Die in der Umfragengunst wieder abgestürzte ADR versucht Energie-Angst zu schüren und die Schuld dafür der Regierung zuzuschieben

Gas von Putin

ADR-Kammer-gruppenchef Kartheiser mit seinem Vorgänger Gast Gybérien beim Parteikongress am 20. März
Foto: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land vom 07.10.2022

Als vor einem Jahr die Delta-Variante des Coronavirus, die ziemlich krank machen konnte, eine hohe Welle schlug und etwa um dieselbe Zeit die vier Kapitel der Verfassungsrevision ihrer ersten Lesung im Parlament entgegengingen, kam die Stunde der ADR: Nicht nur die Regierung, gab sie zu verstehen, sondern eine politische „Elite“ diktiere dem Volk Hygienemaßnahmen. Eine Elite aus Mehrheitsparteien und CSV wiederum breche ungeniert ihre Wahlversprechen von 2018 auf ein Verfassungsreferendum, zwinge dem Volk ein neues Grundgesetz auf, das die Luxemburger Identität untergrabe und gegen die Monarchie gerichtet sei.

All jenen, die sich von der Politik nicht mehr in ihren Interessen vertreten fühlen, bot die ADR sich als Ordnungsstifterin im neoliberalen Chaos an, mit dem Offizier und eloquenten Berufsdiplomaten Fernand Kartheiser als frontman. Prompt stieg die ADR in der Sonndesfro im November 2021 von vier auf sieben Kammermandate. Diesen Juni stürzte sie wieder auf vier ab. Omikron-Corona war kein Thema mehr. Die Regierung hütete sich, von der Impfpflicht zu reden, zu der die CSV sie im Dezember genötigt hatte. Mittlerweile dominierten der Krieg in der Ukraine, die Sanktionen gegen Russland und die im Wirtschaftskrieg mit der EU steigenden Energiepreise die Nachrichten. Der ADR war der rechtsnationale russische Präsident Wladimir Putin damals noch peinlich. Den Überfall auf die Ukraine hatte sie am 24. Februar mit den anderen Parteien im Parlament verurteilt. Auf ihrem Kongress am 20. März nannte sie die Begründung für den Einmarsch „zaristisch“ und ein „No-Go in einem humanistischen und christlichen Europa“.

Heute dagegen hat die ADR mit den zaristischen Ambitionen wieder ihren Frieden gemacht. Da war sie schon vor sieben Jahren. Ende 2015 wollte Fernand Kartheieser das Parlament dazu bewegen, sich für ein Ende der nach der Annexion der Krim verhängten Sanktionen einzusetzen: Die brächten nichts, änderten die Politik Russlands nicht und fügten der Wirtschaft der EU nur Schaden zu. Anfang März 2016 meinte Kartheiser gegenüber dem Wort, eine Annexion der Krim habe es eigentlich nicht gegeben, denn die Bevölkerung dort sei „hauptsächlich russisch“. Er würde eher von einem „Beitritt der Krim zu Russland“ oder einer „nicht-provokativen Absicherung“ der Halbinsel sprechen, denn es habe „eine Verunsicherung, was mit der russischen Bevölkerung auf der Krim passieren würde“, gegeben.

Ausgerechnet nur wenige Tage, nachdem der russische Präsident die Annexion der vier ukrainischen Provinzen Donezk, Lugansk, Saprorischia und Kherson bekanntgab, erzählte Kartheiser im Radio 100,7 vor einer Woche eine ganz ähnliche Geschichte: Rückgängig machen lasse diese Annexion sich nicht, und selbst wenn die Zwangsreferenden unter Aufsicht wiederholt würden, würde eine Mehrheit dem Beitritt zu Russland zustimmen. So betrachtet, müssten die Sanktionen weg und mit Russland Verhandlungen aufgenommen werden – auch wenn Diplomatie in einem Krieg „schwierig“ sei.

Doch da äußerte sich nicht nur der frühere Karrierediplomat, der privat darüber reflektiert, wie gefährlich ein durch Sanktionen destablisiertes Russland wäre und ob die Atommacht nicht als „Partner“ in der Weltpolitik erhalten werden müsse. Sondern das Sprachrohr der Luxemburger Neuen Rechten, in deren wahlstrategisches Konzept ein Russland-Appeasement gut passt. Noch ist die Lage so unübersichtlich und volatil, dass es keiner Partei leicht fällt, sich jetzt schon auf programmatische Schwerpunkte für 2023 festzulegen. Die ADR behilft sich vorläufig damit, die Rolle der einzig wahren Konservativen zu spielen: Gegen haushaltspolitische Abenteurer von LSAP und Grünen, die sich mehr als 30 BIP-Prozent Staatsschuld vorstellen können. Gegen die von der DP verursachte Unordnung im Schulsystem durch „internationale Schulen“. Gegen Drogen, Kriminalität und „Asylmissbrauch“ sowieso. Und derzeit insbesondere gegen eine grüne Energiepolitik.

Man konnte das auf der Pressekonferenz der ADR am Montag, zwei Tage nach ihrer Journée parlementaire, beobachten. Wenn tatsächlich besonders wichtig ist, was auf dieser Journée besprochen wurde und worüber am Montag die Abgeordneten Fred Keup, Roy Reding und Jeff Engelen referierten, dann ist die Energie das Top-Thema. „Angst“ hätten die Menschen angesichts der steigenden Preise. Angst hätten sie auch, falls sie krank würden, weil es nicht genug Ärzte gebe; doch dazu fiel dem Abgeordneten Engelen nicht viel mehr ein als eine Universitätsklinik zur Ausbildung von Medizinern „vielleicht“ in Verbindung mit einem Militärspital aufbauen zu wollen. „Do musse mer eis bei der Nato renseignéieren.“ Roy Reding wiederum erklärte süffisant, sich „nur mit unpopulären Themen“ abzugeben, zum Beispiel einer Regularisierung des Berufs „Sexarbeiter“.

Doch so etwas hat vor allem anekdotischen Wert. Eine opportunistische Trittbrettfahrer-Partei, die nicht um Schnapsideen verlegen ist, ist die ADR, seit ihr vor zwanzig Jahren das Rententhema abhanden kam. Die Energie aber gibt Stoff her. Damit lassen sich die wegen des Preisauftriebs Besorgten dort abholen, wo sie sind. Ängste lassen sich noch weiter schüren, wenn man erzählt, dass „Klimaneutralität“ und „Energie-Transition“ lediglich „ideologische Träume“ der Grünen seien, weil Versorgungssicherheit nur mit fossilen und Atomtechnologien zu haben sei. Weil derzeit „ein Problem beim Gas“ bestehe, schließt sich der Kreis zu den Russland-Sanktionen, die „weg“ müssten.

Mit dieser Forderung ist die ADR in guter Gesellschaft der europäischen Neuen Rechten, von der AFD bis hin zur Lega von Matteo Salvini. In Luxemburg lässt sich damit die ganze Regierung vorführen: Die LSAP, die in ihrer traditionellen Rolle als Beschützerin der kleinen Leute versage. Die Grünen natürlich, die vorgäben, alle Probleme mit Windrädern und Solarpanels lösen zu können, und die DP, die alles mitmacht und deren Finanzministerin eher bereit ist, die Schatulle des Staats zu öffnen, als zu insistieren, die Wirtschaft so zu stärken, „dass sie Indextranchen bezahlen kann“. So ähnlich, wie der Handelskammer-Präsident und frühere CSV-Finanzminister Luc Frieden das sieht.

Allerdings macht die ADR sich weniger Mühe als Luc Frieden, zu erörtern, wie „langfristig“ sie das womöglich sieht. Sie kann es sich leisten, irgendwas zu sagen. Gegen neue Staatsschulden zu wettern, aber im nächsten Atemzug Steuererleichterungen für Alleinerziehende, Verwitwete und Mindestlohnempfänger sowie die Anpassung der Steuertabelle an die Inflation zu verlangen. Weil 2023 um das populistische Terrain auch die Piraten konkurrieren werden, die CSV ebenfalls damit beginnt, knackige Botschaften von „abgezockten“ Steuerzahlern zu transportieren, muss die ADR kompetitiv bleiben.

Was nicht ohne Widersprüche abgeht. Fred Keup machte am Montag eine Energierechnung auf. 50 Terawattstunden betrage der Energieverbrauch in Luxemburg insgesamt. Nur 6,5 Terawattstunden entfielen derzeit auf Strom. Wollte man den gesamten Verbrauch aus grünem Strom decken, brauche man 7 000 Windkraftanlagen in der Größe wie unlängst in Garnich installiert.

Natürlich spricht auch der grüne Energieminister nicht davon, sämtlichen Energieverbrauch im Land eines Tages durch Strom decken zu wollen. Gar nicht zu reden durch in Luxemburg selber erzeugten. Für die ADR ist das nebensächlich. Und Fred Keup bringt es einerseits fertig, den offenbar hohen Energieverbrauch auf tausende Windmühlen umzurechnen und gleichzeitig den „Erhalt des Tanktourismus“ zu fordern. Der trägt immerhin rund ein Drittel zum Gesamtenergieverbrauch bei, seine Abschaffung würde 2 000 Windräder sparen. Doch die einfache Botschaft der Stunde lautet Regierungs-Bashing. Auf der Facebook-Seite der ADR verfing das vor einer Woche gut. Dort war der verbale Schlagabtausch Fernand Kartheisers mit Dan Kersch (LSAP) während der Debatte im Parlament zum Tripartite-Abkommen im Video-Replay zu sehen. Kersch war prinzipiell bereit, die 30 BIP-Prozent Staatsschuld zu überschreiten, Kartheiser auf keinen Fall. 400 Fans waren von ihm begeistert. Den wenigen sich kritisch Äußernden wurde gewünscht, unter einer langen Rechnung für Strom, Gas und Sprit leiden zu müssen. Entweder Kartheisers Anhänger verwechseln etwas, oder ihre Schlussfolgerung lautet: Lasst Putin den Donbass und die halbe ukrainische Schwarzmeerküste, und alles wird wieder, wie es mal war.

Peter Feist
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