Heute loben wir die musikalischen Darbietungen im Wahlzirkus. Rund 500 Kandidaten möchten ins Parlament einziehen. Diese edlen Menschen wollen nur unser Bestes. Sie scheuen weder Kosten noch Mühen, um dem Fortschritt nachhaltig auf die Sprünge zu helfen. Ihre Bescheidenheit ist bestechend, sie richten ihren Blick ausschließlich auf die vom Schicksal arg gerupften Landsleute, also auf unsereins. Eigene Vorteile lehnen sie strikt ab, Egoismus ist für sie ein Fremdwort. Über ihre Aufopferungsbereitschaft können wir nur staunen. Voller Tatendrang ziehen sie durch die Lande, dynamisch üben sie Toleranz und Mitmenschlichkeit. Diese 500 Luxemburger sind unsere nationale Elite, die Besten unter den Besten. Daher fordern wir laut und deutlich: Es müssen alle drei Monate Neuwahlen veranstaltet werden. Dies ist der einzige Weg, die Kraft und den eklatanten Leistungswillen unserer 500-köpfigen Elite nicht nur zu wahren, sondern gar noch zu multiplizieren.
Wenn wir alle drei Monate zu den Urnen schreiten, überschlägt sich unsere Elite vor lauter Kreativität. Dann werden sogar frische Maulwurfshaufen im ländlichen Wiesengrund feierlich eingeweiht. Mit sieben Ministern, die sich einen gnadenlosen Scherenkrieg liefern beim Durchtrennen des Trikolorebändchens. Und die Maulwürfe werden in höchsten Tönen gelobt für ihren unschätzbaren Beitrag zur Erdreichauflockerung und ihre kooperativ-selbstlose Einstellung zur Agrikultur. Es wird des Einweihens kein Ende mehr sein. Hölzerne Futterhäuschen für überwinternde Vögel werden ebenso pompös von Politikern abgesegnet wie plötzlich duftende Pferdeäpfel auf der Chaussee: die Tierliebe der Kandidaten wird buchstäblich Purzelbäume schlagen. Vor lauter rasendem Einsatz für das Volk werden die Kandidaten stets am Rande des Herzinfarkts durch die zwölf Kantone düsen, immer nur dem Volk zu Diensten.
Nun aber zurück zum aktuellen Wahlkampf. Das Allererfreulichste haben wir noch gar nicht erwähnt: es wird sogar engagiert und andächtig gesungen in den Parteien. Zumindest in der LSAP und der CSV. Das Liedgut wird von unserer Elite mit Emphase gepflegt, die begnadeten Sänger platzen fast vor musikalischem Eifer. Rockig und poppig, wenn nicht sogar punk-like und gothic-stylish, hat die LSAP den Evergreen Die Internationale neu inszeniert. Da schmettern die Herren Bodry und Angel (obwohl sie so falsch singen wie beschwipste Kater in der städtischen Kanalisation), und die rote Faust reckt sich plötzlich ganz von selbst. Da wippt und wackelt die Frau Mutsch mitten im quirligen Chor, und wir sind zu Tränen gerührt über soviel revolutionäres Gesinnungs-Lifting. „Stitt op, Verdaamten a Verloossen, eis Suergen dreiwen eis op d’Stroossen!“, trällern die sozialistischen Proletarieranwälte in einwandfreiem moselfränkischem Dialekt.
Und ganz verträumt stellen wir uns vor, wie die verdammte und verlassene Frau Mutsch mit roter Fahne über die Pariser Boulevards marschiert und vielleicht sogar klammheimlich einen echten Pariser Pflasterstein ausbuddelt, den sie mit gesellschaftskritischem Elan in die Seine schmeißt, bevor sie rebellisch und zornigen Schritts die Edelboutiquen erstürmt. Ja, hier singt das neue LSAP-Präkariat! An dieser Party, Pardon, Partei kommen wir nicht vorbei! Schön breitbeinig und sangesfreudig steht sie uns im Weg. Vorbei sind endlich die lahmen LSAP-Kongresszeiten, die das Tageblatt einmal wörtlich kommentierte: „Lautstark summten die Delegierten die Internationale.“
Ganz abgesehen von der extrem kämpferischen Sängerschar haben wir es hier mit einem famosen Liedtext zu tun, der es verdient, sogar von besserverdienenden Aufständischen wieder ausgegraben zu werden. Die Internationale erhebt immerhin den Blick über den Tellerrand zum Programm. Das kann man vom Lieblingslied der CSV beim besten Willen nicht behaupten. Am Ende ihrer Meetings und Kongresse stürzt sich diese Partei kollektiv in einen sonderbaren Kirchensound-Singsang, der von nichts anderem handelt als vom patriotischen Tunnelblick. Wenn wir uns recht erinnern, trägt dieser zappendustere Song aus der konservativen Mottenkiste den Titel Heemecht (eine Anspielung auf Herrn Junckers markant despotischen Stil: „Hee mecht, a mir maache mat“).
Dieser CSV-Chorgesang vermittelt zwei zentrale Botschaften. Erstens: Wir benehmen uns so protektionistisch und nationalistisch wie nur möglich, auch wenn wir uns gerne als Europäer verkleiden. Zweitens: Der Herrgott sitzt bei uns im Parteiboot, als ständiger Kronzeuge für CSV-zertifizierte Engstirnigkeit. Seltsam ist nur die Haltung der Sängerschar. Alle stehen immer irgendwie stramm, richtig erstarrt. Aber das ist wohl nur eine Frage der inneren Konstitution. Der Schunkel-Faktor, den die LSAP inzwischen so gut beherrscht, wird sich schon noch einstellen.
Auch bei der CSV wollen wir die ästhetische Messlatte nicht zu streng anlegen. Hauptsache, die Partei singt. Schließlich kennt heute jedes Kind Herrn Junckers legendäres Bekenntnis: „Wenn es ernst wird, muss man singen.“ Das ist nicht gelogen.