Burka-Verbote

Selbstbehauptung

d'Lëtzebuerger Land vom 05.08.2010

Die Parlamente Belgiens, Spaniens und Frankreichs haben es schon beschlossen. In Österreich, Dänemark, der Schweiz, Deutschland, Italien, den Niederlanden und Großbritannien wird darüber diskutiert: Burkaverbot, Ja oder Nein? Hilft nur noch die gesetzgeberische Brechstange, um die Bevölkerungen Europas vor der Invasion gefräßiger Ganzkörperschleier zu schützen? 2010 hat sich diese Gefahr offensichtlich erheblich verschärft. Umfragen in vielen Ländern ergeben klare Mehrheiten für konkrete Maßnahmen.

Die Gesetzgeber begründen ein Burkaverbot einerseits als öffentliche Sicherheitsmaßnahme, andrerseits als eine Maßnahme zum Schutz der Frau. Beide Argumente sind nur vorgeschoben, weil viel zu leichtgewichtig. Bisher wird Europa nicht von vollverschleierten Terroristinnen angegriffen und es sieht auch nicht danach aus, dass sich das in Zukunft ändern wird. Zur Abwehr islamistischen Terrors haben sich die nationalen Sicherheitsdienste und die verstärkte europäische polizeiliche Zusammenarbeit bestens bewährt. Niemand würde behaupten, ohne ein Verbot der Vollverschleierung könne die innere Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden. Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy zum Beispiel könnte sich fragen, ob nicht das ritualisierte Tragen von tief heruntergezogenen Kapuzen durch männliche Jugendliche in französischen Vorstädten mehr zur öffentlichen Unsicherheit beträgt als Burka oder Niqab.

Zur Rettung der Menschenwürde der Frau? Ist Frau nicht frau genug, um sich frei zu entscheiden, was sie anziehen will? Die Frage stellen, heißt sie beantworten. Einem Ehemann nachzuweisen, dass er seine Frau zur Vollverschleierung gezwungen hat, dürfte so gut wie nie gelingen. Würde besitzt ein Mensch sowieso nur dann, wenn diese durchaus seltene Eigenschaft ein Merkmal seiner Haltung oder seines Charakters ist.

Es geht also kein Gespenst um in Europa. Und es haben sich auch nicht alle Mächte des alten Europas zu einer heiligen Hetzjagd verbunden, wie es Karl Marx im Kommunistischen Manifest beschrieb, das – die Jüngeren werden es nicht mehr wissen – mit den obigen Sätzen beginnt. Aber einer Einsicht von Marx kann man sich schwer verschließen: So wie Marx die Dämonisierung des Kommunismus als einen Beweis dafür wertete, dass er als eine „Macht“ schon anerkannt sei, so können und müssen die europaweit ausgesprochenen oder diskutierten Burkaverbote als Zeichen dafür dienen, dass sich der alte Kontinent zum ersten Mal seit der islamischen Einwanderungswelle nach dem Zweiten Weltkrieg gezwungen sieht, außerhalb intellektueller Kreise seinen Standpunkt gegenüber dem Islam zu bestimmen.

Er tut dies, das kann nicht verwundern, zuallererst mit einem Reflex. Er greift ein Symbol an, oder anders ausgedrückt, einen Popanz. Die Vollverschleierung wie leider auch der Schleier ganz allgemein wecken heute verbreitet Assoziationen zu menschenverachtenden Verbrechen im Namen Allahs. Es sind zu viele davon in den letzten 20 Jahren ausgeführt worden, als dass es anders sein könnte. Bei der kulturellen Ablehnung der Burka bis hin zum Verbot in einigen Ländern geht es nicht um Sicherheit, sondern um Selbstbehauptung. Europa sagt dem Islam: Halt. Bis hierher und nicht weiter. Glaubt, was ihr wollt, aber haltet euch gefälligst an unsere Kleiderordnung.

Die „Kleiderordnung“ einer Kultur ist ihr inneres Grundgerüst und ihre Antriebskraft zugleich. In Europa heißt das: Individualität, Frieden, Freiheit, Wohlstand, Demokratie, gleiche Rechte für Mann und Frau, offene Rede und offenes Visier. Eine Demokratie von Vollverschleierten kann es nicht geben und gibt es auch nicht. Wer für die Burka ist, kann kein Demokrat sein. Nicht in Europa.

Europa tut gut daran, sich dessen zu erinnern. Zum Beispiel beim Betrachten einer antiken griechischen Statue. Und es tut gut daran, das Thema nicht den rechtspopulistischen und rechtsradikalen Parteien zu überlassen. Dabei darf nicht übersehen werden, dass jedes gesetzliche Burkaverbot nur ein Symbol mit einem Symbol bekämpft. Die praktischen Auswirkungen werden äußerst gering sein. Um sie geht es auch gar nicht. Es geht allein darum, ein Zeichen zu setzen.

Da bleibt die Frage: Muss dieses Zeichen gleich so ostentativ sein? Mit Gesetz und Strafen und allem drum und dran? Wer so auf die Pauke haut, zeigt doch nur, wie verunsichert er im Inneren ist. Ein Europa, das sich seiner selbst und seiner Werte sicher wäre, hätte die ganze Diskussion gar nicht nötig. Ein solches Europa hätte sich gar nicht erst angegriffen gefühlt. Die Burkaverbote sind deshalb eher ein Zeichen von Schwäche als von Stärke.

Man könnte das Ganze auch leichtfüßiger regeln, mit einem Augenzwinkern beispielsweise. Jeder weiß doch, dass sich die Extreme berühren. Niemand befürwortet Nacktbaden in öffentlichen Familienbädern und es ist zu Recht verboten, nackt auf dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren oder den Bus zu benutzen. Bei aller Freizügigkeit, die wir genießen, ist das in allen europäischen Ländern als Erregung öffentlichen Ärgernisses verpönt und verboten und gilt als obszön. Ähnlich obszön ist die Vollverschleierung. Sie ist eine zu starke Chiffre, als dass sie unser moralisches Empfinden unberührt lassen könnte. Wer meint, sich vollverschleiert auf den Straßen bewegen zu müssen, sollte dies auf den Karneval beschränken. Für das tägliche Leben ist es ungeeignet.

Obszönität ist auch ein Wort, das islamische Gesellschaften gut einsortieren können. Staaten, die küssende Urlauber schon mal einsperren, selbst wenn diese ihre Rechnungen immer bezahlt haben, dürften sich hier schnell einsichtig zeigen, wo sie woanders vielleicht versucht wären, von offener Diskriminierung des Islam zu sprechen, die, notfalls, mit dem Dschihad zu bekämpfen wäre.

Europa beginnt damit, in seinen eigenen Grenzen den fundamentalistischen Islam als politischen und kulturellen Konkurrenten ernstzunehmen. Dafür ist es höchste Zeit. Es ist auch legitim, dazu Ge- und Verbote zu erlassen. Ebenso legitim aber ist es, auch daran zu erinnern, das Ge- und Verbote noch nie geholfen haben, eine Gesellschaft innerlich zu festigen. Die „Kleiderordnung“ einer Kultur lässt sich nicht mit Paragraphen festlegen.

Christoph Nick
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