So eine Erleuchtung ist nicht einmal etwas Angenehmes. So hatte das rasant alternde Premierenpublikum des Kapuzinertheaters sich den netten Theaterabend nicht wirklich vorgestellt: sitzen im Saal unter gleißendem Licht, ein riesiger Flutstrahler auf sie gerichtet. Die ersten beschweren sich noch vor Beginn der Vorstellung bei der Technik, andere halten sich ihr Programmheft schützend vor die Augen. Marion Poppenborg zeigt ab der ersten Minute ihrer Inszenierung von Lukas Bärfuss' Der Bus – Das Zeug einer Heiligen, das im Januar 2005 am Hamburger Thalia Theater uraufgeführt wurde, sehr viel Humor, mit dem sie immer wieder etwas kritische Distanz zum doch schwierigen Stoff einbaut. Ihre Flutstrahler vor Anfang des Stückes, die auch immer wieder beim Umbau zwischen den Szenen gebraucht werden, scheinen dem Publikum beweisen zu wollen, dass so eine Engelserscheinung, wie sie die Hauptfigur Erika vor kurzem gekannt hat, dass so eine Bekehrung zum absoluten Glauben auch nicht wirklich ein Pappenstiel ist. Ein bisschen verblendet wird man schon dabei. Erika (wunderbare kindliche Christiane Warnecke) also steht vor einem Bus, in dem sie nach mehr als achtstündiger Reise soeben erwacht ist, und streitet sich mit dem groben Busfahrer Hermann (Georg Reiter): Sie wolle zur schwarzen Madonna in Tschenstochau in Polen, da Gott sie dorthin berufen habe, zur Feier der heiligen Sophie am folgenden Tag, das sei ihre Mission. Doch dummerweise ist sie in den falschen Bus gestiegen, eingeschlafen und nun das: mitten im Wald erwacht sie, in einer morbiden, dahinsiechenden Feriengesellschaft, die vorgibt, in eine Kur in den Bergen zu fahren, doch eigentlich genauso gut in den Freitod reisen könnte. Sie erleidet die Schläge eines aggressiven Fahrers, der sie für eine drogensüchtige, verlogene Schwarzfahrerin hält. Von da an wird Erikas Pilgerfahrt zur Höllenfahrt, denn sie wird den Wünschen, Ängsten, Aggressionen und Frustrationen ihrer Mitreisenden ausgesetzt. Schwierig ist der Text, weil Erika eine illuminierte Gläubige ist, eine die betet, jedoch ihren Glauben nicht erklären kann. Sie versucht, auch die Reisegesellschaft zu bekehren mit Sprüchen wie: „Du musst Christus in dein Herz lassen!“ Doch provoziert sie mit ihrem unterwürfigen Stoizismus und ihrem angstfreien Stolz nur den Hass der anderen. So, als konfrontiere sie sie mit ihrer eigenen Fehlbarkeit – „wir wussten nicht, wie schlecht wir waren, bevor wir dich trafen“, wie es Hermann ausdrückt. In dem Sinne hat Erika schon etwas mit der Dora aus den Sexuellen Neurosen unserer Eltern des gleichen Autors gemein (das Franz-Josef Heumannskämper vergangenes Jahr an derselben Bühne inszenierte): wie die willenlose Dora wird auch Erika von ihren Mitmenschen hin- und hergeschubst und ist letztendlich nur eine Projektionsfläche für die Ängste und Sehnsüchte der anderen. Die da wären: Karl, der bekennende Feigling, der mit Erikas Mutter liiert war und doch im Bus sitzen bleibt, als er sie in Schwierigkeiten weiß – köstlich verklemmt gespielt von Volker Wahl. Oder „die Dicke“ (Cordula Schurich), eine Mitreisende, die Erika benutzen will wie ein Dienstleistungsunternehmen, damit sie zum Bispiel die Leiden des sterbenden Herrn Kramer erleichtere. Oder auch Jasmin (Ulrike Arp), die sich zu ihrer Wollust bekennt und das Leben genießen möchte, doch sich vor Erikas Unschuld fürchtet. Und besonders auch Anton, der besoffene Tankwart, ein Aussteiger, der ganz alleine seine gesellschaftlichen Utopien spinnt und mit seinem Biodiesel aus der „Energiefalle“ herauskommen will. Er ist hierher gezogen, weil er sich zu schnell verliebt und es deshalb nicht mehr aushielt in der Stadt. Er ist an der Gesellschaft gescheitert. Christoph Kail spielt einen herrlichen Anton, in einer gekonnten Gradwanderung zwischen durchgeknallt Sein und zarter Verzweiflung. Zwischen ihm und Erika entsteht so etwas wie Liebe – doch die ist, natürlich, unmöglich. Marion Poppenborg hat den Schluss des Stückes gekürzt: die definitive Ernüchterung wird Erika in ihrer Version nicht erleben, nicht zu spät in Tschenstochau ankommen, nicht die Bierleichen in den Straßen sehen und auf eine Madonna aus Falschgold beißen. So als wolle Marion Poppenborg, doch noch ein bisschen von Erleuchtung, Bekehrung und wahrem, bedingungslosem, ja kitschigem Glauben träumen.
Der Bus – Das Zeug einer Heiligen von Lukas Bärfuss, in einer Inszenierung von Marion Poppenborg, ist eine Koproduktion des Kapuzinertheaters mit dem Schauspielhaus Salzburg, wo es am 17. Mai Premiere feierte. Mit: Christiane Warnecke, Georg Reiter, Ulrike Arp, Cordula Schurich, Volker Wahl, Christoph Kail und Michael Kolnberger; Bühne: Jeanny Kratochwil; Kostüme: Ulli Kremer; Sounddesign Jochen Suzi Müller; weitere Vorführungen morgen Samstag, 7. Oktober um 18.30 Uhr und am Sonntag, den 8. Oktober um 15 Uhr. Reservierungen unter Tel.: 47 08 95-1, email: ticket@pt.lu oder über Internet: www.luxembourgticket.lu.