Der knapp einen halben Meter große Roboter trägt den Namen QT. Spricht man ihn englisch aus, wird daraus Cutie, der Süße. So sei das auch gedacht, erklärt sein geistiger Vater Pouyan Ziafati in einem Youtube-Video. Denn QT ist ein „sozialer Roboter“ für Therapiezwecke. Er soll sich mit Menschen unterhalten und ihnen stets ein positives Feedback geben. Für Kinder mit autistischen Zügen zum Beispiel sei das „essentiell“, sagt Aida Nazarikhorram. Mit ihrem Ehemann, dem Computerwissenschaftler Ziafati, hat die Ärztin im Frühjahr 2016 die Firma LuxAI gegründet. 15 QTs habe man bisher verkauft. Der Roboter sei also kein Prototyp mehr, sondern marktfähig, und er sei nicht nur der erste in Luxemburg entwickelte soziale Roboter, „sondern einer der wenigen weltweit, die schon verkauft werden“.
LuxAI ist ein Spin-off-Unternehmen der Uni Luxemburg, eines von bislang sieben. „Spin-off der Uni heißt, dass so eine Firma eine Lizenz auf ein bestimmtes geistiges Eigentum der Universität nutzt“, erläutert Eric Tschirhart. Der Pharmakologie-Professor und frühere Vizerektor ist heute Berater des Rektors in Sachen Fundraising und Technologietransfer. „Führt eine Forschungsarbeit zu einer Erfindung, lassen wir die als Patent oder als Knowhow schützen. Dadurch wird sie unser geistiges Eigentum. Lässt es sich kommerziell verwerten, können wir es entweder verkaufen oder eine Lizenz an eine Firma vergeben. Das kann ein großes Unternehmen sein oder eine Neugründung. Letztere ist dann ein Spin-off.“
Oft geht das geistige Eigentum, das lizenziert wird, auf eine Doktorarbeit zurück. LuxAI-Gründer Ziafati etwa entwickelte als Doktorand am Forschungszentrum für IT-Sicherheit der Uni (SNT) eine Software, die eine Fülle von Sensordaten so verarbeitet, dass Roboter QT imstande ist, mit einem Feedback zu reagieren. Ebenfalls auf eine Arbeit am SNT geht ein anderes Spin-off zurück, Motion-S. Einer seiner drei Gründer ist der Computerwissenschaftler German Castignani. 2012 begann er am SNT an der Erfassung der Verhaltensmuster von Autofahrern zu arbeiten. Lediglich die Sensoren eines Smartphones und GPS-Daten sollten dazu dienen. Ende 2014 entstand Motion-S und entwickelte daraus eine App, die nun mit einer großen Luxemburger Versicherung vermarktet wird. Sie belohnt Fahranfänger, die mit Hilfe der App zeigen, dass sie vorausschauend und sicher fahren, mit Rabatten auf die Auto-Haftpflicht. Die App hat Motion-S in ein Spiel integriert. Es lässt den Fahrer immer höhere Niveaus erreichen und belohnt ihn dafür.
Auf Software und Daten basieren alle der bisher sieben Spin-offs. Eric Tschirhart betont, die Alternative, eine Erfindung entweder zu Geld zu machen oder sie als Lizenz an eine solche Firma vergeben, stelle sich nicht wirklich: „Wir wollen etwas für das Land tun, Made in Luxembourg fördern.“ In den sieben Firmen seien bislang um die 60 Arbeitsplätze geschaffen worden, rund die Hälfte davon sei mit Gebietsansässigen besetzt. „Das ist Impakt!“ Jener Impakt, von dem die Regierung sich noch mehr von der Uni wünscht und die Gründung von Spin-offs deshalb als eines der verschiedenen Ziele festhält, die die Uni in Vierjahresverträgen mit dem Staat möglichst erfüllen soll.
Die Chancen auf Wachstum stehen bei Motion-S und LuxAI ziemlich gut, wie die Gründer die Lage schildern. Aida Nazarikhorram kündigt an, „nächstes Jahr wollen wir QT auf den Massenmarkt bringen“. Wurde er bisher an Therapeuten autistischer Kinder verkauft, sollen ihn künftig auch Eltern nutzen können. Weitere Anwendungen im Gesundheitsbereich seien ebenfalls denkbar, etwa bei der Behandlung von Schlaganfallpatienten oder in der Altenpflege.Weil Massenmarkt Industriefertigung heißt, werde nächstes Jahr „eine kleine Fabrik“ entstehen, in der QT montiert wird. „Wir sind dazu mit mehreren Luxemburger Betrieben im Gespräch, die Entscheidung fällt in den nächsten Monaten.“ Neue Jobs entstünden bei LuxAI auch, schon jetzt stellt die Firma ein. „Wir haben alles selber entwickelt, die Hardware, die Software und die Verbindung zur Therapie. Man könnte sagen, wir sind drei Firmen in einer.“
Auch bei Motion-S soll 2018 „das Jahr der Investitionen“ werden, erklärt Guido von Scheffer, CEO und Mitgründer. „Anschließend könnten wir die Start-up-Phase hinter uns lassen.“ Zähle Motion-S heute neun Mitarbeiter, sollen es Ende 2018 rund 20 sein, und ging es anfangs darum, die App zur Erfassung des Fahrerverhaltens weiterzuentwickeln und zu vermarkten, setzt die Firma nun darauf, aus einem immer größer werdenden „Ökosystem“ aus Fahrer- und Telematikdaten zu schöpfen und die Daten für Kunden anzureichern, in den Kontext mit der Umwelt zu stellen und individuell auszuwerten.
Zurzeit hält die Uni Luxemburg 381 Patente. Um Spin-offs entstehen zu lassen und überhaupt geistiges Eigentum zu entwickeln, es zu schützen und zu verwerten, geht sie systematisch vor. Zwei „Scouts“ sondieren, woran die einzelnen Forschungsgruppen arbeiten und ob sich das „in Wert setzen“ lassen könnte. „Die Scouts fischen nicht nur nach Ideen, sie versuchen zum Beispiel auch, mehrere Ideen zu einer verwertbaren Lösung zu verschmelzen“, sagt Sigmar Lampe, der an der Uni zuständig ist für Inwertsetzung und Patentrechtsfragen. So vorzugehen, sei an Unis üblich. Begonnen habe das 1980 in den USA. Damals wurde dort ein Gesetz verabschiedet, das es Universitäten erlaubt, für mit Forschungsgeldern der US-Regierung gewonnene Erkenntnisse selber Patente anzumelden und sie in Wert zu setzen. Die EU zog in den Neunzigerjahren nach. Manche europäische Unis gelten heute als außerordentlich erfolgreich in der Verwertung, zum Beispiel die Katholische Universität Louvain.
Aber „Verwertung“ heißt noch nicht Spin-off. Weil zunächst entschieden werden muss, ob eine Idee sich überhaupt in Richtung geistigen Eigentums weiterentwickeln lässt, ist der Weg zu Spin-offs dann noch lang: Es muss sich zeigen, ob eine Lösung voraussichtlich mit Erfolg zu Markte getragen werden kann. Die Finanzierung der Firma muss gesichert werden und: Ob ein Wissenschaftler der Uni zum Firmengründer werden will, ist ebenfalls eine Frage.
Bei der Prüfung der Verwertbarkeit kann der nationale Forschungsfonds FNR helfen. Über sein Programm Proof of concept kann er unter anderem den Bau von Prototypen finanzieren. Der erste QT entstand zum Beispiel so. Ist eine Lösung voraussichtlich marktfähig und soll daraus ein Spin-off werden, unterstützt die Uni die Firmengründung wissenschaftlich, finanziell dagegen allenfalls mittelbar: „Am Gesellschaftskapital von Spin-offs beteiligen wir uns nicht, die Firmen sind unabhängig von uns“, sagt Eric Tschirhart. Manchmal werde ein Professor Chief Science Officer der jungen Unternehmen, „aber nur eine Zeitlang“. Entgegen kommt die Uni ihnen, wenn es um die Einnahmen aus den Lizenzen geht: „Wir vergeben eine Lizenz natürlich auch, um daran zu verdienen, sind aber gegenüber Spin-offs nicht übermäßig anspruchsvoll.“ Verlangt werde „kaum mehr als zwei Prozent vom jährlichen Netto-Verkaufserlös“. Für die Uni, die Made in Luxembourg stärken will, sei das „ein ehrlicher Return-on-investment“, sagt Tschirhart.
Doch weil die Universität nicht selbst ins Kapital eines Spin-offs einsteigt und das Proof of concept-Programm des FNR nur so weit reicht, wie sein Name das verspricht, ist vor allem in der unmittelbaren Startphase eines Spin-off das so genannte Seed funding ein Problem. Mitunter sogar ein großes. „Das ist schwierig“, sagt German Castignani. Aida Nazarikhorram geht noch weiter: „Das ist in Luxemburg unmöglich.“ Motion-S hatte insofern Glück, als Castignani seine Idee auf einem ICT Spring vorstellte und bereits dort die Aufmerksamkeit jener Versicherungsgesellschaft auf sich zog, die die erste Partnerin seiner späteren Firma werden sollte und bei der Finanzierung behilflich war. LuxAI dagegen beschaffte sich die allerersten Mittel von Wagniskapitalgebern im Ausland. „Es gibt natürlich auch in Luxemburg Business Angels, die helfen könnten“, weiß Aida Nazarikhorram. „Aber für eine Firma wie unsere, die einen Roboter herstellt, der obendrein für Anwendungen im Gesundheitsbereich gedacht ist, fehlt ihnen die Expertise.“
Trotz aller Bekenntnisse zur „Wissensökonomie“ sind die Probleme, Kredite für Spin-offs und Start-up-Firmen generell zu beschaffen, legendär. Am ehesten klappt das, was am Finnazplatz nicht verwundert, im Bereich Fintech. Dass dadurch der Uni die Erfüllung ihrer Spin-off-Ziele erschwert wird, ist ihr bewusst: „Wir reden hier vom Start einer Firma, wo 20 000 Euro zukunftsentscheidend sein können“, sagt Eric Tschirhart. „Steht dann kein Kapitalgeber bereit, bleiben Firmengründern nur die drei großen F: Friends, Family and Fools.“ Auch der Luxembourg Future Fund springe erst ein, wenn eine Firma eine erste bescheidene Reifestufe erreicht hat.
Um die Lücke zu schließen, sei die Universität mit dem Wirtschaftsministerium, dem FNR und der Spuerkees im Gespräch, teilt Eric Tschirhart mit. Wenn nichts mehr dazwischen kommt, soll Anfang kommenden Jahres ein „early stage investment fund“ aus der Taufe gehoben werden. Er wäre für Firmen da, die gegründet werden, um Lizenzen zu nutzen, die aus der öffentlichen Forschung stammen.
Ergänzt werden soll dieses Vehikel noch um einen „Vorbeschleuniger“: Wie das Arbeitsrecht für junge Forscher im Moment formuliert ist, können sie nur mit einem auf höchstens fünf Jahre befristeten Vertrag beschäftigt werden. Für Doktoranden an der Uni folgt daraus: Entsteht, während sie auf ihren PhD hin arbeiten, eine kommerziell womöglich verwertbare Idee und vergehen bis zur erfolgreichen Verteidigung einer Doktorarbeit in der Regel vier Jahre, bliebe nur noch ein Jahr Zeit, in Richtung „Verwertung“ zu arbeiten. Das ist schon deshalb zu wenig, weil die Universität sich „ein Fenster von 30 Monaten“ gibt, wie Eric Tschirhart das nennt, „um zu sehen, wie wir eine Lösung schützen und sie anschließend in Wert setzen“. Natürlich sei es immer möglich, einen befristeten Forscher-Vertrag in einen unbefristeten zu verwandeln. „Aber in einem solchen Moment rekrutieren wir ja nicht, da geht es im Gegenteil darum, eventuell einen Spin-off zu gründen.“
Beziehungsweise darum, dem Wissenschaftler neben der eventuellen Perspektive als Unternehmer eine soziale Absicherung zu geben, damit er den Mut nicht fahren lässt und sich lieber nach einer Akademikerstelle im Ausland umschaut. Abhilfe könnte der „pré-accélérateur“ schaffen. Er soll wie der Startkapitalfonds mit Hilfe des nationalen Forschungsfonds zustande kommen und ebenfalls 2018 starten: Eine Zeitlang würde er den Forscher und Unternehmer in spe einstellen und ihm erlauben, seine Idee in Richtung Spin-off weiterzuentwickeln. „Letzten Endes“, sagt Eric Tschirhart, „wollen wir die Möglichkeiten zur Spin-off-Gründung maximieren.“