Früher war immer Weihnachten

PostFUCKtisch

d'Lëtzebuerger Land du 23.12.2016

Das postfucktische Zeitalter? Puh, Schock, ist es wirklich schon soweit? Die armen jungen Leute, sie haben es sowieso schon so schwer, auf dem Wohnungsmarkt, mit der künstlichen Befruchtung, dann die künstliche Intelligenz, die natürliche Dummheit … und nun auch noch postfucktisch.

Love in, murmeln die Veteraninnen der sexuellen Revolution beim Kaffeekränzchen in ihren Bart. Love and Peace, ist das nicht die Weihnachtsmission? Früher war immer Weihnachten, irgendwann hatten wir selber ein Kindlein in der Krippe.

Postfucktisch, grummelmurmel, Veteranin Marie-Joseé schaltet ihr pinkes Hörgerät ein, ich muss mich verhört haben. Es klingt dermaßen unerhört, es gibt keine Traditionen mehr! Muss ich jetzt der ADR beitreten? Haben die heute gar kein Ehrgefühl mehr? Diese Sitte war vielen Sippen förderlich, auch Einzelgängster_innen kam sie zugute. Sie hält gesund und munter bis ins hohe Alter, sie senkt das Cholesterol, sie kostet nichts, höchstens ab und zu den Verstand, oder ein Herz geht zu Bruch. Aber das kann Mann ja schließlich wieder ficken. Sagt Volksbarde Tonnar auch. Wenn Luxemburger schon kein Wort für das beliebte Ich-liebe-dich haben, dann sind sie wenigstens praktisch veranlagt, auf Dauer ist das eindeutig zu bevorzugen.

Der Niedergang fing schon in den Neunzigern an, Chantal erinnert sich an verkabelte Wesen mit knallharten Figuren und knallharten Frisuren. Sie verkehrten cybersexuell, klang hyper damals, es war angeblich hygienisch, man konnte nichts bekommen, kein Kind, keine Krankheit, aber angeblich kommen. So gesehen nicht so schlecht. Allerdings musste man sich technisch extrem gut auskennen, um so eine intensive Station einzurichten. Marcel, Chantal versinkt in Erinnerungen, sah den direkten Nutzen nicht ein. Es sei aufwändig, meinte er, man müsse in Spezial-geschäften ganze Marsmännchen-Ausrüstungen erstehen, Drähte legen, Stecker suchen. Damit sie dann blöd lachen würde.

Ex-Sextelefonistin Pierrette – sie ist schon lang in Sextelefonistinnenpension, sie machte es nur des Geldes wegen, nicht aus Überzeugung, sie fand es immer betrüblich, einsamen Herren und Herzen in ungelüfteten Wohnungen kompetent vorzustöhnen, während ihr Sohn nebenan bei Mathe-Hausaufgaben um Hilfe schrie – schüttelt den Kopf. Das hat sie alles kommen sehen! Es ist nichts mehr wie achtundsexzig, der Nachwuchs ist so beschäftigt, dauernd suchen sie nach einem Parkplatz oder einem Job, statt nach einem Joint. Es hieß damals nicht Job, es hieß Arbeit oder Stelle. Aber wer wollte schon so was, eine Stelle, einen Platz, wie ein Hund? Es schüttelte einen beim bloßen Gedanken daran.

Postfucktisch. Was für eine Zeit! Was haben wir Mütter falsch gemacht? Irgend etwas ist auf der Strecke geblieben, das Mitmenschliche, das Spontane. Früher teilten die Menschen ihr Brot und ihr Bett, manchmal nur für sehr kurze Zeit, aber wenigstens das. Es gab noch menschliche Nähe, menschliche Wärme. Es ist wegen dem Kapitalismus, sagt Sylvie, er ist ein Raubtier geworden, dann kann man nicht noch ein Raubtier im Bett sein oder eins haben, das würde die Menschen überfordern.

Alles wird geschützt, Marie-Josée ist außer sich, alles hat eine Lobby, steht unter Naturschutz oder wird als Kulturtechnik eingestuft, und jetzt will man dem guten alten Fick an den Kragen. Ist der vielleicht jetzt auch ein No-Go, etwas Unkorrektes? Und war das nicht schon mal so, haben wir den nicht rehabilitiert?

Penetration hatte in manchen Kreisen schon in den Siebzigern ein schlechtes Image, doziert Sylvie.

Vielleicht hat sich die Menschheit eben auch weiter entwickelt, träumt Claudine, eine höhere Ebene, eine andere Energie, feinstofflicher, die Geschlechter nähern sich einander an, es gibt mehrere davon oder nur noch eines. Sie verschmelzen zu einem einzigen Geschlecht. Wie bei den Engeln eben. Was gibt es Schöneres?

Pierrette vermutet die Pharma-Industrie dahinter, wahrscheinlich wollen sie alle künstlich befruchten. Sylvie legt Sex Machine auf, Claudine protestiert, zu heavy, bitte Cohen.

Alle weinen ein bisschen. Gut, dass er das nicht mehr miterleben musste!

Footnote
Michèle Thoma
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