Seit dem 6. Mai und bis zum Tag vor der Europawahl flimmern die Wahlspots über die Fernsehbildschirme. Jede Partei verfügt dabei über neun Minuten Gesamtsendezeit. Was wie Schleichwerbung für die Blazerabteilung vom Bram daherkommt, ist der Pitch einer der beiden Regierungsparteien: Die CSV, die wortwörtlich auf den Zuschauer zugeht. Christophe Hansen macht dies im Park Dräi Eechelen, Isabel Wiseler-Lima in der Uewerstad, Metty Steinmetz durch die Kolonnen vor dem Europa Museum Schengen, Martine Kemp vor dem Europaparlament, Guy Breden darf sich aufgrund seines Wasserstoffautos vor einem Windrad für mehr erneuerbare Energien aussprechen und Mélanie Grün läuft in der CSV-Hochburg Hesperingen durch den Park für ein „Europa, das niemanden auf der Strecke lässt.“ Im Hintergrund wird die Geigenklassik lauter, der Kamerawinkel öffnet sich, der Heilsbringer in Form von Luc Frieden tritt auf die internationale Bühne und der Presse entgegen. Er sagt: Luxemburg braucht eine starke Stimme in Europa. Seine Stimme klingt heiser, brüchig. Ach egal, auf ein weißes Unterhemd für den Blazer wurde sich jedenfalls geeinigt, denn Kohärenz muss sein.
Auch im Wahlspot der ADR wird die Farbe der Unschuld untendrunter getragen. Dabei hat der alleinige Spitzenkandidat Fernand Kartheiser alles im Griff. In Schengen, vor der BNL und insbesondere vor einer blassblauen Deux Chevaux aus den guten alten Zeiten. Ihr Verbrennungsmotor ist ausgestellt wie ein Museumstück, rundherum ein romantisches Weinreben-Panorama. Jeff Engelen hat seine Hand behutsam auf das Auto abgelegt. „Jeder soll sich den Motor aussuchen können, der am besten zu ihm passt“, sagt Fernand Kartheiser versöhnlich. Hinter ihm stehen mal drei, mal vier weitere Kandidat/innen. Sie grinsen, bleiben jedoch stumm. Warum auch etwas sagen, wenn die Weichen so gut stehen?
Tilly Metz von den Grünen tritt mit dem Ko-Spitzenkandidaten Fabricio Costa nicht in grünen, sondern blauen Blazern auf. Der sonnige Gronn, unterlegt mit den zu erwartenden Geigen, erscheint – bevor die vierte Wand gebrochen wird, als die Spitzenkandidatin rhetorisch fragt: Die Musik ist too much, oder? Nee, die brauchen wir nicht, antwortet ihr Fabricio. Mehr Liebe und weniger Hass gibt’s bei den Grünen, erklären sie. Keine überschwemmten Häuser mehr, saubere Luft, gesundes Essen und ein gutes Gehalt: Es klingt irgendwie brav, gar schüchtern. Ob die Anbiederung reichen wird, um den Sitz zu behalten?
Die Blauen schaffen es in dem kinematografisch bestgestalteten Wahlvideo, das Heimeligkeitsgefühl mit Tagesanbruch und ein wenig Nebel über der roten Brücke, begleitet von der staatstragenden Stimme des Charles Goerens, herzustellen. Alle Kandidat/innen bewegen sich im Morgengrauen in Richtung Luxemburg-Stadt – ja, wohin auch sonst? Jana Degrott liest entspannt ein Magazin in der Tram und erklärt, Europa bedeute für sie, nicht alleine zu sein mit seinen „Challenges“. Nancy Braun geht kurz ins Museum, während Gusty Graas auf den gottverlorenen Feldern des Großherzogtums joggt. Amela Skenderović blickt hoffnungsvoll in den bedeckten, grauen Himmel an der Uni Belval, sie wünscht sich ein neues! und junges! Europa. Doch keine Angst, Christos Floros hat einen Regenschirm dabei, der groß genug ist, um alle Ängste über die unverhältnismäßigen Niederschläge, die mit der Klimakrise einhergehen, zunichte zu machen. Schlüpfen auch Sie drunter! Im Hintergrund klimpert jemand auf dem Klavier, alle sagen ihr Schlagwort verheißungsvoll – und treffen sich anschließend beim Pop-up Hertz. Immerhin ist die Sonne mittlerweile aufgegangen und es ist Zeit für das erste Glas Crémant, um die Bilder aus Rafah zu vergessen. Wen interessiert es da noch, dass das liberale Spitzenduo in Schlüsselfragen wie der Anerkennung von Palästina als Staat und dem Einstimmigkeitsprinzip in Steuerfragen von der offiziellen Parteilinie abweicht.
Falls Sie nun kurz vergessen haben, worum es geht, werfen Sie die LSAP-Spots an. Die Sozialisten können das Wort Europa gar nicht oft genug sagen. Wahlweise ist es stark, gerecht, sozial. Wer kein Herz hat, kann sich mit einem Kreuz für die LSAP eins „nehmen“. Da muss man sich sputen, denn die Spitzenkandidaten reichen sich es in ihrem zweiten Wahlspot ganz schön hurtig herum, das blaue Herz mit gelben Sternchen, das den Rechten Paroli bieten soll. Die Fäuste von Marc Angel, Nicolas Schmit und Mars di Bartolomeo sind geballt, bei Letzterem geht der Daumen nach oben, denn keine Sorge, es ist alles in Ordnung hier, wir nehmen Sie flauschig in den Arm. Geborgenheit vermittelt auch Liz Braz, die ihre Hände genauso als Raute gefaltet hat, wie Angela Merkel es einst tat.