Damit die Finanzwelt ethischer wird, fordert Finanzminister Luc Frieden einen Mentalitätswandel. Nicht nur von den Bankiers. Auch von den Bankkunden. Und der Gesellschaft insgesamt

Mentalitätswandel

d'Lëtzebuerger Land vom 14.09.2012

D’Lëtzebuerger Land: Herr Frieden, vergangene Woche waren Sie Gastredner beim NZZ-Kapitalmarktforum in Zürich. Die Schweizer Bankiers suchen wegen der Bankgeheimnis-Problematik – den Luxemburger Bankiers nicht ganz unähnlich – nach einer neuen Daseinsberechtigung und neuen Geschäftsfeldern für ihren Finanzplatz. Wie die Vermögensverwaltung in der Zukunft aussieht, war wohl die Hauptfrage. Als neue, alternative oder komplementäre Tätigkeitsgebiete wurden die Philanthropie und die Mikrofinanz genannt. Das klingt bekannt. In ihrer Rede haben Sie von einem notwendigen Mentalitätswandel im Finanzwesen gesprochen und von Finance of permanence. Was meinen Sie  mit Finance of permanence?
Luc Frieden: Die Krise von 2008 hat ganz deutlich gezeigt, dass wir generell in der Finanzwelt und in der Gesellschaft auf einer Schiene unterwegs waren, wo wir eher das Kurzfristige im Blick hatten als das Langfristige, nach dem Motto „Mehr ist besser“. Ich glaube, dass wir nun das langfristige Element – sowohl in den Produkten, die wir zum Verkauf anbieten, wie auch bei den Kundenwünschen – in den Vordergrund stellen müssen. Das heißt: weniger Risiko, Produkte, die man besser versteht. Und die Botschaft: Nicht alles kann sofort und ohne Risiko zu hohen Renditen führen. Ich glaube, dieser Prozess ist bereits angelaufen. Für mich ist Finance of permanence ein etwas weiter ausgelegter Begriff für das, was wir an anderer Stelle auch nachhaltiges Investment nennen. Das ist nicht nur eine neue Aktivitätssparte, die wir in Luxemburg ausbauen wollen, sondern ein Prinzip, das sich quer durch alle Aktivitäten der Finanzdienstleistungsbranche ziehen soll.
Ist es fünf Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise – so lange ist der Zusammenbruch von Lehman Brothers her– nicht ein wenig spät, um einen Mentalitätswechsel zu fordern?
Ich schließe aus den Diskussionen, die wir in den vergangenen Jahren geführt haben, dass die Finanzwelt bereit ist, diesen Weg mitzugehen. Außerdem habe ich auch schon in früheren Reden auf diese Aspekte hingewiesen, darauf, dass man nicht nur für sich selbst lebt. Dass das, was man macht, jeweils eine Wirkung auf Dritte hat. Ich habe schon öfter gesagt, nicht allein das „Ich“ zählt, sondern das „Wir“. Daraus folgt, was ein Finanzinstitut macht, hat eine Wirkung auf seine Kunden. Und umgekehrt, was der Kunde macht, hat eine Wirkung auf seine Bank. Mit diesen Überlegungen fangen wir nicht erst an, das läuft. Aber wir müssen das in unserer Kommunikation besser in den Vordergrund stellen, um wieder Vertrauen in die Finanzwelt zu schaffen. Das ist durch die sukzessiven Krisen nicht mehr so stark, wie es einmal war.
Sie haben auch gesagt, das Finanzwesen darf nicht nur Gier und Neid produzieren. Wie wollen Sie denn diese ethischen Ansprüche konkret in Luxemburg umsetzen? Was bedeutet das für das Bankwesen hier in Luxemburg? Heißt das, die Bankiers sollen verschiedene Aktivitäten einstellen? Und was heißt das für die Ausrichtung ihrer Politik als Finanzminister?
Es ist vor allem ein Appell an den Bürger, nicht immer mehr zu fordern vom Staat, von den Banken, einzusehen, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Für die Finanzwelt heißt es, bei der Risikobewertung ihrer eigenen Investitionen und bei ihrer Produktpalette eine tief greifendere Analyse vorzunehmen, zu untersuchen, was jeweils die Folgen für sie oder ihre Kunden sind. Für die Aufsicht heißt es, verschiedene Sachen müssen enger eingegrenzt werden – was teils schon passiert ist.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel nach 2008 durch die Mifid-Direktive. Oder die neuen Bonus-Regeln in verschiedenen Bereichen. Es ist eine Frage der Aufsicht, aber auch der Deontologie, die sich die Banken selbst geben. In vielen Banken wurden diese Fragen gestellt und unterschiedliche Antworten gefunden. Deswegen glaube ich, die Finanzwelt wird sich irgendwann selbst eine Art Deontologie-Kodex geben. Ich bin für eine Mischung aus ethischem Verhalten, Selbstregulierung und Regulierung durch den Staat. Darauf liefen auch unsere Anstrengungen der Vergangenheit hinaus und das muss man in Zukunft verstärken.
Kommen wir noch einmal darauf zurück, wie Sie diese Ethik als Finanzminister umsetzen wollen, wenn Sie sagen, die Bürger sollen nicht immer mehr vom Staat und den Banken verlangen.
Das ist eine Mentalität, die wir als Staat auch geschaffen haben. Die Bürger haben sich da mitreißen lassen, auch durch die Subventionspolitik des Staates.
Wie wollen Sie denn die Bürger entwöhnen?
Indem ich in solchen Reden auf die Problematik hinweise. Das ist ein Prozess. Ich bin nicht der Meinung, dass der Staat alles von oben herab diktieren kann. Ich habe großes Vertrauen in die Bürger. Sie wissen, sie sind Teil einer Gesellschaft. Dass das „Wir“ vor dem „Ich“ kommt. Aber die Frage danach, welche Folgen das eigene Handeln auf Dritte hat, muss noch stärker in den Gedankenfluss der Bürger einfließen. Im Umweltbereich haben wir diese Einstellung schon vor Jahrzehnten in die Köpfe der Leute gebracht, ich glaube im Wirtschaftsbereich wird es auch so weit kommen. Das kann der Staat nicht von oben dekretieren, aber er kann Denkanstöße geben.
Sie sprechen von Recycling?
Nicht nur. Mein neuer Kühlschrank gehört der Energieklasse A+++ an. Der war zwar teurer als die anderen, braucht dafür aber weniger Energie und damit leiste ich meinen Beitrag zur Reduzierung des Energieverbrauchs. Das ist ein Beispiel für das verantwortliche Handeln vieler, bei dem die Folgen auf andere bedacht werden. Ein anderes Beispiel sind Autos mit niedrigem Treibstoffverbrauch. Das war vor 20 Jahren kein Thema, nun ist es eines. Da hat ein Mentalitätswandel stattgefunden.
Dahinter steckt jahrelange Aufklärungsarbeit von Nichtregierungsorganisationen. Und staatliche Subventionen.
Subventionen sollen punktuell eingesetzt werden, wenn es darum geht, etwas Neues zu fördern.
Wie wollen Sie das auf den Bereich der persönlichen Finanzen der Bürger übertragen? Mit ihrer Steuerpolitik fordern Sie die Steuerpflichtigen nicht zum Verzicht, sondern zum Konsum auf, dazu, Schulden aufzunehmen, die sie von der Steuer absetzen können.
Erst einmal zurück zu den Bankprodukten: Es waren in der Vergangenheit eine ganze Reihe von Finanzprodukten im Umlauf, die unrealistisch hohe Renditen versprachen, die von den Leuten gekauft wurden. Ich gehe davon aus, dass der Schock der Finanzkrise die Leute gelehrt hat, sich nicht mehr durch das Versprechen auf kurzfristige Renditen blenden zu lassen. Zu den staatlichen Hilfen: Die haben einerseits zum Ziel, ein Steuerungsinstrument zu sein und andererseits, Dinge ins Rollen zu bringen. Letzteres gilt für das Beispiel der Prämien für energiesparende Kühlschränke. Solche Prämien dürfen nur für eine kurze, klar definierte Zeit eingeführt werden. Damit tun wir uns manchmal schwer. Auch damit, solche Sachen wieder abzuschaffen. Andere Maßnahmen haben eine längerfristige Zielsetzung oder sollen eine Politik umsetzen, zum Beispiel den Leuten beim Eigenheimerwerb helfen. Dazu dient beispielsweise die Steuerpolitik, über die Freibeträge. Aber auch die müssen nicht in allen Bereichen für immer gelten. Sie haben eine andere Zielsetzung als Subsidien, die einen Ankurbelungseffekt haben sollen. Deswegen müssen wir uns in den kommenden Jahren bei der Einführung neuer Maßnahmen prinzipiell die Frage nach Zielsetzung und Dauer stellen. Maßnahmen einzuführen und nie wieder abschaffen, das geht in Zukunft, schon allein wegen der Haushaltssituation, nicht mehr so, wie in der Vergangenheit.
Vom Finanzminister zurück zu Ihrer Rolle als „Finanzplatzminister“, wie Sie sich kürzlich einmal selbst genannt haben. In Zürich wurde vergangenen Montag auch viel über die „Strategie für einen steuerlich konformen, wettbewerbsfähigen Finanzplatz Schweiz“, auch „Weißgeldstrategie“ genannt, diskutiert, die der Schweizer Bundesrat diesen Herbst vorlegen soll. Wie sieht es um die Strategie für den Luxemburger Finanzplatz aus?
Unsere Strategie steht seit 2009 fest, muss aber ständig angepasst werden. Sie beruht auf fünf großen Säulen: Vermögensverwaltung, Investmentfonds, Versicherungen, internationale Kreditvergabe und Investitionsstrukturierung. In all diesen Bereichen müssen wir immer wieder prüfen, was wir an neuen Produkten entwickeln können und wie wir das noch internationaler aufstellen können. Der Finanzplatz muss auch von anderen Vorteilen, über die wir in Luxemburg verfügen, profitieren, die uns erlaubt haben, andere Aktivitäten anzusiedeln. Stichwort Börse, BEI, ESM, Clearstream, welche die fünf Säulen strategisch verstärken. Auf lange Sicht müssen wir in einer zunehmend globalisierten Welt noch stärker als bisher zu einer Referenz für seriöse internationale Finanzgeschäfte werden. Das ist eine ständige Anstrengung, die wir zusammen mit der Branche angehen. Das Ergebnis ist nicht so schlecht. Der Finanzplatz hat im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt immer noch ein Gewicht, das ihm viele schon vor Jahren nicht mehr zugetraut hätten.
Eben. Die Finanzbranche ist und bleibt der gewichtigste Luxemburger Wirtschaftssektor. Die Strategie dafür haben Sie in Zusammenarbeit mit dem Haut comité pour la place financière ausgearbeitet.
Ja.
Das heißt ein Gremium, von dem nur die Mitglieder selbst wissen, wer ihm angehört, wann es tagt, von dem man nicht erfährt, was dort beredet wird – das jeder demokratischen Grundlage und Legitimierung entbehrt – stellt die Strategie für den wichtigsten Wirtschaftszweig des Landes auf?
Die Strategie wird von der Regierung festgehalten, insbesondere vom Finanzminister. Nur der kann die politische Verantwortung für eine solche Strategie übernehmen. Aber der muss zuhören und lernen, und deswegen sind es Strukturen wie das Haut comité de la place, wie auch die Gespräche mit den Branchenakteuren, die als Basis für die Strategie dienen. Ich halte nichts davon, in der Theorie Strategien aufzustellen, die in der Praxis nicht funktionieren. Deshalb ist es wichtig mit Verbänden zu reden, die das Knowhow haben, mit einzelnen Finanzinstituten. Das ist eine der Stärken Luxemburgs, die bisher zum Erfolg geführt hat. Deswegen machen wir auch unsere Kommunikation nach außen – Stichwort Luxembourg for finance– mit der Branche gemeinsam. Damit homogene Botschaften nach außen vermittelt werden. Das Haut comité bietet den Rahmen, in dem Branchenakteure frei reden und berichten können, was am Finanzplatz los ist. Es braucht keine Legitimierung, weil es ein reines Konsultativorgan ist. Für den Finanzminister, daher übernehme ich auch den Vorsitz.
Aber seit der Krise wird nicht nur ein Umdenken in Sachen Ethik gefordert. Eine weitere Ebene, auf der sich viel getan hat, ist die Gouvernance. Nicht nur in den Betrieben. Auch die Lobbyarbeit der Branche, ihre Einflussnahme auf den gesetzgeberischen Prozess, auf EU oder nationaler Ebene steht vielerorts im Fokus. Kann man da ein Organ verteidigen, wo Branchenakteure den Inhalt von Gesetzesprojekten mit dem Minister bereden können?
Diese Einwände wären dann berechtigt, wenn dieses Gremium irgendwelche Entscheidungen treffen würde. Das macht es aber nicht. Am Ende entscheiden in der Demokratie die Regierung und das Parlament.“
Apropos Parlament. Redet es bei der Strategie auch mit?
Da, wo sie sich in Gesetzesform ausdrückt. Da wird sie natürlich im Plenum, wie in den Kommissionen, diskutiert. Ein gutes Beispiel dafür wird in den kommenden Monaten der Entwurf zur Umsetzung der Richtlinie für alternative Investmentmanager sein, die ein klares Ergebnis solcher Konsultationen ist. Wie auch die mögliche Einführung privater Vermögensstiftungen, weil sich in den Gesprächen herausgestellt hat, dass dieses Instrument in der Vermögensverwaltung fehlt.
Zum Aufgabenbereich des Finanzministers gehört auch die Finanzaufsicht. Die Schweizer Bankiers stehen im Konflikt mit ihrer Aufsicht, die von den Banken höhere Eigenkapitalquoten fordern will, als es die internationalen Standards tun. Mit dem Argument, sichere Banken seien ein Standortvorteil. Ähnlich räsoniert auch die CSSF. Kann der Minister, der Verantwortung für die Aufsichtsbehörde hat, gleichzeitig beim Ausbau und der Vermarktung der Produktpalette helfen?
Aufgabe der Regierung ist es, das richtige Gleichgewicht zu finden. Mit einer klaren Zielsetzung: Die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern, damit Arbeitsplätze entstehen und Steuern eingenommen werden können. Um dieses Ziel erreichen zu können, müssen wir Maßnahmen treffen, die sich nicht immer unbedingt mit den Wünschen der Branche decken aber dafür sorgen, dass die Aktivitäten national und international ausgebaut werden können. Darin sehe ich keinen Interessenkonflikt, sondern die Motivation Politik zu machen: Damit es den Leuten besser geht. Dafür braucht das Land eine starke Dienstleistungsbranche.
Die Branche hat noch vor wenigen Jahren gesagt, wenn das Bankgeheimnis abgeschafft werde, würden über zehntausend Leute ihren Job verlieren. Dann haben Sie unter extremem internationalen Druck 2009 die OECD-Standards und den Informationsaustausch auf Anfrage angenommen. Die angekündigten Massenentlassungen hat es so nicht gegeben. In ihrer Rede in Zürich haben Sie in Bezug aufs Bankgeheimnis gesagt, man müsse auch mal loslassen können, um die Zukunft vorzubereiten; das Bankgeheimnis der Vergangenheit sei nicht gleich Schutz der Privatsphäre in Zukunft. Trotzdem haben Sie und die Regierung kürzlich ein Weiterkommen bei der Zinsbesteuerung auf EU-Ebene verhindert, machen bei der Transaktionssteuer nicht mit. Im Rahmen der EU-Bankenunion befürchten Sie, Luxemburg könne Vorteile einbüßen, wenn der CSSF Kompetenzen abgenommen würden. Wie lange überwiegen die Vorteile dieser Blockade-Politik, die zum Teil auf den Forderungen der Branche beruht, für das Land insgesamt noch über die Nachteile?
In all diesen Bereichen gibt es eine internationale Dimension, der Rechnung getragen werden muss und bei der sichergestellt wird, dass für alle die gleichen Spielregeln gelten. Solange das nicht der Fall ist, würde es nur dazu führen, dass in Luxemburg Finanzaktivitäten verschwinden und zwar ohne Veränderung auf globaler Ebene. Das gilt es zu vermeiden. Drei Beispiele: Wenn Deutschland intern das Bankgeheimnis abschafft und den automatischen Informationsaustausch einführt, können wir das auch auf EU-Ebene machen. Ansonsten wird diskriminiert, wer ein Konto im Ausland hat. Ich bin nicht für eine Finanztransaktionssteuer, wenn über die Hälfte der EU-Länder sagt, wir wollen das nicht. Wegen unseres Finanzplatzes wären die Folgen für uns verhältnismäßig groß und die anderen würden sich totlachen. Solange nur ein halbes Dutzend Länder da mitmacht, ist das kein Konzept.  Für die Bankenunion will ich ein effizientes System. Luxemburg profitiert von seiner reaktiven Aufsichtsbehörde, die kein bürokratisches Monster ist, bei dem man monatelang auf eine Antwort wartet. Natürlich äußert sich Luxemburg zu diesen Themen mehr als andere Länder, weil wir das einzige Land sind, in dem die Finanzbranche 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts darstellt.
Entsteht durch die Blockade-Haltung denn nicht ein Image-Schaden?
Ich will eine sachliche Diskussion über diese Themen. So lange es die nicht gibt, obwohl sie im Interesse Europas, manchmal sogar von globalem Interesse wäre, macht es keinen Sinn, einfach Luxemburger Positionen aus Image-Ursachen oder aus Bequemlichkeit aufzugeben. Manche kleine Kunden, die nicht deklarierte Konten hier hatten, nutzen den Binnenmarkt nun nicht mehr. Dafür kommen andere Kunden, die Stabilität und Knowhow suchen.
Auf die Investitionen hat das keinen Einfluss?
Wir beobachten, dass der Druck von zu Hause auf die Banken steigt. Sie müssen sich in ihren Heimatländern fragen lassen, weshalb sie Filialen in Luxemburg haben. Ich sehe diese Problematik. Aber wnn wir in all diesen Punkten einfach nachgeben, dann haben wir keinen Finanzplatz mehr. Also müssen wir den Finanzplatz neuorientieren. Immer entlang der internationalen Debatte.

Michèle Sinner
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