Mit dem Instandhalten eines Helikopterlandeplatzes vergleicht die Schriftstellerin Eva Menasse den Schreibprozess: Wiese mähen, Gefahren vorwegnehmen, Gegenstände aufräumen. Alles solle bereit stehen für den Moment, wenn der Helikopter durch die Wolken bricht: Wenn sie in den Flow gerät, die Wörter sie in eine neue, unbekannte Richtung drängen. Schreiben ist ein störanfälliges System, es ist schwer planbar, da es aus einer Mischung von emotionalen Schwingungen und analytischen Rastern besteht, schreibt Menasse. Um dennoch Verlässlichkeit in ihre Arbeit zu bringen, hält sie an Beamtenakribie fest; sie erscheint jeden Tag zur gleichen Zeit an ihrem Helikopterlandeplatz, sie ist sich selbst ein strenger Chef.
Hört Hilary Mantel von Schriftstellern, die vorgehen, wie jemand, der nach Bauplan eine Mauer baut und pünktlich in den Feierabend tanzt, ist ihr das fremd. Sie wird beim Romanschreiben zur Sklavin ihrer Geschichte und ihrer Arbeitsattacken, aus denen sie nur ihre Körperverspannungen herausholen, die vom Sitzen am Bildschirm auftreten. Auch wenn sie nicht vor dem Bildschirm sitzt, verharrt sie im Schriftstellerinnen-Modus, sie hält ständig Ausschau nach Material, Tag und Nacht; ständige Wachsamkeit sei ihr Rohstoff.
Diese Annäherungen ans literarische Handwerk lassen sich in Schreibtisch mit Aussicht auflesen. 23 Autorinnen kommen zu Wort, die sich jeweils aus einer neuen Perspektive an das herantasten, was zwischen den vier Kanten ihres Computerbildschirms passiert. Herausgebracht hat das Buch die Zeit-Redakteurin Ilka Piepgras. Als Journalistin wusste sie bereits, welche möglichen Beweggründe Schrifterstellerinnen antreiben: sie wollen ihr Leben über künstlerisches Schaffen verdichten, oder, wie Joan Didion, schreiben, um herauszufinden, was sie denken, wie sie in ihrer Einleitung darlegt. In dem Band, das sie Ende 2020 herausgab, hat sie dieses Kaleidoskop an Motivationen von Schriftstellerinnen auf 290 Seiten zusammengeschnürt. Es ermöglicht dem Leser, durch die Hinterzimmer von Romanen und Essays zu spazieren. Das Buch ist dabei gleichermaßen unterhaltsam wie geistreich.
In ihrem Beitrag schätzt die britisch-türkische Elif Shafak das Schreiben als Tür, die in eine andere Welt führt – eine Tür raus aus dem langweiligen Alltag. Für Siri Hustvedt hingegen bietet es die Möglichkeit, jemand anderes zu werden, eine andere Frau oder einen Mann, schlicht, den eigenen Körper zu verlassen. Künstlerisches Schaffen ist für sie „bewusstes Träumen“, Wörter sind schöpferisch, sie erzeugen „flüchtige Bilder, Gefühle und Erinnerungen“. Die Essay- und Romanschreiberin Jennifer Egan erfüllt sich mit ihrem Handwerk ein ähnlich existenzielles Bedürfnis: Schreibt sie nicht, fehlt ihr etwas „Lebenswichtiges“. Sowohl bei ihrer journalistischen als auch literarischen Arbeit fühlt sie sich geradezu „entrückt“; ist in einem paradoxen Zustand: sowohl verschwunden als auch anwesend. Sibylle Berg teilt hingegen mit, beim Schreiben gehe es ihr, wie vermutlich allen in ihrem Beruf: Man schwankt zwischen an sich glauben und an sich verzweifeln. Einzig sei sie dabei allein, weil sie zu Hause arbeitet; das erspare ihr, einem Kollegen zu begegnen, der aus irgendeinem Grund übel gelaunt ist.
Nicht alle Autorinnen sitzen jedoch in den eigenen vier Wänden am Bildschirm, wie die Wahlzüricherin Berg. Die Berliner Feuilletonistin und Literatin Antonia Baum bekundet: „Ich kann fast überall schreiben“, im Café, im Wartesaal, im Bett, zwischen zwei Terminen in der Bahn. Aus einer freien Laune heraus passiert das allerdings nicht, sondern weil es nicht anders geht: Das Kleinkind saugt Zeit und Konzentration ab; doch das Geld, um die Familie durchzubringen muss rein. Das literarische Schaffen kollidiert mit der Mutterschaft, konzediert Elena Ferrante – hochkonzentriert Schreiben und die Bedürfnisse eines auf seine Mutter angewiesene Wesen im Blick zu behalten, sei schwer vereinbar.
In diese Kette von Piepgras ausgewählten, literarischen Meisterinnen ließe sich ebenso die luxemburgische Elise Schmit einreihen. In ihrer Rede zur Literatur, die vom CNL herausgebracht wurde, steht der lakonisch-brillante Satz: „Ich schreibe, weil ich schreibe.“ Nachdem sie die Unmöglichkeit einer Auskunft über das Warum ihres Tuns offengelegt hat, gewährt sie einen Einblick auf ihren Helikopterlandeplatz: Er besteht aus Listen mit groben Strichen, ein Orientierung bietendes Raster, das schichtweise durch das Erzählen an Opulenz gewinnt, um schließlich hinter der ausformulierten Geschichte zu verschwinden. Mitte Dezember erschien ein von dem Fotografen Philippe Matsas aufgenommen Porträt von Schmit im Land. Sie sitzt an einem überaufgeräumten Schreibtisch; in den Regalen hinter ihr stehen Bücher aufgestellt wie Soldaten, die aussehen als seien sie jederzeit bereit in den Einsatz zu kommen. Dass Ordnung Schmit festen Boden unter den Füssen bietet, in dem uferlosen Meer an Wissen, Wörtern, Eindrücken, Stimmungen und Sätzen, daraus macht sie kein Geheimnis: „Ohne Ordnung gibt es keine Behaustheit“.
Liegt das gedruckte Buch zum ersten Mal vor einem, dann ist das Buch erstarrt, so Nicole Krauss in Schreibtisch mit Aussicht. Es ist nicht mehr formbar, keine Nuance kann mehr verschoben oder eingeflochten werden; der erstarrte Roman gehört nicht mehr der Autorin, die mit ihren „Sorgen und Instinkten“ daran herumwerkelte, er beginnt sich ihr zu verschließen und wird „zu einem Gegenstand in der Welt“. Ein Gegenstand, in den Lesende abtauchen können und sich dabei gelegentlich detektivisch verhalten: Was ist fiktiv, was ist autobiographisch – fragen sie sich. Diesen Verdacht gegenüber Lesern hegt jedenfalls Zadie Smith.
Die Schriftsteller*innen treten häufig erst in Erscheinung, wenn sie ihr Atelier, ihren Helikopterlandeplatz, verlassen und auf Lese-Tour gehen oder Interviews geben. Anne Tyler, Pulitzerpreisgewinnerin, fühlt sich in diesen Situationen, wie von der „Außenwelt überfallen“; Schriftsteller sein, sei einer der introvertiertesten Berufe überhaupt – und stehe somit quer zu dem Wunsch, öffentlich aufzutreten. Die öffentliche Aufmerksamkeit steht in Kontrast zu der intimen Freude des Schreibens. Ohnehin attestiert Tyler dem Schriftsteller ein Außenseiter-Status: er vermeidet Menschenmengen und schaut aus der Distanz verblüfft und neugierig in die Welt. Sie selbst stammt aus einer experimentellen Quäker-Kommune und fand ihre Mitschüler zunächst „merkwürdig“. Ähnlich sieht das Zadie Smith. Schreibende seien Kinder gewesen, die sich in ihrem „Ich“ nicht zu Hause gefühlt haben und im späteren Verlauf ihres Lebens Vorteile daraus ziehen würden: ein Bewusstsein für die Kontingenz des Lebens entwickeln, sowie die Fähigkeit sich in fremde Biografien hineinzufühlen.
Elif Shafak spricht die Mehrsprachigkeit aus Sicht der Literatin an: Auf Türkisch könne man Melancholie hervorragend ausdrücken, das Englische jedoch bleibe bezüglich Sarkasmus und Ironie unüberbietbar. Luxemburger kennen das Phänomen – ein jeweils anderes Verhältnis pflegt man zu Luxemburgisch, Deutsch, Französisch, Englisch. Und warum schreibt Elise Schmit auf Deutsch? Auch auf die Frage antwortet Schmit nüchtern. Das sei keine bewusste Entscheidung gewesen, es sei eben „die Sprache, die mir die meisten Möglichkeiten bietet, mich dem anzunähern, was ich sagen will“, schreibt sie April 2019 in Forum.