Europäische Integration

Kommt die Europasteuer?

d'Lëtzebuerger Land vom 19.08.2010

Die Hoheit über die Steuern ist eines der letzten Gebiete, auf dem die Nationalstaaten das alleinige Sagen haben. Der Vertrag von Lissabon sieht bei Steuern weiter Einstimmigkeit vor. Jedes Mitgliedsland hat sein Vetorecht behalten, das Europäische Parlament muss, sollte das Thema relevant werden, nur angehört werden. Es ist nicht über das Mitentscheidungsverfahren an eventuellen Beschlüssen beteiligt. Die Sachlage ist also klar und vielen überzeugten Europäern schon lange ein Dorn im Auge.

Besonders virulent war die europäische Steuerdiskussion in den Jahren vor und nach der großen Erweiterung von 2004, als in den westeuropäischen Hauptstädten ein Dumping bei den Kapital- und Ertragsteuern vor allem durch die neuen Mitgliedstaaten – aber zum Beispiel auch durch Irland – lauthals beklagt wurde. Bei dieser Diskussion ging es immer um eine Angleichung der Steuersysteme, damit es im Europäischen Binnenmarkt nicht zu großen Wettbewerbsverzerrungen kommt. Weil schnell klar wurde, dass es auf diesem Gebiet keine Einigung geben würde, ist es zuletzt recht still um dieses Thema geworden.

Eine europäische Steuer, die direkt der Europäischen Kommission zugute kommt, war bisher ein noch stärkeres Tabu als die Steuerangleichung. Einmal durchgesetzt, würde sie der europäischen Integration eine neue Tiefe geben, die von den Mitgliedstaaten aber vehement abgelehnt wird. Es geht dabei nicht nur um das Geld, vielmehr ist die Frage tangiert, wer eigentlich Chef im Hause ist. Eine europäische Steuer würde die Kommission gegenüber den Mitgliedstaaten unabhängiger machen und ihr mehr Spielraum in den entwürdigenden Verhandlungen um das nächste 7-Jahresbudget geben.

Alle sieben Jahre handeln die Mitgliedstaaten ihre individuellen Beiträge an die EU aus und legen den Rahmen für das Gesamtbudget fest. 2005, als der Rahmen für 2007-2013 verhandelt wurde, kam es zu der peinlichen Situation, dass osteuropäische Beitrittsländer, die nun wirklich nicht zu den reichsten EU-Staaten gehören, Verzicht angeboten haben, weil sich die Altmitglieder untereinander nicht einigen konnten. Vor allem Großbritannien unter Tony Blair weigerte sich mehr zu zahlen und forderte vehement als Bedingung für seine Zustimmung eine Reform der EU-Agrarpolitik. Gleichzeitig profitiert das Land bis heute und wohl auch in Zukunft von einer drei Milliarden schweren Minderung seiner EU-Beiträge, die Magaret Thatcher 1984 (I want my money back!) ausgehandelt hatte, weil Großbritannien vergleichsweise wenig von der EU-Agrarförderung profitiert. Der damalige österreichische Bundeskanzler Schüssel meinte nach den Verhandlungen, dass es so nicht weitergehen könne, beim nächsten Mal würden sich die Staatschefs womöglich an die Gurgel gehen.

Vor diesem Hintergrund ist das Begehren der Kommission zu sehen, jetzt endlich europäische Steuern durchzusetzen. Am 9. August meldete die Financial Times Deutschland, dass Haushaltskommissar Janusz Lewandowski im September eine EU-Steuer vorschlagen werde, die entweder eine Luftverkehrsabgabe, eine Finanztransaktionssteuer oder eine CO2-Steuer sein könnte. Großes Protestgeschrei aus zahlreichen Mitgliedstaaten war die unmittelbare Folge. Am 17. August berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung von einem internen Papier, dass die EU-Kommission plane, europäische Steuern auf Rohstoffe wie Holz, Metalle, Wasser oder fossile Brennstoffe vorzuschlagen, die beginnend mit einem niedrigen Niveau, nach und nach erhöht werden sollen.

Lewandowski hat beim seinem hartnäckigen Werben die Gründungsväter der EU auf seiner Seite. In den Römischen Verträgen von 1957 steht, dass sich die EWG vollständig aus Eigenmitteln finanzieren solle. Als Hauptgrundlage dafür waren die Zoll-einnahmen vorgesehen. Die machen heute aber nur noch zwölf Prozent der EU-Einnahmen aus. Elf Prozent kommen aus einem festgelegten Anteil an den Mehrwertsteuereinnahmen der Mitgliedstaaten. Die restlichen 77 Prozent für das Jahresbudget von rund 123 Milliarden Euro für 2010 müssen die Staaten beisteuern. Lewandowski glaubt, die Staaten mit der Aussicht auf niedrigere Beiträge ködern zu können, für die Bürger allerdings, das gibt er offen zu, werde sich die Gesamtbelastung wohl erhöhen. Abgesehen vom Widerstand vieler Mitgliedstaaten, die erhoffte Einnahmen aus den genannten Bereichen zum Teil bereits schon in ihre nationale Haushaltsplanungen eingestellt haben, bleibt die Frage, ob der Zeitpunkt für direkte europäische Steuern wirklich gekommen ist.

Tony Blair hat beim Budgetkompromiss von 2005 durchgesetzt, dass die EU-Kommission 2008/2009 einen Bericht als Diskussionsgrundlage für Reformen vorlegt, der besonders auf den Agrarbereich und die grundlegende Struktur des EU-Haushaltes eingeht. Auf dieser Grundlage sollte bis 2010 eine Haushaltsreform diskutiert und am besten auch beschlossen werden. Dieser Bericht steht jedoch bis heute aus. Zuletzt hieß es, er solle im September vorgelegt werden. Grundlage des britischen Begehrens ist die Tatsache, dass die EU immer noch etwa 40 Prozent ihres Haushaltes für die Landwirtschaft ausgibt und ein weiteres Drittel für Struktur- und Kohäsionsfonds. Beide Bereiche sind anfällig für völlig unsinnige Maßnahmen und Korruption. Für eine europäische Politik, die offensiv die Herausforderungen der Zukunft angeht, bleibt kaum Geld übrig.

Für die Kommission ist die Haushaltsreform anscheinend eine zu heiße Kartoffel. Lewandowski hat bereits angedeutet, dass die Diskussion über den Finanzrahmen 2014-2020 wichtiger sei als die Reformdebatte. Damit wird die Kommission endgültig zu einem Redner, der Wasser predigt und Wein trinkt. Gerne fordert sie die Mitgliedstaaten auf, hart und konsequent zu sparen, aber selbst hat sie nicht den Mut, wichtige Reformen voranzutreiben und beschreitet lieber den Weg des geringsten Widerstandes. So richtig eine Reform der Einnahmen der EU, so symbolträchtig für Freunde der europäischen Einigung eine eigene EU-Steuer auch ist: Bevor es Kommission und Rat nicht schaffen, sich auf eine grundlegende Ausgabenreform zu einigen, ist jeder Steuereuro, den die EU direkt einnimmt, ein Euro zu viel.

Christoph Nick
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