Codipro

Wirbelringschrauben für die Welt

d'Lëtzebuerger Land vom 15.12.2017

„Ist der Giga da?“, ruft Produktionsleiter Steve Henricot dem Lageristen zu. Der Giga DSS ist das leistungsstärkste Modell der Firma Codipro. Gut 55 Kilo wiegt das gute Stück, wenn es zusammengebaut ist. Eine Drehwirbelschraube, wie der Haken im Fachjargon heißt, der eine Last von bis zu 125 Tonnen aushält, also locker 120 Autos auf einmal und vor allem an einem einzigen Kontaktpunkt heben könnte. Der „Giga“ ist demnach kein Alltagsprodukt, wie Henricot einräumt, sondern eines, das bei ganz besonderen Einsätzen gebraucht wird. Beispielsweise beim Bau von Offshore-Windparks, wo das tonnenschwere Turmelement, an dem Turbine und Rotorblätter angebracht werden, aus der Horizontalen in die Vertikale aufgerichtet werden muss. Der „Haken“, mit dem der Turm an der Krankette befestigt ist, muss dieser Bewegung folgen können. Dafür braucht es eine Drehwirbelschraube, die in dieser Größe in Europa nur von der Wiltzer Firma Codipro hergestellt wird. Die Verkaufsrenner, die Henricot vorzeigt, sind wesentlich kleiner als der Giga. Ein wichtiger Abnehmer für die Anschlagpunkte, wie das Werkzeug auch noch genannt wird, ist die Plastik-Spritzgussindustrie, die Drehwirbelschrauben braucht, um die Gussformen, etwa für Stoßdämpfer oder Softdrinkflaschen, auf die Maschinen und wieder herunter zu bewegen.

Codipro gehört seit 2005 zur Firmengruppe Alipa (All for lifting and packaging), zu der auch die Firma No-Nail Boxes zählt. Alipa ist eher eine Marke als eine juristische Einheit, wie Christophe Losange, Direktor für den Bereich Hebetechnik, erklärt. Insgesamt erzielt die Gruppe einen Umsatz von 23 Millionen Euro jährlich und beschäftigt 120 Mitarbeiter. Gegründet wurde Codipro 1974 in Le Mans. Bei der Übernahme beschäftigte das Unternehmen den Besitzer, seine Frau und einen Mitarbeiter, bediente den französischen Markt und erzielte dadurch einen Umsatz von einer Million Euro. Zwölf Jahre und einen Umzug nach Luxemburg später hat sich der Umsatz verzehnfacht und die Firma zählt 35 Mitarbeiter.

Als Ursachen für dieses starke Wachstum zählt Losange mehrere Faktoren auf. Der Standort Luxemburg spielt dabei eine wichtige Rolle. „Ohne Zertifikat ist ein Produkt nichts wert“, holt der Direktor aus. Bei den Drehwirbelschrauben, beim Hebewerkzeug insgesamt, handelt es sich um Sicherheitswerkzeug, dessen maximale Leistung und Herkunft homologiert und bescheinigt werden müssen, und das danach einer alljährlichen Kontrolle unterzogen werden muss. Codipro, erklärt Losange, sei auf dem Markt ein wichtiger Akteur, nicht was die verkauften Mengen betrifft, sondern in Bezug auf Qualität und Leistung. „Die meisten Produkte stammen aus Asien.“ Auch die werden mit Zertifikat geliefert. „Aber ein in Luxemburg ausgestelltes Zertifikat ist in den Augen der Kunden mehr wert“, so Losange. Das Made in Luxembourg helfe, das Image als Unternehmen mit hochwertiger Produktpalette zu pflegen.

Der Durchschnittspreis der Codipro-Drehwirbelschrauben liegt bei 88 Euro. Bei den Konkurrenten aus Asien, fügt der Direktor hinzu, liege er zwischen 30 und 50 Euro. Der Unterschied ist einerseits darauf zurückzuführen, dass sich Codipro auf die Herstellung von großen Anschlagpunkten spezialisiert hat, die besonders schwere Lasten tragen können. Und andererseits darauf, dass die Qualität den Kunden einen Aufpreis wert ist.

Seit das Unternehmen umgezogen ist, exportiert es in die ganze Welt. „Chile, China, Myanmar, Japan ...“ zählt Losange auf, wobei Europa der wichtigste Markt bleibt, auf dem 80 Prozent der Produktion verkauft werden. Innerhalb dieses Marktes biete Luxemburg nicht nur eine zentrale Ausgangsbasis für die Verteilung, sondern überdies einen neutralen Standort, um sowohl Kunden in Deutschland als auch in Frankreich zu bedienen. „Die Franzosen haben immer noch Probleme damit, deutsche Produkte zu kaufen, und die Deutschen mit französischen Waren“, so Losange.

Doch wenn der Firmenleiter von Exporten spricht, meint er damit ohnehin die Regionen außerhalb Europas. Die neue Produkt-Serie Gradup feierte kürzlich auf einer Fachmesse in Minneapolis Weltpremiere. „Die USA sind ein interessanter, wenn auch ziemlich protektionistischer Markt, der allerdings die Türen für Qualitätsprodukte wie unsere öffnet.“ Losange erklärt: „Die Amerikaner machen alles im Großen, aber das führt dann irgendwann zu Problemen mit der Ergonomie. Bei uns kann man eine Last von 25 Tonnen mit einer Wirbelringschraube von 15 Kilo bewegen, bei den Amerikanern wiegt sie bei der gleichen Leistung 50 Kilo. Diese zu bewegen wird dann ein Transport für sich.“

Worin besteht Innovation, wie verbessert man ein Standard-Stahlwerkzeug? Beispielsweise über die Materialoptimierung. Eine Wirbelringschraube wird aus vier Bauteilen zusammengesetzt, von denen jedes unterschiedliche mechanische Belastungen aushalten muss, wie der Firmenleiter erklärt. Deshalb besteht jedes Teil aus einer anderen Stahlverbindung, die sich besonders gut eignet, um den jeweiligen Anforderungen standzuhalten. Codipro gießt die Bauteile nicht selbst, sondern erstellt das Design und übermittelt detaillierte Vorgaben an die Zulieferer. Weil man aber bei der Materialoptimierung an die Grenzen des Möglichen gerät, innoviert die Firma auch in anderen, für die Kunden wichtigen Bereichen. Zum Beispiel bei den Informationen, die mit den Produkten geliefert werden, die Aufschluss über Normen und Produkthandhabung geben und die detaillierter seien als bei anderen Herstellern. Oder auf der Suche nach neuen Herstellungsverfahren. Die Firma aus Wiltz hat ein Patent anmelden lassen für ein 3-D-Druckverfahren, um Wirbelringschrauben aus einem Stück herzustellen. Noch ist die Methode zu kostspielig und deshalb nicht serienreif, erklärt Losange. Doch unter Sicherheitsaspekten wäre das Verfahren interessant, weil ein Werkzeug aus einem Guss beim Kunden nie in die Einzelteile zerlegt und eventuell falsch wieder zusammengebaut werden könnte.

„Wir kontrollieren, wir bauen zusammen, wir zertifizieren, wir verschicken“, beschreibt Steve Henricot den Arbeitsablauf im Atelier. Jedes einzelne Bauteil wird auf eventuelle Schäden überprüft, bevor es verbaut wird. Safety first! – kommt eine Bestellung ins Atelier, wird als erstes auf das zentrale Bauteil jeder Schraube eine individuelle Seriennummer gefräst. Henricot gibt ein bisschen Schmierfett auf die Teile. Dann werden die im Durchmesser leicht unterschiedlich großen Bestandteile mit hohem Druck ineinandergepresst. Zack ­– das war‘s! Mit Zertifikat und Informationspaket werden die Teile erst in eine Plastiktüte, dann in eine Kiste der Schwestergesellschaft No-Nail Boxes verpackt, damit sie unbeschadet bis zum Kunden kommen. 100 000 Wirbelringschrauben jährlich produzieren die rund 15 Mitarbeiter im Atelier. Drei Prozent dieser Jahresproduktion müssen im Labor überprüft werden. Je nachdem werden die Anschlagpunkte mit einem Koeffizient von 1:4 oder 1:5 zertifiziert. Das heißt, eine Schraube für eine Traglast von einer Tonne darf bei einer Belastung von bis zu vier beziehungsweise fünf Tonnen nicht brechen. Deshalb geben die Mitarbeiter im Labor ordentlich Druck auf die Kontrollware – bis zu 100 Tonnen schafft der Simulator. Danach wird nachgemessen, ob es irgendwelche Veränderungen gegeben hat. Auch die Sonderanfertigungen für Kunden, meistens mit besonders langen Schraub­achsen, werden hier von den Mitarbeitern auf ihre Belastbarkeit geprüft und homologiert. Darauf, dass auch solche Aufträge binnen weniger Tage ausgeliefert werden können ist der Produktionsleiter stolz.

Michèle Sinner
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