Luxemburgensia

Krimigerippe

d'Lëtzebuerger Land vom 19.10.2018

Der Rezensent der Woxx ist von Jean Schoos’ neuestem Kriminalroman nur mäßig angetan (Luc Caregari am 28. 9. 2018). Er lobt die spezifisch auf die luxemburgische Geschichte gemünzte Herangehensweise an das Genre, bedauert aber, dass man in dem Gewimmel von Figuren den Überblick verliert. Diesem Verdikt kann man zustimmen, auch wenn es vielleicht zu freundlich ausfällt.

Dabei beginnt auch dieser dritte einer auf vier Bände ausgelegten Reihe einmal mehr äußerst vielversprechend mit der deliziös widerwärtigen Beschreibung der Leiche: „Virun e puer Minutte war deen déidleche Schoss gefall. Hien hat nach gesinn, wéi een Deel vun der Hirschuel ewech gesprengt gouf an eng schläimeg Mass mat klenge Splitter vu Schanken an Hoer lues d’Tapéit erofgelaf ass.“ Das ist ein schöner Schocker, mit dem der Autor die Aufmerksamkeit des Lesers unmittelbar bannt, doch mit der Erzählweise des Romans hat es wenig zu tun. Wer sich auf mehr feinstes Splatter-Genre freut, wird bald enttäuscht. Zwar verweist der Autor auf den ersten Seiten des Buches wiederholt auf die hirnverklebte Wandpartie, doch in Sachen Anschaulichkeit ist der Ort des Geschehens damit erst einmal abgetan. Stattdessen treten allerlei Figuren auf, die Spuren sichern und erste Vermutungen anstellen; von einem möglichen Selbstmord ist die Rede, die Leiche soll weiter untersucht werden. Das Personal und die Vielzahl an Perspektiven, die Schoos in den folgenden Kapiteln aufbietet, fächern einerseits den sozialen Kontext auf – vom eigenen Motorroller träumende Schüler, einsame Hausfrauen und mannstolle Witwen, Veteranen, die ihre Sorgen im Alkohol ertränken. Andererseits gelingt es Schoos auch in diesem Roman, seine Intrige auf überzeugende Weise mit historischen Themen zu verknüpfen: Im Hintergrund von Déidlech Ofgrënn werden einmal mehr die Folgen des Zweiten Weltkriegs für die Luxemburger Gesellschaft verhandelt, diesmal anhand der Verbrechen des Reserve-Polizeibataillons 101, an denen auch Luxemburger gezwungen wurden, sich zu beteiligen. Gleichzeitig behält der Autor die Erzählstränge aus seinen früheren Romanen im Auge, die die Implikation einzelner Gruppen und Behörden im Kalten Krieg zeigen sollen. Das Fernziel besteht darin, wie man hoffen darf, im vierten Band die „Bommeleeër“-Affäre literarisch aufleben zu lassen.

Dieses Fernziel ist der beste Grund, Déidlech Ofgrënn trotz der augenfälligen Schwächen des Romans zu lesen. Tatsächlich fallen diese Schwächen vor allem im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Fällen ins Gewicht, die der Autor seinen Protagonisten René Fischbach lösen lässt. Gemeint sind nicht die vielen, vielen (vielen, vielen, vielen) Tippfehler, die der Text noch enthält, sondern vor allem die nach wie vor dürftige Figurenzeichnung. Der mittlerweile in den Rängen aufgestiegene Fischbach wirkt im ersten Drittel des Romans zunächst sogar wie eine beliebige Figur, so wenig wird er vom Autor am Fortgang der Handlung beteiligt. Schoos lässt seinen Protagonisten lediglich die Untersuchung koordinieren. Erst spät im Roman nimmt Fischbach die Ermittlungen tatsächlich in die Hand und beweist, was Leser an Ermittlern fasziniert: analytischen Verstand und kriminalistischen Spürsinn. Als Privatperson entzieht sich Fischbach in diesem Roman jedoch noch weiter der Empathie des Lesers als in den ersten beiden Krimis. Eheliche Probleme werden angedeutet, aber kaum dargestellt, politische Einstellungen und persönliche Vorlieben bleiben komplett außen vor. Das wirkt hier umso verwunderlicher, als das Konzept dieser Krimis darin besteht, Zeitgeschichte und Fiktion miteinander zu vermischen: Es fehlen sämtliche Details. Ein Blick in die Wikipedia reicht, um eine Vorstellung davon zu gewinnen, über welche Themen Diskussionen von Mai bis Anfang Juni 1973 beispielsweise geführt wurden: etwa über die Ermittlungen zum Watergate-Skandal, den Vietnamkrieg, die Einführung der Republik in Griechenland oder den Tod von Old Shatterhand-Darsteller Lex Barker.

Was für die Hauptfigur gilt, gilt umso mehr für die Vielzahl an Figuren, die diesen Krimi bevölkern. Den wenigsten dichtet Schoos die distinktiven Merkmale an, die ein Leser braucht, um beispielweise die Ermittler voneinander unterscheiden zu können und den Überblick über die Verdächtigen zu behalten. Weite Teile von Déidlech Ofgrënn wirken eher filmisch als literarisch – sie vermitteln dem Leser das Gefühl, dass der Autor zwar einerseits genau weiß, wie er die Handlung orchestrieren möchte, sich aber andererseits kaum dafür interessiert, ob ihm jemand dabei folgen kann. Bleibt zu wünschen, dass es Jean Schoos gelingt, dem Gerippe seines vierten Fischbach-Krimis etwas mehr Fleisch angedeihen zu lassen.

Jean Schoos: Gudde Gendaarm – Béise Gendaarm. Déidlech Ofgrënn. Dem Fischbach säin 3. Fall. 1973. 216 S. Éditions Guy Binsfeld, Luxembourg 2018 ;
ISBN 978-99959-42-41-0 ; 22 Euro.

Elise Schmit
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