Mit der Umsetzung zeitgenössischer politischer Bühnenstücke ist es so eine Sache: Natürlich steht es dem Regisseur frei, Texte zu kürzen und zu verfremden. Allerdings sollte dadurch die Intention des Autors nicht so verschleiert werden, dass es umschlägt ins Groteske. Es sei denn, dies ergibt einen eigenen Sinn. Dabei bietet das minimalistische Bühnenbild zu Parterre (die Außenwand eines Hauses) der Inszenierung von Bernhard M. Eusterschulte im Grunde den perfekten, schnörkellosen Rahmen, um den Bühnentext zur Geltung zu bringen. Die drei Figuren – Valérie, Paul und Mahmud –, die in Michel Clees’ Ursprungstext als Prototypen gezeichnet sind, deren Zeichnung jedoch genügend Spielraum bietet, treten auf die Bühne und stellen sich vor.
Robert Atzlinger gibt Paul Eberhard, einen blassen, bornierten Staatsbeamten, den das Bienensterben kalt lässt und der den Klimawandel als „Gedöns“ abtut. „Ich bin kein Spieler – dafür fehlt es mir an Feuer.“ Clees beschreibt Paul in seinem Text als „mittleren Beamten eines mittleren Ministeriums“. Und Valérie beschreibt Paul gegenüber Mahmud: „Der denkt in Algorithmen“, woraufhin Mahmud erwidert: „Der denkt nichts, der wird gedacht.“
In der TNL-Inszenierung schreit Paul entweder nach seiner Mama – die ihm mit 40 noch seine Hemden bügelt –, oder masturbiert verklemmt auf seiner E-Gitarre. Valérie (Nora Koenig) und Mahmud (Fabio Godinho) lehnen lässig an der Fassade des Hauses der Dreier-Wohngemeinschaft im Parterre, Kleiststraße 4, und knacken Pistazien.
Koenig wirkt fahrig und nervös, hektisch stolpert sie anfangs durch den Text. Godinho als Mahmud knabbert lethargisch Nüsse und blickt mit seinen dunklen Augen wild drein. „Ich bin einfach nur Mahmud!“, stellt er sich vor, um dann auf Französisch hinzuzufügen, er sei in Calais gewesen und habe sein Kind dort begraben. Dabei wirkt Godinho in der Rolle des Mahmud annähernd glaubhaft. Es fehlt jedoch nicht allzu viel fürs Klischee: Muss man einen Flüchtling lethargisch Nüsse knackend inszenieren? Mal ist Mahmud „trauriger Hund“, mal „pflegeleicht“, wie sich das betuliche Bürgertum einen syrischen Flüchtling wohl vorstellt.
Robert Atzlinger füllt die Rolle des Spießers richtig gut – wenngleich auch seine Figur von Beginn an durch die Regie zu plakativ angelegt ist. So schickt Paul Mahmud mahnend den Müll entsorgen, schließlich habe der ja schon ganz anderes mitgemacht. „1,8 Millionen Menschen – so wächst das Menschenvieh“, brabbelt Paul vor sich hin, halluziniert von Überbevölkerung, die es einzudämmen gilt, und sehnt sich nach Kniddelen und der Mittelkonsole seines Autos. Ein reaktionärer Staatsbeamter voller Ressentiments gegenüber der Welt und den politischen Eliten: „Die lügen uns doch was vor!“
Streckenweise kippt die Inszenierung vollends ins Vulgäre. Clees zeichnet in seinem Urtext eine leise Annäherung zwischen Valérie und Mahmud. Davon ist nichts geblieben. Valérie tritt auf der Bühne des TNL forsch und spröde auf und keineswegs empfindsam, wie in Clees’ Text.
Auch das ewige Schreien Pauls nach seiner Mama nervt. Mit dem Hammer wird einem das Mamasöhnchen eingebläut. Ebenfalls wenig subtil wirken die vermeintlich ironischen Passagen. „Wie gut, dass der Mahmud nun Kebab verkauft – dann wird das Schaf nicht nutzlos ausgeblutet“, meint Paul. Geradezu entblößend sind manche Szenen, wie die, in der Paul sich auszieht.
In Clees’ Text ist die Dreier-WG nicht nur Zweckgemeinschaft, sondern auch Zufluchtsort: „Für die Ausgestoßenen, die den Eindruck haben, ganz am Boden angekommen zu sein, ist die Entdeckung eines weiteren, noch tieferen Bodens als dem, auf den sie selbst gedrückt worden sind, eine wunderbare Erfahrung, die ihnen ihre menschliche Würde und den Rest der Selbstachtung zurückgibt, die ihnen geblieben sein mag“, sagt Valérie, um hinzuzufügen: „Der Urfaschismus ist eine Fuge der Zeit. Zu dem Klangfarben dazugegeben werden.“
Leider wirken nicht nur die Figuren in Eusterschultes Inszenierung karikaturesk. Die TNL-Inszenierung vermittelt auch nicht die politische Dimension: die Angst vor zu viel Zuwanderung, das Zusammenleben in einer beengten WG wegen der überteuerten Mieten, den Wunsch nach der alten Ordnung bei Paul – Vorbote des aufkommenden Faschismus.
Spätestens, wenn Valérie Mahmud mit den Worten überfällt: „Ich werde mich in den Koran hineinknien“, jener wiederum sein Sein einfordert und in Schulschrift die Worte: „Ich bleibe“ auf die Hausfassade schreibt und dagegen schlägt, um hinzuzufügen: „Ich will angenommen werden, ok?!“, ist bei der Zuschauerin die Fremdscham eingetreten. Was Paul im Keller macht? Sich in billigen Sex-Chats verlieren und masturbieren.
So scheitern die drei Figuren an ihren Unzulänglichkeiten, an der Kommunikation und am (Zusammen-)Leben. Michel Clees’ Bühnentext ist lesenswert, Bernhard M. Eusterschultes Inszenierung verliert sich in Plattitüden.