„It‘s really never too late to find a new home“, trägt Country-Sänger Will Banister uns vor, und es scheint, als weise er programmatisch in die Richtung, die die Handlung von Clint Eastwoods neuem Film Cry Macho einschlagen wird: Nach einer schweren Rückenverletzung sieht sich der einst erfolgreiche Rodeo-Reiter Mike (Clint Eastwood) aus dem Leben gedrängt. Als sein damaliger Chef Howard (Dwight Yoakam) bei Will auftaucht und ihn um einen letzten Gefallen bittet, wird Mike wieder ins Leben geholt: Howards Sohn Rafo (Eduardo Minett) läuft Gefahr, als gerade mal 13-Jähriger unter seiner gefährlichen Mutter Leta (Fernanda Urrejola) eine kriminelle Laufbahn einzuschlagen. Will soll Rafo aus den Fängen der Mutter in Mexiko befreien. Ein kompliziertes Unterfangen, hat Leta doch bereits einen Schläger auf die beiden angesetzt. Rafo lebt meist aber auf der Straße, wo er seinen Hahn Macho zu illegalen Kämpfen in den Ring schickt. Will und Rafo nähern sich einander an und erkennen eine tiefgreifende Verbundenheit.
Mittelpunkt des Films bildet denn auch sein Darstellerpaar: Der große Altersunterschied zwischen dem jugendlichen Minett und dem mittlerweile 91 Jahre alten Eastwood eröffnet ein Kontrastverhältnis, das Cry Macho beständig ausspielt: Jugendlicher Leichtsinn trifft auf weltgewandte Besonnenheit, die beiden Schauspieler verhalten sich mitunter spiegelbildlich zueinander. So sehr sich Rafo bemüht, ein harter Kerl, ein Macho, zu werden, ohne Heim, ohne Bindungen, so sehr stellt Will sein alt gewordenes Spiegelbild dar – ein Raubein, das seine wilden Tage als Rodeo-Reiter hinter sich hat, ein mürrischer, desillusionierter Mann, dem außer dem Verlust nicht viel geblieben ist. Ernst, Trauer, aber auch eine gewisse Größe kennzeichnen seine Haltung.
Cry Macho ist Eastwoods 39. Spielfilmarbeit und es liegt an der erfahrenen Inszenierung Eastwoods, dass der Film keiner großen Gesten, keiner dramatischen Wendepunkte bedarf – es ist ein bescheidener Film, der ebenso um einen Verlust wie um einen Neugewinn kreist. In seinen entdramatisierten Momenten scheint deshalb etwas durch, was man in Eastwoods Gran Torino eindrücklich beobachten konnte: ein generationenübergreifender, interkultureller Dialog, den der Regisseur in nostalgische Landschaftsbilder kleidet.
Cry Macho bedient sich neben der strukturgebenden Elementen des road movie besonders der Mythologie des Westerns, was er in seinen Bildern zitierend mitführt. Im Western gibt es oft Helden, nicht weil sie sich behaupten, sondern weil sie sich hingeben. In seinem zweiten Erzählabschnitt untergräbt Eastwood zunehmend die narrative Zielsetzung – die Rückbringung des verlorenen Sohnes – und lässt erzählerische Leerstellen einfließen: Man nimmt sich Zeit für eine Siesta nach dem Essen oder für einen ausgelassenen Tanz.
Dem Film geht gleichsam seine jugendhafte Energie, ein zielgerichtetes Entgegenstürmen zur erzählerischen Endsetzung verloren, dies zugunsten einer entschleunigten Erzählhaltung, die auf Besonnenheit und Ruhe setzt. Dafür steht exemplarisch das friedvolle Miteinander der mexikanischen Dorfgemeinschaft, sie ist die Feier einer Heterotopie, also gleichsam eine realisierte Utopie, in der sich Glückseligkeit entfaltet, ohne sie tatachlich anzustreben. Will entwickelt sich in seinem neu gefundenen Zuhause zu einer Art Heilsbringer: Er kümmert sich um kranke Tiere, bändigt Pferde, kurz: Er wendet seine einst genutzten Fähigkeiten noch einmal an, um wieder gesellschaftsfähig zu sein. Seine Fähigkeiten aber sind nicht so sehr Ausdruck eines außergewöhnlichen Umfangs an Fertigkeiten, sondern beiläufige Zeichen einer langen und erfahrenen Laufbahn – dies ist es, worauf Cry Macho abzielt: Ein Mann im hohen Alter lässt die Erinnerung an seine lange und erfolgreiche Karriere wieder aufleben. Dieses Moment kann man wahlweise auf den Filmhelden Will oder seinen Regisseur Clint Eastwood anwenden. Ähnlich wie Woody Allens Rifkin’s Festival liegt es nahe, Cry Macho als Eastwoods Abschluss- und Erlösungswerk zu lesen.