Dass die Wirtschaft brummt, ist keine Frage. Unklar ist bloß, wie stark. Im Mai vergangenen Jahres hatte das Statec in seiner Konjunkturnote für 2017 ein Wirtschaftswachstum von 4,6 Prozent vorausgesagt. Ein halbes Jahr später, im November vergangenen Jahres, hatte es seine Prognose dann um einen halben Punkt nach unten korrigiert und 4,2 Prozent mehr Bruttoinlandsprodukt angekündigt. Wiederum ein halbes Jahr später korrigierte es die Vorhersage wieder um einen halben Punkt nach oben, auf 4,8 Prozent. Die Konjunktur in Luxemburg bewege sich auf den Höhepunkt ihres derzeitigen Zyklus zu, das Bruttoinlandsprodukt nehme dieses und nächstes Jahr jeweils um fast fünf Prozent zu, hieß es in der Konjunkturnote vom Mai. Am nächsten Dienstag soll eine neue Konjunkturnote erscheinen, und darin wird die Wachstumsvorhersage für dieses Jahr wieder nach unten korrigiert, auf zwischen zwei und eher 3,4 Prozent.
Ähnlich sieht es mit den Prognosen für nächstes Jahr aus. Im Mai war das Statec noch von 4,8 Prozent ausgegangen, nun sollen es zwischen drei und eher 4,4 Prozent werden. Als die Regierung im Frühjahr ihr aktualisiertes Stabilitätsprogramm nach Brüssel schickte, sah sie ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 4,4 Prozent dieses Jahr und von 5,2 Prozent nächstes Jahr vor. Der wenige Monate später hinterlegte Haushaltsentwurf für 2018 geht von 2,7 Prozent Wachstum dieses Jahr und 3,7 Prozent nächstes Jahr aus. Was nach Darstellung der Handelskammer einen kumulierten Ausfall von 3,2 Prozentpunkten über zwei Jahre darstellt. Wobei sie noch gar nicht auf die Folgejahre einging, da die Prognosen im Stabilitätspakt bis 2021 noch nicht geändert wurden.
Auch Konjunkturprognosen sind, trotz aller computergestützten ökonometrischen Modelle, nur „informed guesses“. Und die Meinungen gehen auseinander, ob sie in Luxemburg eigentlich besonders einfach oder besonders schwierig sein müssten. Einfach wegen der Überschaubarkeit der sehr kleinen Volkswirtschaft, schwierig wegen ihrer Abhängigkeit von ausländischen Märkten, dem Finanzsektor und den Börsen.
Deshalb überrascht es niemand, wenn die Prognosen des Statec sich ebenso regelmäßig ändern wie diejenigen der OECD, des Internationalen Währungsfonds oder der Europäischen Kommission. Meist werden die Korrekturen dieser Prognosen fast beiläufig von einigen Ökonomen beim Staat, bei Banken und Berufskammern zur Kenntnis genommen. Manchmal, wenn es politisch nützlich erscheint, werden sie skandalisiert.
Weil das Parlament gerade den Entwurf des Staatshaushalts für nächstes Jahr verabschieden soll und in zehn Monaten Wahlen sind, scheint es an der Zeit, die jüngste Korrektur der Konjunkturprognosen zu skandalisieren. CSV-Opposition, Unternehmerkammern und Conseil national des finances werfen der Regierung vor, mit falschen und überholten Zahlen zu operieren, nicht haushalten zu können, nicht sparsam mit den Staatsfinanzen umzugehen und die Wähler statt die Unternehmen zu beglücken.
Dagegen streichen nicht nur der Staatsrat und der Rechnungshof, auch die Berufskammern der Lohnabhängigen der Privatwirtschaft und der öffentlich Bediensteten das im internationalen Vergleich anhaltend hohe Wirtschaftswachstum heraus und gehen kaum auf die veränderten Wachstumsprognosen ein. Die beiden Berufskammern befürchten offenbar, dass jede Diskussion darüber eher genutzt wird, um bei Sozialtransfers statt bei Stock options zu sparen oder die verlangte Erhöhung der Einstiegsgehälter beim Staat abzublocken.
Für den Staat bedeuten weniger Wirtschaftswachstum weniger Steuereinnahmen auf Löhnen, Profiten und Konsum sowie höhere Ausgaben, etwa für Arbeitslosengeld und Beschäftigungsmaßnahmen. Die Handelskammer weist darauf hin, dass bei der Berechnung des strukturellen Haushaltssaldos davon ausgegangen wird, dass ein Prozent Wachstum weniger den Saldo des Staatshaushalts mechanisch um 0,445 Prozentpunkte im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt verringere, das heißt entsprechend weniger Überschuss oder entsprechend mehr Defizit verursache.
3,2 Prozentpunkte weniger Wachstum über zwei Jahre bedeuteten also 1,4 Prozentpunkte weniger Haushaltssaldo. Weil sich dieser Ausfall über die ganze Laufzeit der mehrjährigen Finanzplanung auswirke, laufe der Überschuss des Gesamtstaats, von Staat, Gemeinden und Sozialversicherung, Gefahr, im Jahr 2021 auf null zu sinken. Die Regierung habe aber, so die Handelskammer, nicht ihren Haushaltsentwurf gegenüber April gekürzt, sondern die Schätzungen der Steuereinnahmen sogar verdoppelt, von 0,3 Prozent auf 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nächstes Jahr.
Für die Handwerkskammer sind die Unterschiede der Ausdruck einer sehr kleinen, exportorientierten Volkswirtschaft. Sie hätten aber direkte Auswirkungen auf den Staatshaushalt, die Konjunktur beeinflusse weitgehend die Staatseinnahmen. Weshalb die Haushaltspolitik weit vorsichtiger sein müsse als in größeren, wirtschaftlich diversifizierteren Ländern.
Auch der Conseil national des finances publiques beklagt in seinem Haushaltsgutachten dass nach der Senkung der Wachstumsprognosen durch das Statec die Regierung es versäumt habe, die Einnahmeerwartungen im Haushaltsentwurf entsprechend zu senken. Er stellt fest, dass die Prognosen des Haushaltsentwurf für dieses Jahr „vorsichtig“ im Vergleich zu denjenigen internationaler Institutionen seien, für nächstes Jahr und 2019 aber „optimistisch“, doch geht er nicht so weit, einen Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen herzustellen.
Im Gegensatz zur Handels- und zur Handwerkskammer wagte Haushaltsberichterstatterin Joëlle Elvinger am Montag in einem Rundfunkinterview zu behaupten, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Wirtschaftswachstum und den Staatseinnahmen gebe. Der Finanzminister stütze sich auf die „tatsächlichen Staatseinnahmen“, und die bisherigen Entwicklungen gäben ihm Recht, tat sie am Montag jede Kritik am blauen Finanzminister als graue Theorie ab.
„Das Finanzministerium basiert sich auf die reellen Einnahmen, die die Steuerverwaltung, die der Staat einnimmt. Wenn wir die Zahlen anschauen, die wir bis jetzt für 2017 haben, dann sieht man, dass das Finanzministerium da richtig liegt.“ Zudem lehre die Erfahrung, dass die Konten stets besser ausfielen als die Budgets, was zeige, wie vorsichtig der Finanzminister walte. Die doch etwas überforderte DP-Abgeordnete: „Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen der Wachstumsrate des BIP und den... ähm ... ähm... und den... also dass... Man muss da auch andere makroökonomische Faktoren in Betracht ziehen, wie zum Beispiel die Lohnmasse, die Beschäftigung und den Verbrauch, und all diese Faktoren werden in Betracht gezogen von der Steuerverwaltung, wenn das Budget aufgestellt wird.“
Um nicht am Ende für das Durcheinander verantwortlich gemacht zu werden, bemühte sich das Statec schon vor einem Monat, dem parlamentarischen Haushalts- und Finanzausschuss zu erklären, wie es zu den Schwankungen in seinen Prognosen kam: Am Anfang stand die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Jahre 2015 und 2016. Bei ihr traten in den nun vorliegenden Ergebnissen für 2015 und das erste Halbjahr 2016 überraschende Unterschiede im Vergleich zu den provisorischen Berechnungen auf. Aus dem Finanzsektor erhält das Statec vergleichsweise vollständige Angaben von der Bankenaufsicht CSSF, während aus anderen Branchen die Zahlen oft lückenhaft und mit Verspätung kommen. Einige wichtige Betriebe des Großhandels und des Kommunikationswesens hatten, wie nun erst offensichtlich wurde, 2015 deutlich schlechter abschlossen als geschätzt, und manchen Gesellschaften des Finanzsektors war es 2016 nicht besser gegangen. Laut Einführung des Haushaltsentwurfs müsse geprüft werden, ob diese Änderungen auch etwas mit der veränderten Regulierung des Finanzsektors zu tun habe.
So dass das Wirtschaftswachstum in diesen beiden Jahren mit etwa drei Prozent jährlich geringer war, als die vorübergehend 4,8 für 2015 erwarteten Prozent und die bis zu 3,7 für 2016 erwarteten Prozent. Wobei aber alle Beteiligten beteuern, dass dies keineswegs in Frage stelle, wie robust der Wirtschaftsaufschwung sei.
Weil die Konjunkturprognosen aber zuerst aus der Fortschreibung vergangener Entwicklungen bestehen, senkte das Statec mit dem Bruttoinlandsprodukt der Vorjahre um einen Prozentpunkt nun auch seine Prognosen für die Jahre danach. Wobei die Erfahrung lehrt, dass in der Regel zwischen der ersten Prognose und dem tatsächlichen Wachstum eine Varianz von etwa einem Prozentpunkt festgestellt werden kann.
Finanzminister Pierre Gramegna hatte sich schon bei der Vorstellung des Haushaltsentwurfs am 11. Oktober nur mit einer Spitze gegen seine grünen Koalitionspartner trösten können: „Alle, die meinen, dass es in Luxemburg zu viel Wachstum gebe, müssten jetzt zufrieden sein.“ Aber die Haushaltspolitik könne sich nicht an den schwankenden kurzfristigen Vorgaben orientieren, sondern müsse langfristige Entwicklungen berücksichtigen.