen, wie der Hund die Kegelbahn kurzschließt.
An einem grauen Spätsommermorgen trabten drei Esel gemütlich auf der Chaussee in Angelsberg. Die Frage ist nicht, wie sie auf die Straße gelangten, sondern eher, wie sich das Geschehen auf der Straße durch die Präsenz der Esel veränderte. Machen wir es kurz: Es lief gar nichts mehr. Da konnte der abgebremste Trucker unmittelbar hinter dem Eseltrio noch so ungeduldig mit allen Scheinwerfern flackern, da konnten alle nachfolgenden Fahrer im Stau noch so wütend in ihre Lenkräder beißen – die wunderbaren Esel ließen sich nicht im geringsten beeindrucken und gaben ihr extremistisch langsames Tempo nicht auf. Das war ein schönes Bild: Drei unbekümmerte Tiere legen den hektischen Morgenverkehr lahm. Wir wissen ja, was aus einem punktuellen Stau irgendwo im Land entstehen kann. Wenn er sich nicht bald auflöst, steht die gesamte Wirtschaft quasi vor dem Einsturz. Das können die Esel nicht ahnen. Wäre es anders, würde es sie wahrscheinlich von ihrem kleinen Ausflug über eine vielbefahrene, öffentliche Straße gar nicht abhalten. Sie führen sich eben auf wie Esel, nämlich würdig und souverän. Also irgendwie völlig wirtschaftsskeptisch und verkehrskritisch.
Seit die Esel in Diekirch auf rührende Weise rehabilitiert wurden – 86 Prozent der Bürger sind einer neuesten Umfrage zufolge dafür, dass der Esel auf dem Turm der alten Kirche verbleiben muss –, haben sie sich offenbar vorgenommen, ihren kulturellen Ak-tionsradius beträchtlich zu erweitern. Angelsberg liegt ja noch sozusagen in der unmittelbaren Nachbarschaft von Diekirch, aber demnächst werden die Esel wahrscheinlich ganz entspannt auch auf der Moselweinstraße flanieren. Das wäre schon fast der Beginn der Kulturrevolution.