Schutz Schwacher im Strafrecht

Nuda spes

d'Lëtzebuerger Land vom 31.08.2012

Drei Jahre dauert die Affäre bereits – und noch immer ist kein Ende abzusehen. Es geht um einen Ex-Präsidenten und einen Ex-Minister und die Milliarden einer älteren Dame. Vor allem aber um die Frage, ob die L’Oréal-Hauptanteilseignerin, die Französin Liliane Bettencourt, geschäftsfähig war oder ob sie von Bekannten so manipuliert wurde, dass sie Immobilien, Gemälde und Geld einfach verschenkte.

Um planmäßige Abzocke von Schwachen einen Riegel vorzuschieben, plant die Luxemburger Regierung, den Artikel 493 des Code pénal zu ändern. Es geht darum, ältere, aber auch jüngere, behinderte, psychisch Kranke, kurz: all jene, die hilfsbedürftig und schwach sind, davor zu schützen, von Dritten manipuliert, isoliert und ausgenutzt werden zu können. Damit sind Sekten gemeint, häufiger aber noch: Personen aus dem nahen Umfeld der Betroffenen.

Das Gesetz ist Ausdruck unserer Zeit, obschon es Erbschleicherei seit jeher gibt. Die Gesellschaft altert. Im hohen Alter treten zunehmend Krankheiten wie Demenz und Alzheimer auf. Immer mehr ältere Menschen leben in Altersheimen, werden von Dritten gepflegt, statt im Kreis der Familie alt zu werden. Die Auflösung des Familienverbunds schreitet voran. Das mag der eine oder andere bedauerlich finden, aufzuhalten ist es nicht. Die Pflege wird zunehmend an private und (halb)staatliche Einrichtungen ausgelagert. Wer nutzt nicht das Betreuungsangebot: ob für den Vater oder die Mutter, für das Kind? Das verschafft auch Dritten Zugang, die das besondere Betreuungsverhältnis und damit verbundene emotionale Abhängigkeiten für sich ausnutzen können. Alljährlich wird Vermögen in Millionenhöhe vererbt. Das weckt Begehren – nicht nur bei rechtmäßigen Erben.

Ein Gesetz allein wird die rechtliche Grauzone zwischen freiwilliger Schenkung und einer durch Manipulation herbeigeführten unfreiwilligen Schenkung allerdings nicht endgültig regeln können. Ein Problem ist auch, dass manche Angehörige, die sich um „Geistesschwäche“ und „Geschäftsfähigkeit“ sorgen oder über zerronnene Werte ärgern, vorher kaum in Erscheinung treten, sondern sich erst melden, wenn es darum geht, ein Erbe einzufordern. Eigentum aber ist ein hohes Gut in unserer Gesellschaft. Dazu zählt auch, entscheiden zu können, wie man sein Geld ausgeben oder wem man sein Vermögen vermachen will. Einen Anspruch auf ein klar umrissenes Erbe gibt es, sieht man von Pflichtanteilen ab, nicht. Und eine „Geschäftsunfähigkeit“ nachträglich zu beweisen, ist schwierig – und für die um ihr Erbe Geprellten moralisch nicht unbedingt einfach.

Viel wichtiger als ein Gesetz ist deshalb die Prävention. Das heißt, wachsam zu sein, wenn Dritte sich intensiv um eine Person kümmern oder plötzlich versuchen, einen Angehörigen zu isolieren. Das gilt auch für professionelle Dienstleister. Noch gibt es keinen allgemeinen, verbindlichen Verhaltenskodex für Luxemburgs Alters- und Pflege- und Behindertenheime. Deren Interessenvertretung, die Copas begrüßt das Gesetz – und arbeitet an einem solchen Kodex. Allerdings: Papier ist geduldig.

Wachsamkeit ist aber nicht nur wichtig, um zu verhindern, dass Güter und Geld in falsche Hände geraten. In England wurde jüngst eine Pflegerin zu Gefängnisstrafe verurteilt und ihr ein Berufsverbot auferlegt. Aufmerksame Angehörige haben dank einer versteckten Kamera nachweisen können, dass die bestellte Pflegerin die hilfsbedürftige demente Mutter sadistisch misshandelte. Statt Pflege und Medikamente gab es Schläge und Beschimpfungen. Die Angehörigen waren wegen blauer Flecken am Körper der alten Frau misstrauisch geworden.

Ines Kurschat
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