Theater

What the Faust

d'Lëtzebuerger Land vom 10.04.2020

„D’Stéck vun der Woch“ nennt sich die neue Reihe der Volleksbühn, ein Titel, der an diverse bildungsbürgerliche Rundfunkformate erinnert, die gerade in der Nachkriegszeit die breite Masse mit Kulturgütern versorgen sollten. Nun befinden wir uns bekanntlich in der „größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg“, und wieder einmal lechzt das Volk nach geistiger Erquickung im heimischen Wohnzimmer. Zwischen Kurvendiagrammen und Quarantäne-Memes sprießen die Streaming-Angebote nur so aus dem virtuellen Boden, doch mit Serge Tonnars „Live aus der Stuff“ gibt es – laut Volleksbühn – bereits einen Monopolisten in der neuen Kulturlandschaft.

Um dem etwas entgegenzusetzen, liefert das Theaterkollektiv nun jeden Sonntag per YouTube-Stream eine Inszenierung frei Haus. Das Projekt ist partizipativ, schließlich befinden wir uns in der Ära des Web 2.0. Das Publikum darf nach Belieben für ein (gemeinfreies) Stück seiner Wahl abstimmen und hat zum Auftakt jenes Werk ausgewählt, das dank Schulprogrammen als Inbegriff der Kultur überhaupt hierzulande gilt: Goethes Faust. Was dabei herausgekommen ist, hat mit dem selbstreferentiellen Klamauk von Die Lügen der Papageien (dem Debüt der Volleksbühn von 2019) freilich mehr gemein als mit jeder noch so extravaganten Neuinterpretation, die das Regietheater in den letzten Jahrzehnten produziert hat.

Immerhin, mit etwas gutem Willen man kann in der Inszenierung eine konsequente Aktualisierung des Faust-Stoffs erkennen. Goethes wissbegieriger Held sitzt hier gelangweilt vor dem Rechner, hat die Wikipedia schon durch und will es jetzt mal mit dem Darknet versuchen. Dort wartet Mephisto und verspricht, Faust mithilfe des Theaters die große weite Welt zu Zeigen. Bevor sich Jacques Schiltz als Faust und Wolfram Koch als Mephisto tatsächlich auf die (virtuelle) Bühne begeben, gibt es allerdings erst mal ein Vorspiel auf Skype, bei dem sich Anne Simon, Tom Dockal und Max Jacoby über die Umsetzung unterhalten – in So-schlecht-dass-sie-schon-wieder-gut-sind-Versen: „Theater findet auf den Brettern statt, / das Rumgefilme bin ich jetzt schon satt.“

Das Medium ist die Botschaft in dieser Aufführung, die mittels Chiptunes und Pixel-Explosionen in Fausts Studierzimmer überleitet. Hier erwartet einen erst mal mehr Internet-Humor. Ein Anruf von Anouk Wagener als Wagner wird weggeklickt, ein Pudel-Pop-up führt zum Vertragsabschluss mit Mephisto, bei man die AGBs bitte nicht so genau lesen soll. Lange Zeit neckt uns dieser Faust-Livestream damit, nichts weiter als eine Telefonkonferenz zu inszenieren, bevor es dann doch noch richtig theatralisch wird. Die Schauspieler werden auf menschenförmige Schablonen inmitten vorgerenderter 3D-Bühnenszenerien projiziert. Einen roten Vorhang und Scheinwerfer gibt es auch. „Virtuelles Live-Theater“ nennt die Volleksbühn das. Technisch bewegt man sich auf dem Niveau von Windows 95, aber die Retro-Grafik ist nur ein weiterer Wink Richtung Netzkultur.

Zusammen mit Dominik Raneburger als Gretchen spielen Jacques Schiltz und Wolfram Koch nun ein paar Schlüsselszenen durch. Ob in Gretchens Stube, in Marthens Garten, auf dem Blocksberg oder im Kerker, der Ton bleibt durchweg skurril-parodistisch. Koch – zu Beginn noch mit Teufels- und Atemmaske – ist ein hyperaktiver Mephisto in sportlichem Outfit, der permanent mit seinem Armen umherwedelt. Schiltz spielt den unbedarften Durchschnitts-Surfer, der immer einen Kalauer parat hat. Teilweise ist das Stück so albern, dass man sich einen dieser Monty Python-Polizisten herbeiwünscht, der Sketche beendet, weil sie zu albern sind. Wer „schwul“ auf „cool“ reimt, gehört auf den Schulhof, auch wenn er den gerade nicht betreten darf. Einzig Dominik Raneburger gibt in seiner Frauenrolle den straight man in dieser Komödie.

In der Kategorie „Comedy“ wurde die Tragödieninszenierung übrigens bei YouTube eingestellt. Ganze einundzwanzig Minuten das Video. Die Logik der Kürzung erklärt Gretchen: „Ich sag’s dir im Vetrauen nur, / der Grund ist eine Stilfigur. / Kommt ’ne Ellipse bei von Goethe, / gehen plötzlich tausend Leute flöten.“ Auf einer Plattform, die einem in wenigen Minuten Wittgenstein, Breaking Bad oder sonstwas zusammenfassen kann, wäre mehr vielleicht eh Zuviel. Dieser Faust ist zu viel Insiderwitz, seine Parodie oft zu einfach. Aber gerade in Bezug auf die technische Umsetzung ist es eines der originelleren und lohnenderen Projekte Luxemburger Quarantänenkunst. Am Sonntag spielt die Volleksbühn The Importance of Being Earnest. Also, Tee und Gurkenbrote zubereiten und nichts wie vor den Bildschirm!

Faust. Nach Goethe. Idee und Konzept: Volleksbühn. Regieteam: Tom Dockal, Max Jacoby, Jacques Schiltz, Anne Simon, Anouk Wagener. Virtuelles Live-Theater: Cay Hecker. Vorspann: Kan Werachareon. Musik: Yo Oda. Mit Jacques Schiltz, Wolfram Koch und Dominik Raneburger. Das nächste Stück, The Importance of Being Earnest von Oscar Wilde, mit Eli Johannesdottir (Luxemburg) in Daron Yates (München) wird am Sonntag um 19.55 Uhr via volleksbuehn.lu live aufgeführt, wo Zuschauer auch Klassiker vorschlagen und dann abstimmen können; das Projekt wird unter anderem über Spenden finanziert.

Jeff Thoss
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