Der Schulminister will das Internatsangebot modernisieren. Die Nachfrage nach Plätzen steigt, doch Qualität und Nutzen sind unklar

Neues aus dem Internat

d'Lëtzebuerger Land vom 22.12.2017

Ein knapper Satz im Tätigkeitsbericht von 2015 kündigte es an: Erziehungsminister Claude Meisch (DP) will das Internatsangebot ausbauen und „eine gemeinsame Politik für alle Internate“ verwirklichen. Die Plattform Internate, die über die Pläne berät, wurde 2012 unter der CSV/LSAP-Regierung zusammengerufen. Damals unterstanden die sozio-familialen Internate dem Familienministerium, während die Schulinternate dem Bildungsressort zugeteilt waren.

Das änderte sich mit der Zusammenlegung der Ressorts Erziehung, Jugend und Frühe Kindheit zu einem Super-Ministerium unter liberaler Führung. Dessen Beamte starteten 2014 eine Bestandsaufnahme mit Informationen über pädagogische Inhalte und Schülerhintergrund. „Deutlich wurde, dass sich Aufgaben und Profile im Laufe der Zeit gewandelt haben“, sagt Fernando Ribeiro, Leiter der Abteilung Kinder- und Jugendhilfe im Ministerium.

Internate sind hierzulande traditionell ans schulische Angebot gekoppelt: Im Internat der Hotelschule in Diekirch etwa wohnen Schüler aus ganz Luxemburg, um sich im Lyzeum zum Koch, Hotelier oder Konditor ausbilden zu lassen. Am Wochenende und in den Ferien fahren sie heim zur Familie. Das Internat in Ettelbrück wurde vorrangig von Schülern der Landwirtschaftsschule besucht. Im Norden und Osten waren die Standorte durch Berufswunsch und Mobilität bestimmt. Daneben gab es katholische Internate, die Eltern wählten, die ihr Kind katholisch erziehen wollten, oder die Kinder aufnahmen, die aus welchen Gründen auch immer nicht in der Familie bleiben konnten. Auf dem Programm standen christliche Wertevermittlung und die Einführung in klassische Geschlechterrollen.

„Heute ist das Angebot größer, moderner, vielfältiger“, sagt Simone Hansel, die sich im Erziehungsministerium um die Internate kümmert. Neben solchen, die an spezifische Schulangebote gebunden sind, wie das Sportlyzeum oder das Internat des Lycée Ermesinde in Mersch, wurden zudem sozio- familiale Internate kontinuierlich ausgebaut. Das Gesetz von 2009 schuf für sie erstmals eine gesetzliche Basis. Um den erzieherischen Auftrag zu erfüllen, sieht es einen bestimmten Betreuungsschlüssel sowie Auflagen zur Sicherheit und zur Aufsicht vor. Den Schulinternaten fehlt ein solches Gesetz.

Künftig sollen beide Internatstypen, die konventionierten sozio-familialen und die schulischen, einen gemeinsamen Rahmen gesteckt bekommen. Analysiert man Online-Profile staatlicher und konventionierter Einrichtungen, fällt es schwer zu erkennen, worin sich deren Angebote unterscheiden, außer vielleicht in einer mehr oder weniger intensiven Hausaufgabenhilfe, einer enger oder weiter gefassten erzieherischen Betreuung, mehr oder weniger strengen Regeln des Zusammenlebens.

Für die geplante Reorganisation hat das Erziehungsministerium Internate besichtigt und zusätzlich Experten des Instituts für Kinder-und Jugendhilfe in Mainz mit einer Analyse beauftragt. Die Daten sind erhoben, aber noch nicht ausgewertet. Genaueres erfährt die Öffentlichkeit hoffentlich, wenn die Studie veröffentlicht wird. Auf Land-Nachfrage sagt Simone Hansel, Mädchen und Jungen seien in den Internaten zahlenmäßig etwa gleich stark vertreten (abgesehen vom Internat der katholischen Privatschule Fieldgen, das ein reines Mädcheninternat ist und bleiben soll), wobei Schüler aus technischen Lyzeen gegenüber klassischen überwiegen. Im Süden und im Zentrum bestehen Wartelisten – und bei Kindern unter zwölf Jahren: Bis auf Uflingen gibt es kein Internat für Grundschüler.

„Immer mehr Eltern wünschen sich ein solches Angebot“, so Hansel. Auch ausreichend Wochenendangebote fehlten. Das Ministerium plant in Petingen auf dem ehemaligen Gelände des Lycée technique Mathias Adam ein Internat für Kinder des vierten Zyklus’. Leitgedanke ist die Prävention: Werden Kinder mit Lernschwierigkeiten oder Verhaltensauffälligkeiten frühzeitig erkannt, vor der Pubertät und vor der Orientierung in die Sekundarstufe, ist ein erfolgreiches Gegensteuern eher möglich. Das ganztätige Internat als Notanker gegen den schulischen Abstieg.

Um das festzustellen, braucht es keine Studie. Interessanter wäre es daher, Motive und Hintergründe zu erfahren, warum welche Schüler in welchem Internat untergebracht sind, mit welchen pädagogischen Methoden und Ressourcen und vor allem wie erfolgreich sie gefördert werden. Denn obwohl der Staat die sozio-familialen Internate mit über zehn Millionen Euro jährlich bezuschusst und Eltern ebenfalls ihren (sozial gestaffelten) finanziellen Beitrag leisten, ist eine objektive Bewertung von Qualität und Erfolg der Internate derzeit nicht möglich.

Sogar große Träger wie Elisabeth, deren Verein Anne das Privatinternat Sainte Elisabeth in Ulfingen führt, stellen keinen Tätigkeitsbericht online und geben ihn nur auf Anfrage heraus. Darin finden sich Erläuterungen zum pädagogischen Programm, doch beschränken sie sich auf „abwechslungsreiche Freizeitgestaltung“, Projekte zum „achtsamen Konsumverhalten“ oder zum gemeinsamen Kochen. Hat ein Internat ein Leitbild ausformuliert, liegt der Fokus meist auf dem Erlangen von Sozialkompetenzen, dem Leben in der Gemeinschaft, den schulischen Leistungen. Regelkataloge und Verpflichtungserklärungen für Jugendliche und Eltern sind ausgiebig aufgelistet, weniger erfährt man über ihre Rechte. Auch über die Qualität der Betreuung und Förderung, die Inklusion von Kindern mit spezifischen Bedürfnissen, die Beteiligung der Eltern übers Finanzielle hinaus, die Fortbildungsschwerpunkte des Personals schweigen sich die Profile aus.

Transparenter ist der Träger Jacques Brocquart Asbl. Zum größten konfessionellen Anbieter zählen Einrichtungen wie das Internat Sainte Marie in Mertzig, das Saint Willibrord in Echternach, das Internat in Wiltz oder das Internat Jos Schmit. Während die einzelnen Online-Auftritte ebenfalls eher bedingt Aufschluss über pädagogische Methoden und psychosoziale Hilfen geben, wird der Tätigkeitsbericht konkreter: Alle Institute haben ein pädagogisches Konzept, es gibt eine Steuerungsplattform, die einen übergeordneten Plan zur Qualitätsentwicklung aufgestellt hat, sowie eine Charte de la bientraitance.

Missbrauchsskandale hatten in mehreren Ländern Europas zuletzt zu einem massiven Vertrauensverlust geführt, so dass Internate wegen ausbleibender Anmeldungen schließen und selbst renommierte Kaderschmieden sich von Grund auf hinterfragen und neu aufstellen mussten: Neben der Aufarbeitung der Vergangenheit wurden neue Entscheidungs- und Kontrollmechanismen eingeführt, um Grenzüberschreitungen und Machtmissbrauch durch das Personal (oder durch Mitschüler) rechtzeitig zu erkennen und zu stoppen. Regelmäßige interne und externe Evaluationen durch anerkannte Fachinstitute gehören zum Standard – im Ausland.

An Luxemburg scheint die Entwicklung vorbeigegangen zu sein, zumindest ist in den Online-Darstellungen der Internate nichts dazu zu finden. Doch auch hier steigen durch Bildungswettlauf und Diplomdruck Anforderungen und Erwartungen. Eltern, die ihr Kind im Internat anmelden, tun dies in der Erwartung, fachgerechte Hilfe zu bekommen. Oft fühlen sie sich mit Erziehung und Schule überfordert. Dennoch zögern sie, sich an sozio-familiale Internate zu wenden, aus Sorge vor Stigmatisierung. „Ich möchte mein Kind nicht in einer Jugendhilfe-Einrichtung wissen“, sagt eine Alleinerziehende. Sie hatte sich für ein Schulinternat für ihren Sohn entschieden, der von zwei Schulen wegen schlechtem Benehmen geflogen war – und musste enttäuscht feststellen, dass er abgesehen von etwas Hausaufgabenhilfe kaum erzieherisch begleitet wurde: „Bald gingen die Probleme los und ich blieb wieder allein damit.“ Als der Junge erneut gegen die Hausordnung verstößt, soll er binnen zwei Tagen die Koffer packen – ohne dass für ihn ein Plan B existiert. Oft bleibt in solchen Fällen als letzter Ausweg vor dem Schulabbruch die Unterbringung im Ausland.

Durch eine schärfere Aufgabenteilung zwischen schulischen auf der einen und erzieherisch-therapeutischen Angeboten auf der anderen Seite, durch eine verbesserte Diagnostik und durch ein stärker differenziertes Hilfesystem, das unterschiedliche Lern- und Verhaltensstörungen präzise addressiert, sollen Drehtüreffekte gemildert und den unterschiedlichen Härtefällen besser Rechnung getragen werden. So ist zumindest die Hoffnung des Ministeriums. Dann werden vielleicht auch weniger Kinder aus ihrem Umfeld gerissen und ins Ausland geschickt. Ähnlich wie in der Kinderbetreuung und in der Kinder- und Jugendhilfe sollen ein Rahmenplan und ein neues Gesetz den Internaten allgemeine Standards vorgeben: zur Qualitätsentwicklung, zur Beteiligung der Eltern, zu den Rechten der Kinder und Jugendlichen, zur Weiterbildung, zur Evalua-
tion. Ob das die Qualität verbessern und das Angebot weiter professionalisieren wird, können potenzielle Nutzer aber erst beurteilen, wenn die Einrichtungen endlich mehr Transparenz walten lassen.

Dann ist da noch die Kostenfrage: Anders als Heime, die zum Angebot der Jugendhilfe zählen und über Fallkostenpauschalen abgerechnet werden, funktionieren Internate über Konventionen mit dem Staat, also über die Risikofinanzierung, respektive das jeweilige Schulbudget. Heute schon kämpfen Internate damit, den vorgegebenen Haushaltsrahmen nicht zu überschreiten. Sollen sie verstärkt in Qualität und Professionalisierung investieren, wird das kaum ohne zusätzliche Ausgaben gehen. Mehr Geld der Steuerzahler für Förderangebote bedeutet wiederum: mehr Rechenschaft über deren Qualität.

Ines Kurschat
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