Heute loben wir das politische Dorftheater. Sorry, dies wird keine Satire. Jawohl, das Grauen beginnt. Jetzt stehen und hängen die CSV-Fahndungsplakate, das Konterfei des schwarzen „Spitzelkandidaten“ spricht Bände. Eine verkrampfte, verkniffene Unschuldsmiene, dahinter als Grundzug die legendäre Expressegkeet jenes Herrn, der sich offenbar für ewig unverzichtbar hält. Wir sehen einen blasierten Macht-Junkie, der nur mehr seiner maßlosen Eitelkeit verpflichtet scheint. „Juncker in Übergröße“ schreibt das Luxemburger Wort, und dieser putzige Lapsus bringt die propagandistische Aktion auf den Punkt: Da wird einer fast bis zum Zerplatzen aufgebläht, da soll allein mit riesiger Plakatfläche Bedeutung und Wichtigkeit simuliert werden. Leider hat man in der Druckerei vergessen, die zentrale Botschaft mit aufs Juncker-Plakat zu setzen: „Recherché pour tromperies multiples et répétées“.
Bevor jetzt die untertänigen Truppen des Herrn vor Empörung Luftsprünge machen, wollen wir uns doch ein bisschen näher mit einer jener durch und durch infamen tromperies (welch mildes Wort!) beschäftigen. Alle LSAP-Regierungsmitglieder, zuletzt Étienne Schneider im Tageblatt-Gespräch, entrüsten sich unisono über einen gezielten Tiefschlag des Herrn Juncker. Kurz vor dem 10. Juli, dem Tag der Debatte über den Srel-Bericht im Parlament, hatte die LSAP ihrem Koalitionär vorgeschlagen, die gesamte Regierung sollte geschlossen zurücktreten, aus gutem Grund, und den Weg für Neuwahlen freimachen. Dies geschah im stillen Kämmerlein, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die CSV ließ den fairen Vorschlag im Raum stehen.
Aber im Plenum, vor laufenden Fernsehkameras, gab Herr Juncker dann mit aufgesetztem Pathos seine Antwort. Er beschuldigte urplötzlich die LSAP, ihm in den Rücken gefallen zu sein. In anderen Worten: Herr Juncker wurde gar nicht verraten, er ist selber der Verräter. Warum die LSAP nicht geschlossen und mit letzter Energie gegen diesen öffentlichen Missbrauch rebelliert, ist kaum nachzuvollziehen. Bei so viel Heimtücke und Hinterhältigkeit genügt es nicht, im Nachhinein ein bisschen dekorativ zu meckern. Hier macht einer à la Berlusconi den Staat lächerlich, und die Sozialdemokraten schauen tatenlos zu. Warum distanziert sich die LSAP nicht ein- für allemal grundsätzlich von dieser abgrundtief dreisten CSV? Zumal Herr Juncker jetzt schon wieder sein typisches Droh- und Erpressungstheater ins Spiel bringt: Wenn ihr nicht vor mir auf den Knien rutscht, gehe ich! Nach Brüssel, ihr Wichte! Wenn ihr mich nicht wollt, setze ich mich ab ins goldene Exil! Warum um alles in der Welt sagt die LSAP nicht: Na gut, geh doch! Mach endlich Platz für politische Alternativen!
Und was denkt der Kandidat, der uns so penetrant von seinen Monsterplakatwänden herab fixiert, eigentlich von seinen Wählern, also von uns Bürgern? Dazu gibt es ein unmissverständliches, sehr aufschlussreiches Juncker-Statement, das man nicht oft genug zitieren kann: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“ Bei soviel Verächtlichkeit sind Interpretationsdivergenzen förmlich ausgeschlossen. Da spricht einer, der uns buchstäblich für Vollidioten hält. Unsere kritische Vernunft ist für ihn nur „großes Geschrei“, also lästiger Lärm am Rand der Machtapparate. Wir sind begriffsstutzig und ahnungslos. Uns kann man düpieren und manipulieren nach Herzenslust. Wir sind Dreck in den Augen eines solchen Politikers. Für ihn zählt nur unsere Stimme, die er uns mit allerlei billigem Opferlamm-Zeremoniell schnell mal abluchst. Über unseren Kopf und unsere Gefühle kann er sich nur lustig machen. Er will nur unsere Dummheit kapitalisieren. Nicht die Menschen interessieren ihn, sondern die Mehrheitsverhältnisse. Er instrumentalisiert unsere Gutgläubigkeit. Wenn wir wirklich mal aufmucken, zaubert er blitzschnell die Opferrolle aus dem Ärmel. Er raubt seiner eigenen Partei den Verstand, indem er sie als Kavalkade willenloser Statisten aufmarschieren lässt, als Applausautomat, den er nach Gutdünken in großen Hallen aufpflanzen kann, „weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde“. Er spielt mit uns Bürgern. Er speist uns ab mit opportunistischen, meist nebulösen, wenn nicht vollends widersprüchlichen Rhetorikhäppchen. Er steht himmelhoch über der Zeckenkolonie, die anderswo, in demokratischen Gefilden, Bürgergemeinschaft heißt.
Was hat dieser Mann davon, wenn er in Luxemburg wieder Premier wird? Ein überführter Täuscher und ausgewiesener Bürgerverächter im leitenden Staatsamt – für wen ist ein solcher Zustand erstrebenswert? Was hat Herr Juncker gewonnen, wenn er die Wahlen für sich entscheidet? Dann steht er im Raum und wartet ab, was passiert. Und begreift am Ende nicht, warum es kein Zurück mehr gibt. Wir aber hätten eine neue, fatale Nationaldevise: „Mir mam Ligener“.