Mit den Reformen von Minister Claude Meisch (DP) spitzt sich die Lehrerknappheit in den Schulen zu

In der Mangel

d'Lëtzebuerger Land vom 22.09.2017

Die Pressestelle des Ministeriums ist formell. Die Schulorganisation sei „überall gesichert. Es fallen keine Unterrichtsstunden aus und auch keine Appui-Stunden weg. Auch nicht in der Region 15.“ Dort, im Norden, hatte RTL vergangene Woche berichtet, herrsche so großer Lehrermangel, dass überlegt werde, die Förderstunden zu kürzen, um den Regelunterricht aufrechtzuerhalten. Auch die Gewerkschaften SEW und SNE hatten Alarm geschlagen. 349 Fehlstunden, sagte Patrick Remakel vom SNE, habe man „eigenen Nachforschungen“ zufolge bei den Gemeinden ermittelt, lege man eine 23-Arbeitswoche zugrunde, entspreche das 14 bis 15 Posten allein im Norden und 28 insgesamt. Die größte Not sei durch das Zusammenlegen von Klassen und durch Überstunden behoben worden.

Nun also das Dementi des Unterrichtsministeriums. Es seien keine Klassen zusammengelegt worden, schreibt es auf eine Nachfrage des Land. Auch auf Überstunden sei „nur ganz minimal“ zurückgegriffen worden. Wie viele Lehrer sich konkret zu Überstunden bereit erklärt haben, um drohenden Unterrichtsausfall zu verhindern, wie viele pensionierte Lehrer einspringen, präzisierte das Ministerium nicht weiter.

Abgesehen davon, dass nicht beide Seiten Recht haben können, heißt das Dementi dennoch nicht, dass alles in bester Ordnung ist. Im Gegenteil: Die Personalnot dürfte sich verschlimmern – und daran ist das Ministerium nicht unschuldig. Nicht nur, weil ihm die Personalplanung obliegt. So waren die Lösungen für die Engpässe bei dieser Rentrée teilweise in letzter Minute gefunden worden – nachdem Lehrer und Gewerkschaften Notrufe via den Medien abgegeben hatten. In sozialen Netzwerken lästern erklärte „Gambia“-Gegner, Schulminister Meisch habe „komplett versagt“, er sei „inkompetent“, die DP-LSAP-Grüne-Regierung gehöre abgewählt.

Dass das Ministerium „seine Hausaufgaben nicht gemacht“ habe, sagt aber auch der SNE – und von der Hand zu weisen ist das nicht: Indirekt gab Regierungsberater Pierre Reding dies gegenüber RTL auch zu, als er Probleme im Norden bestätigte, allerdings bestünden die lediglich in den Nebenfächern und beim Appui. Jetzt sollen Erzieher aus Maisons relais in der Region abgezogen werden, um den Förderbedarf in den Grundschulen im Norden mit abzudecken. Wie viele und was das wiederum für die Kinderbetreuung bedeutet, erklärte das Ministerium nicht. Auch nicht, als Abgeordnete der CSV-Opposition in der Sitzung des parlamentarischen Schulausschusses am Mittwochmorgen nachhakten.

„Ausgerechnet in einer Region, die sowieso laut Bildungsbericht schlecht abschneidet, fehlt es an Lehrpersonal“, empörte sich Martine Hansen, bildungspolitische Sprecherin der CSV und ehemalige Direktorin der Ackerbauschule, nach dem Treffen. Der Bildungsbericht 2015 der Uni Luxemburg hatte die Versetzungsraten regional aufgeschlüsselt und festgestellt, dass Kinder besonders im Norden seltener den Sprung ins klassische Lyzeum schaffen als im Zentrum. Die CSV Norden griff damals die schlechteren Bildungschancen auf, weshalb aktuelle Meldungen um einen Lehrermangel, vor den Wahlen, in dieser Region politisch brisant sind.

Zumal hinter der Not nicht nur momentane Engpässe stehen. Die Schülerzahlen kannten in vergangenen Jahren immer nur einen Trend: nach oben. Zum Schuljahr 2015/2016 besuchten insgesamt rund 89 000 Kinder und Jugendliche eine öffentliche Schule, diese Rentrée sind es rund 90 000. Der größere Zuwachs fand im Fondamental mit rund 600 zusätzlichen Schülern statt. Darunter befinden sich Flüchtlingskinder aus Syrien, Irak und anderswo.

Weiterer Bedarf bestehe, schreibt das Ministerium in seiner Antwort ans Land, weil neuerdings Schüler, die zuvor in Privatschulen eingeschrieben waren, in die öffentlichen Schulen zurückkommen. Laut offiziellen Statistiken ist die Zahl der Grundschüler in den Privatschulen in den vergangenen fünf Jahren um fast 1 000 gestiegen. Gleichzeitig wächst aber der Anteil derjenigen Kinder, die in öffentliche Schulen gehen, die nicht nach dem regulären Luxemburger Lehrplan unterrichten. Neue Schulangebote mit erweiterten Sprachoptionen sorgen dafür, dass ausländische Eltern zunehmend ihre Kinder in gebührenfreien öffentlichen Einrichtungen unterbringen.

Der anhaltende Schülerzuwachs ist aber nur ein Faktor unter anderen, die die angespannte Personallage erklären. Jetzt zeichnen sich jene Folgen ab, vor denen Experten schon seit längerem gewarnt haben: Wegen der vielen Strukturreformen, die Minister Claude Meisch (DP) auf die Schiene gesetzt hat, stellt sich die Ressourcenfrage im Bildungswesen mit verschärfter Dringlichkeit. Änderungen wie die in Regionaldirektionen umgewandelten Inspektorate mitsamt Stellvertretungen, pädagogische Projekte wie die Mathematik-Onlineplattform oder diversifizierte Sprachangebote, vor allem aber die geplanten 150 Speziallehrer für die Grundschulen bedeuten, dass der Bedarf nach (qualifiziertem) Personal steigt und weiter steigen wird – zum Preis, dass teilweise vorhandene Kapazitäten aus den Klassen abgezogen werden. Sie fehlen für den regulären Unterricht. Nicht eingerechnet sind die Fachkräfte, die künftig die neuen Beobachtungsstelle und Mediationsposten (Inklusion, Immigration und Schulabbrecher) bekleiden sollen. Da dort Berufserfahrung vorausgesetzt wird, wird diese Expertise ebenfalls den Schulen fehlen.

Nun ist es nicht so, dass der Minister auf diesen Braindrain nicht aufmerksam gemacht worden wäre. Die Lehrergewerkschaft SEW-OGBL, die den Reformen und der damit verbundenen Spezialisierung und Professionalisierung von Anfang an skeptisch gegenüberstand, kritisierte wiederholt, so würden erfahrene Pädagogen, die für den Unterricht gebraucht werden, aus dem Schulalltag abgezogen. Wie es aussieht, hat die Gewerkschaft dieses Szenario richtig eingeschätzt. Der SNE, der den Reformen weitgehend zugestimmt hatte, hatte ebenfalls vor Engpässen gewarnt. In einer ersten Phase, einigten sich Ministerium und SNE, sollten zunächst 70 Stellen für Speziallehrer ausgeschrieben werden, dann 40 und dann noch einmal 40, um die Belastung auf mehrere Jahre zu verteilen. Auf die erste Ausschreibung haben sich laut Ministerium 59 Kandidaten beworben.

Doch dringender noch als die Speziallehrer werden reguläre Grundschullehrer gesucht. Laut Rekrutierungsplan sind für das aktuelle Schuljahr 291, für das kommende 256, für 2019/20 232 und für die Schuljahre 2020/21 und 2021/22 jeweils 225 offene Lehrerstellen veranschlagt. Hinzu kommen je zwei Mal 25 Chargés de cours für die Reserve. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Kandidaten für den Concours trotz erleichterter Bedingungen ab. Allein in den vergangenen zwei Jahren ist die Zahl der Lehrer, die am Concours teilgenommen haben, um mehr als die Hälfte gesunken; in diesem Jahr gibt es auf 168 Teilnehmende mehr Stellen als Bewerber. Für kommendes Jahr stehen die Zahlen noch nicht fest, der Concours ist im Mai 2018.

Für die Gewerkschaften sind die „Schuldigen“ für die drastische Kandidatenknappheit schnell gefunden: Der neue, dreijährige Stage in der Grundschule, die steigende Arbeitsbelastung, Aufgaben neben dem Unterricht, darunter „die administrativen Aufgaben, mit denen sich Lehrer herumplagen müssen“, machen den Beruf zunehmend unattraktiv, sagt Patrick Remakel vom SNE. Um die dringendste Not zu beheben, fordert die Gewerkschaft, pädagogische Projekte und Décharges (Freistellungen) zu überprüfen, gegebenenfalls zu pausieren, sowie die Einführung des überarbeiteten Plan de réussite scolaire (jetzt Plan de développement scolaire) zeitweilig auszusetzen.

Ob dies wirklich die Gründe für die Bewerberflaute sind, oder ob sich nicht potenzielle Kandidaten später melden, weil sie erst einen Master an ihre vierjährige Uniausbildung anschließen, um bessere Karriereaussichten zu haben, ist unklar. Das Ministerium hat hierzu keine Daten. Fakt ist aber, dass viele Kandidaten bereits an der Aufnahmeprüfung zur Lehrerausbildung der Uni Luxemburg scheitern und auch der Umweg übers Ausland nur bedingt funktioniert: Viele fallen später bei den Sprachtests durch, die den Zugang zum Concours regeln.

Fakt ist auch, dass der Minister und seine Beamten die Gesamtwirkung dieser verschiedenen Faktoren auf die Personaldecke, die noch anhalten wird, nur bruchstückweise kommunizieren. Als die CSV im zuständigen Parlamentsausschuss den Rekrutierungsplan verlangte, konnten (wollten?) die anwesenden Beamten nicht liefern. Der Mehrjahresplan wird erstellt auf der Basis eines Berichts, für den berechnet wird, welcher künftige Personalbedarf im Bildungswesen besteht. Dabei werden Faktoren wie der Personalbedarf, der durch Reformen, Décharges für pädagogische Projekte, Schülerzuwachs oder durch steigende Flüchtlingszahle entsteht, berücksichtigt. Hinsichtlich des sich abzeichnenden Braindrain sagt Jean Schram, zweiter Mann in der Abteilung Grundschule im Schulministerium, denn auch: „Uns war schon klar, dass Lehrer, die entsprechende Weiterbildungen gemacht haben, sich intern auf die Stellen melden würden.“ Stopfen müssen diese Lücken andere: Nachdem der Anteil an Chargés kurzfristig sank, stieg er 2015-2016 auf 25,9 Prozent, der zweithöchste Wert in zehn Jahren.

Im Plan müsste nachzulesen sein, dass die Rechnung jetzt nicht – und auch in den nächsten Jahren nicht aufgehen wird, sondern sich der Lehrermangel sogar, sollten die Trends anhalten, noch verschärfen dürfte. Leider war das Ministerium nicht bereit, dem Land darin Einsicht zu geben; es wollte nur auf konkrete Fragen antworten. Auch im Memorial steht er dieses Jahr nicht. Im Juli hatte der Regierungsrat einen aktualisierten mehrjährigen Rekrutierungsplan verabschiedet. Auch Bedarfe der Sekundarschulen werden beziffert. Dass dort seit Jahren Lehrkräfte insbesondere für die naturwissenschaftlichen Fächer und für Mathematik fehlen, ist bekannt. Auf seiner Pressekonferenz zur diesjährigen Rentrée räumte Claude Meisch zudem ein, dass auch für sein prestigiöses Internet-Projekt von geplanten 17 Posten für Informatik bisher nur zwei besetzt werden konnten.

Verständlich, dass nun Zweifel laut werden, dass der Minister die Personalsituation im Griff hat. Zumal weitere Neuerungen die Schulorganisation auf eine Belastungsprobe stellen: Die 15 Posten der Regionaldirektionen sind zwar mittlerweile alle besetzt (mit zwölf Männern und drei Frauen in einem Sektor, in dem der Frauenanteil über 80 Prozent beträgt!), jedoch nicht alle beigeordneten Leitungsstellen. Neulinge müssen sich in ihren Bereich einarbeiten, da sind Planungsdefizite programmiert. So kommt es, dass manche Eltern von Kindern mit Förderbedarf erst einen Tag vor Schulanfang erfuhren, in welche Klasse ihr Kind gehen wird und welche Lehrer unterrichten werden. Zudem sind die zuvor der Éducation différenciée unterstellten Équipes multiprofessionelles, künftig Équipes de soutien des élèves à besoins éducatifs spécifiques, nun den Regionaldirektionen zugeordnet. Dort sitzen teils Ex-Lehrer, die keine Zusatzausbildung in Sonderpädagogik haben, und sollen Anleitungen geben. Da zeichnen sich neue Konfliktlinien ab. Die Zustellung mehrsprachiger Unterrichtsmaterialien im ersten Zyklus scheint ebenfalls nicht überall zu klappen. Immerhin: Eltern bekamen erstmalig für diese Rentrée eine Broschüre nach Hause geschickt, die über die Neuerungen informiert. Angesichts drohender Qualitätsverluste durch fehlende Lehrer ist das aber ein schwacher Trost.

Ines Kurschat
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